Mondpreise für Meinungsmacher

Influencer-Marketing

Neulich wurde die Bundeskanzlerin von Its-Coleslaw und AlexiBexi auf Youtube interviewt. AlexiBexi heißt eigentlich Alexander Böhm. Im Internet hat er regelmäßig ein Millionenpublikum. Zum Beispiel wenn er zehn Dinge präsentiert, „die ihr NIE mit Nutella machen solltet“.

Das Interview mit Angela Merkel war ebenfalls bemerkenswert. Erstens, weil es nach Meinung vieler Beobachter in weiten Teilen gehaltvoller gewesen ist als das anschließende Duell im Linear-TV zwischen der Amtsinhaberin und ihrem Herausforderer Martin Schulz. Und zweitens, weil spätestens zu diesem Zeitpunkt einer breiten Öffentlichkeit klar geworden sein muss, dass man an Influencern in Deutschland nicht mehr vorbeikommt − selbst als Bundeskanzlerin nicht.

Das Schlaglicht auf die Influencer-Szene konnte allerdings für ein Missverständnis sorgen. Nämlich, dass Influencer ist, wer sechs- oder siebenstellige Followerzahlen auf Social-Media-Kanälen vorweisen kann. In Wirklichkeit sind Influencer inzwischen ein Massenphänomen. Oder, böse formuliert: eine wahre Influenza.

4,8 Millionen Meinungsmacher

Daten zur Szene sind rar, Konkretes gibt es wenig. Eine Gewissheit jedoch festigen praktisch sämtliche Zahlen: Influencer haben seit drei Jahren gewissermaßen Hochkonjunktur. An die 12.000 Euro zahlte kürzlich beispielsweise Mercedes-Benz, damit sich Stefanie Giesinger – einst Kandidatin in der Model-Show GNTM von Heidi Klum − bei Instagram hinter einem Steuer mit Stern darauf ablichten ließ.

Dass die Tätigkeit als Influencer eine gewisse Sogwirkung auf junge Leute ausübt, verwundert daher kaum. Hier kommen dann noch erstaunlichere Zahlen zutage. 4,8 Millionen solcher Meinungsmacher gibt es in Deutschland laut dem „Influencer-Report 2017“, den die Beratungsagentur Inda Hash herausgibt.

Gezählt werden alle Menschen, die haupt- oder nebenberuflich andere Menschen über Social Media erreichen und damit Botschaften verbreiten können. Dazu können auch solche gehören, denen bei Instagram 500 Menschen folgen – insofern zählen also auch viele Pressesprecher dazu.

So machen sich Influencer unverzichtbar

Die Vielfalt auf dem Influencer-Markt werde von den meisten Unternehmen noch nicht erkannt, sagt Jürgen Seitz, Professor an der Hochschule der Medien in Stuttgart. „Das wird oft reduziert auf ein paar Kids, die sich einen Youtube-Kanal aufbauen und dann damit reich werden“, sagt Seitz. Er forscht zu Influencer-Marketing und betont, dass es sich um ein weites Feld handle.

Bedeutende Influencer seien zum Beispiel Reviewer und für Technik-Hersteller inzwischen unverzichtbar. Diese Reviewer nämlich würden mit ihren Produktbewertungen beispielsweise bei Amazon wesentlich mehr Kunden erreichen, als es Werbung je könnte. Dazu genießen die Reviewer viel mehr Vertrauen.

Wer eine beliebige Produktgattung in der Youtube-Suche eingibt, wird mit ziemlicher Sicherheit schnell einen Tester finden mit möglicherweise Hunderttausenden Abonnenten. Etwa „Klaus grillt“, um ein wirklich willkürliches Beispiel zu nennen.

Foto: Youtube

In der Bundespressekonferenz geht er nicht nur einigen Ministeriumssprechern auf die Nerven, sondern mitunter auch den Journalisten-Kollegen. Tilo Jung (Foto, r.) ist vielleicht nicht der bedeutendste Influencer, aber einer der wenigen, der auch etablierten Journalistenkollegen ein Begriff ist. Mit teils zwanghaft wirkendem Geduze schafft es Jung, selbst hochkarätige Politiker wie Bundesaußenminister Sigmar Gabriel aus der Reserve zu locken. Jung ist hauptsächlich auf Youtube aktiv, für Instagram fehlt ihm gelegentlich ein Händchen: Ein frauenfeindlicher Post schadete 2015 seine Karriere. (c) Youtube

Aufmerksamkeitsspanne bei den Nutzern ist gering

„Markenbildung ist im digitalen Bereich bisher ein ungelöstes Problem“, sagt Seitz. Mit klassischen Kommunikations- und Marketingkampagnen würden Unternehmen jeder Branche junge Konsumenten immer schwieriger erreichen. Seitz: „Weil es erstens sehr viele Anbieter gibt, die alle um Aufmerksamkeit kämpfen. Und zweitens eine deutlich geringere Aufmerksamkeitsspanne bei den Nutzern, auch als Folge des Überangebots.“

Von einem Influencer empfohlen zu werden, sei dann mitunter Gold wert. Das ist auch der Grund, warum die Drogeriekette dm auf einmal Unmengen Duschschaum verkauft. Der wurde nämlich nicht nur von Top-Influencerin Bianca „Bibi“ Heinicke – ihr Youtube-Kanal BibisBeautyPalace verzeichnet 4,6 Millionen Follower− empfohlen, sondern obendrein noch „mitentwickelt“.

Dass sich mit Influencern also kräftig Schaum schlagen lässt, hat sich mittlerweile in den meisten Marketing- und PR-Abteilungen herumgesprochen. Aus einer anfänglichen Zurückhaltung drohte dabei zwischenzeitlich ein besinnungsloses Influencer-Marketing zu werden. „Da wurden teilweise Mondpreise bezahlt“, sagt Jürgen Seitz.

Foto: Youtube

Hochglanz-Instagram-Fotos sind Caro Daurs Kapital. Ihre 1,2 Millionen Follower lässt sie an ihrem Leben teilhaben, was ausweislich ihres Accounts maßgeblich daraus besteht, gut gestylt sehr schöne Sachen teurer Marken durch Paris zu tragen. Daur ist eine von zig Dutzend Influencern, die für einen gesponserten Post mehrere Tausend Euro verlangen kann. Wie alle Mode-Influencer muss sie dabei aber aufpassen, die gesponserten Posts ordnungsgemäß zu kennzeichnen und auch nicht gesponserte Posts abzusetzen. Denn Fans verlangen vor allem eines: Authentizität. (c) Youtube

Einmalig geraten Postings geraten selten einmalig

Anne Höweler kann das bestätigen. Sie vermittelt mir ihrer Agentur „Cover Communications“ seit vier Jahren Influencer für Marketingkampagnen an Unternehmen. Kunden sind unter anderem Giorgio Armani oder der Schmuckhersteller Pandora. 2015 und 2016, sagt Höweler, habe es „einen Hype beim Influencer-Marketing gegeben, bei dem viel Geld ausgegeben wurde, aber oft keine nachhaltige Strategie entwickelt“.

Teilweise seien dann Unsummen gezahlt worden, um von Influencern in einem einzigen Post genannt zu werden. „Einmalige Postings verpuffen aber in der Regel sehr schnell“, weiß Höweler. Wahrgenommen werde man als Marke jedoch nur bei einer langfristigen Zusammenarbeit, die zudem „mit einem guten Storytelling verbunden ist“.

Im Grunde sind die von Cover Communications vermittelten Influencer Models. Constantly_K zum Beispiel macht Shootings für L‘Oréal oder Audi. Gleichzeitig lässt sie ihre Zehntausenden Follower bei Instagram daran teilhaben. Nicht immer − aber eben sehr häufig − mit gesponserten Posts.

Die Erfolgreichen unter den gefragten Influencern hätten dabei eine Sieben-Tage-Arbeitswoche und seien inzwischen hochprofessionell aufgestellt, sagt Höweler. Oft haben solche Meinungsmacher ein eigenes Team an der Seite. Die Leichtigkeit, die Influencer auf ihren Instagram-Accounts ausstrahlen, hat mit ihrem wirklichen Alltag in der Regel allerdings wenig gemein. Denn mit der Professionalisierung des Influencer-Marketings steigen auch die Anforderungen an die Protagonisten.

Foto: Youtube

Ist das schon eine Art Meta-Phase? Influencer schreiben Ratgeberbücher für Menschen, die Influencer werden wollen. „Try hard“, ruft Marcel Althaus den Lesern des gleichnamigen Spiegel-Bestsellers zu, Untertitel: „Generation Youtube – Warum dein Glück kein Zufall ist“. Im Buch geht es im weitesten Sinne darum, wie man ein glückliches Leben führt, im engeren darum, wie man so wird wie Marcel Althaus. Als Marcel Skorpion wurde er mit Youtube-Videos berühmt. In einem Interview sagte er mal, dass seine Eltern nicht verstünden, was er da eigentlich mache. (c) Youtube

Influencer müssen sich langfristig etablieren

„Es wird in den nächsten Jahren viele geben, die von Instagram alleine nicht mehr leben können“, ist Höweler überzeugt. All jene, die wahllos sämtliche Aufträge annähmen, lösten eine gewisse Ermüdung bei ihren Followern aus − und damit auch bei potenziellen Auftraggebern.

„Influencer müssen sich langfristig als Marke etablieren, sonst haben sie keine Chance“, sagt Höweler. Großes Potenzial sieht die Expertin in „Micro-Influencern“ mit kleineren Followerzahlen, dafür aber mit einer hohen Glaubwürdigkeit. Zum Beispiel im Trekking- oder Yogabereich.

Der Influencer-Markt, davon sind Jürgen Seitz und Anne Höweler überzeugt, werde weiter wachsen. Höweler weiß aber von einem anderen Nachwuchsproblem zu berichten. „Es ist unheimlich schwer, für den Bereich gute Leute zu finden“, sagt die Agenturleiterin. Denn all jene, die sich mit Influencern aus eigener Lebenserfahrung auskennen, seien frisch auf dem Arbeitsmarkt. „Erfahrenen PR-Leute müssen hier auch erst mal akzeptieren, dass sie in dem Bereich viel von den Jüngeren lernen können.“

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe VORBILDER. Das Heft können Sie hier bestellen.