Krisenerprobte Mannschaftssprecherin

Neue DFB-Kommunikationschefin Mirjam Berle

Mirjam Berle ist am 16. Juli 1974 geboren – wenige Tage nach dem Finale der in dem Jahr stattfindenden Fußball-Weltmeisterschaft. Deutschland gewann gegen die Niederlande mit 2:1 – Weltmeister! Es ist eine Anekdote, die die 46-Jährige in das Gespräch über ihre neue Tätigkeit einstreut. Die Geschichte dürfte sich in jedem Small Talk gut machen. Berle beginnt am 1. Oktober als Direktorin „Öffentlichkeit und Fans“ beim Deutschen Fußball-Bund (DFB). Sie folgt auf Ralf Köttker.

Die Position gehört zu den prestigeträchtigsten, die die Kommunikationsbranche in Deutschland zu bieten hat. Insbesondere bei Turnieren wie Welt- und Europameisterschaften sowie Länderspielen der Herren erreichten frühere DFB-Pressesprecher wie Harald Stenger und der spätere Präsident Wolfgang Niersbach eine hohe Sichtbarkeit. Sie leiteten die Pressekonferenzen, gaben im Fernsehen Informationen zur Aufstellung weiter und berichteten über die Stimmung im Teamlager.

Ein Teil dieser Aufgaben erwartet nun auch Berle, die aktuell als Director Communications Central & Eastern Europe beim Reifenhersteller Goodyear Dunlop Tires Germany tätig ist. Zuvor arbeitete sie für den Buchhändler Thalia und eine Tochter von Lufthansa Cargo. Die DFB-Stelle wurde von einem Headhunter an sie herangetragen.

Natürlich geht es um Sport – einerseits. „Die Mannschaft“ von Jogi Löw ist aber längst eine internationale Marke mit Merchandising-Ambitionen und zahlungskräftigen Sponsoren im Hintergrund, deren Aktivitäten medial inszeniert werden müssen. Das Gleiche gilt für die Spieler, die Historie des deutschen Fußballs, den Breitensport mit mehr als sieben Millionen Mitgliedern, Pokalwettbewerbe, die Frauen-Nationalmannschaft und die U-Mannschaften. Fußball lebt vom Storytelling, dem Gerede und Geraune abseits des Spielfelds.

Der DFB bedarf einer Neupositionierung. Das Image braucht eine Revitalisierung. Die letzte WM verlief desaströs. EM und Olympia wurden aufgrund der Coronakrise verschoben. Ohne Zuschauer fehlen Emotionen. Der Profifußball ist vielen sowieso zu kommerziell und dekadent geworden. An diesem Bild wird auch der 2019 gewählte und bodenständig auftretende DFB-Präsident Fritz Keller wenig ändern.

Berles neuer Vorgesetzter, Generalsekretär Friedrich Curtius, ließ in der Pressemitteilung zur Stellenbesetzung klar erkennen, dass zum Aufgabenbereich seiner neuen Chefkommunikatorin mehr als Fußball gehören wird: „Ihr frischer Blick von außen wird uns in Zeiten der Digitalisierung und des Wandels auf dem Feld der ‚Corporate Communications‘ neue Perspektiven und Impulse eröffnen.“ Offenbar ist der Verband selbst der Meinung, wichtige Entwicklungen verschlafen zu haben und jetzt personell nachsteuern zu müssen.

Revitalisierung des Images

Gefragt sein dürfte Berles Erfahrung in der Krisenkommunikation. Der DFB gab in den vergangenen Jahren ein stümperhaftes Bild ab, was auch am Fehlverhalten prominenter Verbandsakteure lag. Die „Sommermärchen“-WM 2006 in Deutschland und die Geldflüsse rund um Franz Beckenbauer hat der DFB unzureichend aufgeklärt. Das Foto von Mesut Özil mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan sowie der Rücktritt des Spielers via Social Media endeten für den größten Sportverband der Welt mit einem Imagedesaster. Reinhard Grindel, Kellers Vorgänger als DFB-Präsident, musste nicht zuletzt aufgrund einer geschenkten Luxusuhr zurücktreten.

Vor wenigen Wochen beendete der DFB die Zusammenarbeit mit dem Vermarkter Infront, nachdem Hinweise auf Vorteilsnahme und Korruption auftauchten. Verläuft die EM 2021 ähnlich erfolglos wie die WM 2018, dürfte das Interesse an der Nationalmannschaft weiter sinken. Schon vor Corona waren die Stadien bei Länderspielen mehrfach nicht ausverkauft.

Mirjam Berle weiß, dass diese Stelle eine einmalige Chance ist. „Es ist eine unglaublich spannende Aufgabe. Der Fußball hat eine enorme Relevanz in der Gesellschaft.“ Die Nationalelf ist Botschafter des Landes. Sie beeinflusst die Stimmung der Menschen. 2006 zauberte die Klinsmann-Truppe – 82 Millionen Menschen waren wie im Rausch.

In ihren Gesprächen mit Keller und Curtius habe Berle eine große Veränderungsbereitschaft und Offenheit festgestellt. Der Verband wolle sich erneuern und zukunftsorientiert auftreten. Fachlich sieht sich die 46-Jährige für die neuen Herausforderungen gut gerüstet: „Kommunikation im Rahmen von Veränderung ist ein Steckenpferd von mir und ich weiß, worauf es ankommt.“ Einer ihrer beruflichen Schwerpunkte lag bisher auf der Transformation und Restrukturierung von Unternehmen. In Deutschland schloss Goodyear Dunlop ein Werk und stellte zwei weitere neu auf. Bei Thalia galt es, ein Geschäftsmodell zu entwickeln und zu kommunizieren, das es der Buchhandelskette erlaubte, gegen Amazon zu bestehen.

Mal kein Sportjournalist

Mirjam Berles Vorgänger waren stets Sportjournalisten mit einem guten Draht zu den ehemaligen Kollegen. „Der DFB hat jetzt jemanden gesucht, der Erfahrung in der Unternehmenskommunikation mitbringt“, sagt Berle. Sie schaue zwar gerne Fußball, Expertenwissen habe sie aber bisher nicht parat. „Im Verband gibt es so viele Menschen, die alles über Fußball wissen: Von ihnen möchte ich lernen.“ Journalisten seien in jeder ihrer bisherigen Tätigkeiten eine wichtige Zielgruppe gewesen. Sie werden es auch beim DFB sein. „Ich will weiterhin ein guter Partner für Journalisten sein“, sagt sie.

Die direkte Kommunikation mit Fußballinteressierten und -anhängern haben der Verband wie die Vereine der Bundesliga deutlich ausgebaut. „Öffentlichkeit und Fans“ lautet nicht umsonst der Jobtitel. Porträts, Videos, Zusammenschnitte und Interviews finden sich auf der Verbandswebsite. Das Angebot ähnelt dem von Sportfachmedien. Etwa 40 Mitarbeiter:innen gehören dem Kommunikationsteam des DFB an. Der Glamourfaktor reizt die gebürtige Allgäuerin weniger. Schon eher der Kontakt mit den Nationalmannschaften, bei den Turnieren vor Ort dabei zu sein sowie die Spieler als Menschen kennenzulernen. Eines der Hobbys von Mirjam Berle ist Marathonlauf. Bisher ist sie 14 Mal die 42,195 Kilometer angegangen. Auch beruflich bezeichnet sie sich als „Langstreckenläuferin, die Dinge gerne langfristig aufbaut und umsetzt.“ Die neue Aufgabe sieht sie auch als Chance, persönlich zu wachsen.

War es bisher Berles Job, einen Ganzjahresreifen zu einem begehrenswerten Produkt zu machen, gehört es künftig zu ihren Aufgaben, Manuel Neuer, Toni Kroos und Jogi Löw medial gut aussehen zu lassen. Eine erfolglose EM würde wohl bedeuten, erst einmal einen personellen Neuanfang kommunizieren zu müssen.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe TÖNNIES. Das Heft können Sie hier bestellen.

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