Mathe ist überall

Sprecherspitze

Ein Rückblick. Die sonnigen, glücklichen Tage nach dem Abitur. Ein paar Freunde sitzen zusammen und brüten über möglichen künftigen Karrieren. Studiengänge werden eingeteilt in Kategorien: sinnstiftend, aber leider mit Blut. Lukrativ, aber sterbenslangweilig. Interessant, aber mit zu viel Mathe. Am Ende bleiben übrig: Journalistik, Kommunikationswissenschaft und Gerontologie (exotisch, aber zu deprimierend).

Zeitsprung. Wir schreiben das Jahr 2017 und jede zweite Pressemitteilung beginnt mit der unvermeidlichen Binsenweisheit: „Die Digitalisierung stellt die Medienlandschaft allerorten vor große Herausforderungen.“ Die sagenumwobene Transformation also mal wieder. Und plötzlich scheinen die damaligen Überlegungen naiv, beinahe realitätsblind. Die für alle Zahlenverweigerer bittere Wahrheit fällt wie Schuppen von den Augen: „Was mit Medien“ als geselliger Negativentwurf zur kalten Abstraktion? War gestern!

„Kommunikator bin ich geworden, weil ich nichts mit Mathe machen wollte“, sagte erst kürzlich Thomas Mickeleit, Director Communications von Microsoft Deutschland. Heute tüftelt er an Modellen für Bots, die mit seinem (Menschen-)Team extern um die Wette kommunizieren. Menschen-Team – Himmelherrgott! Wenn die Kommunikationsabteilung eines Unternehmens überwiegend aus Geschöpfen mit Puls besteht, muss das inzwischen eilig ergänzt werden! PRler der neuen Generation können Oma ihren Job also bald so beschreiben: „Ich optimiere mittels algorithmischer Prozesse auf künstlicher Intelligenz basierende Datensätze zur Mikrosegmentierung unserer Stakeholder, um eine granulare Adressierung umzusetzen.“

Auch wir Journalisten sind nicht vor Roboter-Kollegen gefeit. Sie sind überall. Könnte spannend werden, wenn der Robojournalist den Robokommunikator zum Interview bittet und nach wenigen Minuten computergenerierten Small-Talks Algorithmen miteinander debattieren. Interessant – zumindest solange es keine „Native-bots“ sind, die sich, wie im Film „Ex Machina“ von Alex Garland (der an dieser Stelle wärmstens empfohlen sei) in Auftritt und Gestalt kaum noch vom Homo Sapiens unterscheiden lassen.

Wenn in Ihren Augen die Berufsfelder „Was mit Medien“ beziehungsweise „Was mit Menschen“ langsam ihre Strahlkraft des Kuschelig-Vertrauten verlieren sollten, bleibt immer noch die weite Wüste „Was mit Ethik-Richtlinien“. Hier sollten nämlich künftig dringend neue (Menschen-)Köpfe gesucht werden…

 

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe FÜHRUNG. Das Heft können Sie hier bestellen.

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