Marc Raschke: Eigentlich wollte er Arzt werden

Kommunikationschef des Klinikums Dortmund

Als Kind wäre er gerne Pilot oder Arzt geworden. Heute macht Marc Raschke ein Desinfektionsspray zu Parfum oder er schickt Flugbegleiterinnen mit Trolley und Tomatensaft durch Krankenhausgänge, um zum Check-in „Grippe-Impfung“ zu animieren. „Ich will Geschichten erzählen. Geschichten aufzukochen, dass sie eine Pointe bekommen – darin sehe ich meine Aufgabe“, beschreibt der 43-Jährige seinen Auftrag als Kommunikator.

Für seine PR-Ideen wurden Marc Raschke und sein Kommunikationsteam in den vergangenen zwei Jahren mehr als 24 Mal ausgezeichnet – darunter 2017 mit dem „Goldenen Apfel“ als „Pressestelle des Jahres“. Gerade hat er erfahren, dass ihn das Magazin „W&V“ auf die Shortlist der 100 wichtigsten Köpfe der PR- und Marketingbranche genommen hat. Raschke erlebt eine Erfolgssträhne sondergleichen. Der Weg dorthin war kein leichter. Ein Blick zurück:

Marc Raschke kommt 2013 als Leiter der Unternehmenskommunikation ans Klinikum Dortmund, das kurz vor der Insolvenz steht. Zwar bringt es das Haus mit 4.000 Mitarbeitern auf einen Jahresumsatz von 350 Millionen Euro, gleichzeitig drücken aber Schulden in Höhe von etwa 120 Millionen Euro. Der Verkauf an private Investoren sowie die Angst vor Arbeitsplatzverlust dominieren die Schlagzeilen. Kurzum: Neben den Zahlen ist auch das Image der Klinik desaströs. Es braucht einen radikalen Wechsel.

„Eine Bekannte rief mich an und fragte, ob ich ein Konzept für die Klinik schreiben könnte“, erinnert sich Raschke, der damals als Freiberufler arbeitet. Kurze Zeit später fängt er beim Klinikum an.

Sein Job besteht darin, die Mitarbeiter zu motivieren, jeden von ihnen zu Öffentlichkeitsarbeitern und Fürsprechern des Hauses zu machen. Das Ziel: Personal und Patienten gewinnen. Mit Themen rund um Personalarbeit und Medizin ist der PRler vertraut. Er bezeichnet sich als Generalist, der schon früh in seiner beruflichen Laufbahn auf Themenvielfalt gesetzt hat.

Früh übt sich

Als Sohn eines Beamten und einer Sprechstundenhilfe wächst Raschke zunächst in Bochum, später in Recklinghausen auf. Während der Schulzeit schreibt er für Zeitungen. Eines Tages rät ihm ein bekannter Fernsehjournalist, den er interviewt: „Studieren Sie bloß keine Journalistik, PR oder Germanistik, sondern etwas, das Sie inhaltlich weiterbringt.“ Raschke befolgt den Rat und studiert nach dem Abitur Politikwissenschaft, Neuere und Neueste Geschichte und Angewandte Kulturwissenschaft in Münster. Anschließend absolviert er ein Volontariat bei der „WAZ“ und „Brandeins“. Weil er damals schon weiß, wie unsicher es um die Zukunft des Journalismus bestellt ist, gründet er seine eigene PR-Agentur mit Schwerpunkten Medizin, Zukunft, Handel. Die Agentur löst er 2010 auf.

Drei Jahre später, als er seinen Job am Klinikum Dortmund anfängt, bestätigt sich seine Vermutung über die prekäre Medienlandschaft: Zwei von drei für seine Zielgruppe relevanten Zeitungsredaktionen sowie das beliebte TV-Format „Lokalzeitklinik“ aus der WDR-Lokalzeit sind eingestellt. Auch wird das Budget für seine Abteilung um drei Viertel gekürzt. Arbeitet er heute in einem insgesamt vierköpfigen Team, ist er damals alleine in der Unternehmenskommunikation. Doch Not macht bekanntlich erfinderisch.

Kostengünstig hohe Reichweite

Raschke setzt auf Social Media und holt die Mitarbeiter da ab, „wo sie sich auch nach Dienstschluss noch aufhalten“. Er muss kreativ sein, um aufzufallen.

In Eigenregie produziert er Youtube-Videos, in denen eine Krankenschwester einen Spagat auf zwei rollenden Brettern macht (als Recruiting von Berufsfreiwilligendienstlern), einen Film über OP-Geräusche, der mit musikalischer Untermalung eines Orchesters auf den Rhythmus von OP-Geräuschen geschnitten ist und als Recruiting-Video für OP-Personal dient.

Am bekanntesten ist wohl die Live-Sprechstunde auf Facebook und Instagram, die teilweise bis zu 30.000 Zuschauer verfolgen. Hier erklären Ärzte, welche Therapie- oder Behandlungsmöglichkeiten es bei Krankheiten gibt. Zur Veranschaulichung schneiden sie mal eine Gebärmutter auf, stellen mithilfe eines Rührkuchenteigs eine Brustverkleinerung oder Darmkrebs anhand eines Pizzateigs nach.

Inhaltlich spricht er sich im Vorfeld mit den Ärzten kaum bis gar nicht ab – das lasse ein Krankenhaus-Alltag nicht zu. „Die Idee mit dem Pizzateig hatte der Arzt. Die für Brustverkleinerungen zuständige Chirurgin fühlte sich da wohl angespornt, den Rührkuchen als Beispiel zu nehmen“, sagt Raschke.

Die Bedingungen bei den Drehs sind simpel. Raschke sitzt als Moderator neben den Ärzten, während er gleichzeitig mit der Handykamera filmt. „Das entkrampft den kamerascheuesten Arzt.“ Vorgespräche und Kameratrainings gebe es nicht.

Ideen liegen überall

Inspiration für seine Ideen findet Raschke überall. Er schaut und hört genau hin, was seine Umgebung ihm mitteilt. Sein Recruiting-Video für OP-Personal entsteht zum Beispiel, weil er auf dem Weg zu Terminen immer wieder an einem OP-Saal vorbeigeht: „Irgendwann konnte ich anhand der Töne der Geräte unterscheiden, ob es sich um eine Operation im Bereich Orthopädie- oder Herzchirurgie handelt. Da war Rhythmus drin in der Arbeit.“

Es sind Vorbilder aus der Kunst, die ihm einen anderen Blick auf Wirklichkeiten vermitteln. Neben Andreas Gursky ist der umstrittene Kunstprovokateur Jonathan Meese sein Lieblingskünstler: „Ich mag ihn wegen seiner Grundidee, der ‚Diktatur der Kunst‘, wo es um die Macht der Kunst und nicht ums Machtgehabe von Künstlern geht. Vieles ist für mich ähnlich wie Marketing oder PR als ‚Kunstform‘.“

Seit einiger Zeit hat Raschke TikTok zur Gewinnung jungen Pflegepersonals entdeckt. Tanzend präsentieren Pfleger und Krankenschwestern den Klinikalltag. Mehr als 70.000 Follower bei TikTok geben ihm recht. Mit 1.440 Betten und 4.500 Mitarbeitern kann sich die Klinik über Personalmangel nicht beschweren.

Zu klamaukig sollten die Videos nicht werden: „Es entscheiden weniger die einzelnen Abteilungen darüber, was lustig ist oder nicht. Da braucht es einen Experten, der den Transaktionsriemen nach außen schafft, die Grenze zwischen lustig und unlustig zieht.“ Ist er wegen einer Idee selbst mal unsicher, berät er sich mit seinem Team, seinem Geschäftsführer oder fragt im Bekanntenkreis nach.

Ideen wie die Live-Sprechstunde haben manchen Arzt des Klinikums zum heimlichen Star gemacht. Auf Kongressen müssen Ärzte Autogramme geben. Auch Raschke erfährt hier und da ein wenig Fame: „Einmal hat sich ein Fremder neben mich in die Bahn gesetzt. Der sagte: ‚Ich wollte mich schon mal neben Sie setzen, aber Sie wirken im Internet viel kleiner als in Wirklichkeit.‘“ Zwar sieht er sich weniger als Strippenzieher im Hintergrund und mehr als Frontmann, doch lösen Begegnungen wie diese bei Raschke ein Wechselbad der Gefühle aus: „Zu merken, dass ich nun in der Öffentlichkeit stehe und beobachtet werde.“

Wie er sich seinen Erfolg erklärt? „Vielleicht liegt es daran, dass ich davon beseelt bin, dass es etwas Gutes sein muss, was ich vertrete.“ Das spürten die Menschen. Neben der absoluten Freiheit, die er seitens der Geschäftsführung des Klinikums erfahre, fordert er gleichermaßen eine hohe Disziplin von seinem Team: „Mir ist es wichtig, dass mich mein Team siezt. Das ist ein bisschen wie Theater. Am Ende muss man auf den Regisseur hören. Hinter jedem Spaß steckt auch ein Gedanke.“

Die nächsten Stücke, die Raschke als Regisseur inszeniert hat, sind zwei sogenannte Augmented-Reality-Apps. In der einen App können Nutzer Darmpolypen in Dortmund jagen – die Klinik will auf Darmkrebsvorsorge aufmerksam machen. In der anderen App geht es um Werbung für Blutspende. Hier kann jeder in Dortmund auf Moskitojagd gehen. 

 

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe KRISE. Das Heft können Sie hier bestellen.

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