Warum Empathie jetzt so wichtig ist

Führung in der Krise

Die gegenwärtige Pandemie fördert bei Unternehmern und Managern zum Teil eigenartige Verhaltensweisen zutage, die das Vertrauen der Mitarbeiter auf die Probe stellen. Man denke nur an das Ansinnen des Sportartikelherstellers Adidas, die eigenen Kassen durch verweigerte Mietzahlungen zu schonen. Oder an den Scooter-Verleiher Bird, der hunderten Mitarbeitern gleichzeitig und respektlos per Videocall die Kündigung ausspricht.

Und dann wäre da noch der Daimler-CEO Ola Källenius, der seinen Managern bei der Kündigung von über 10.000 Beschäftigten allen Ernstes empfiehlt, jenen Mitarbeitern mit einer ungemütlichen Zukunft im Konzern zu drohen, die ihrer Entlassung nicht zustimmen.

Die Welt steht Kopf und viele, die Sicherheit geben und Vertrauen ausstrahlen sollen, tun das genaue Gegenteil davon. Die Krise wirft Führungskräfte auf archaische Reflexe zurück, die von nackter Angst getriggert werden. Der Schaden ist immens und von Dauer.

Wenn es Führungspersonen nicht gelingt, Menschen von sich und den Unternehmenszielen zu überzeugen, fehlt es ihnen vor allem an einem: Empathie. Dieser Mangel ist die größte Hürde im Umgang mit der Krise. Eigentlich sollten Krisenmanager derzeit leichtes Spiel haben, schließlich ist die Handlungs- und Veränderungsbereitschaft der Belegschaft allein durch den Schock der Krise ungeahnt hoch. Mitarbeiter müssen momentan nicht umständlich von Notwendigkeiten überzeugt werden. Es könnte ihnen leicht nahegebracht werden, dass nun zügig vieles anders gemacht werden muss, und es gälte lediglich, dieses Momentum zu nutzen. Doch genau das gelingt Führungskräften häufig nicht. Das heißt, es fehlt ihnen an der Kompetenz, geeignet mit der Krise umzugehen.

Statt Zustimmung erzeugen viele Führungskräfte in ihren Unternehmen Chaos. Die Folge sind massive Image- und Vertrauensschäden. Dieser hoch bedenkliche Effekt ist derzeit auch in der Politik täglich zu sehen. Die USA, England und Brasilien sind beste Beispiele dafür, wobei die Konsequenzen hier wesentlich bitterer sind als in der Wirtschaft, geht es doch um Zehntausende von Menschenleben.

Um den Schock in der Krise zu einer Triebfeder zu machen, brauchen Führungskräfte Empathie. Doch der Weg dahin ist beschwerlich, steht er doch häufig im Widerspruch zur Sozialisierung von Führungskräften als rational handelnde Manager, die mit klarer Kante zeigen, wo es langgeht. Die Krise allerdings ändert viele Vorzeichen und führt zu persönlichen Begrenzungen, die vorher keine Rolle gespielt haben. Beispiele dafür sind:

  • die Angst, zu versagen, und in der Folge der Rückzug auf untaugliche Reflexe wie beschönigendes Aussitzen, untätiges Abwarten oder aktionistisches Rotieren,
  • ungeeignete Vorstellungen davon, was die Mitarbeiter brauchen, und in der Folge das Vermeiden von emotionaler Nähe und Selbstoffenbarung – denn das könnte ja als unangebrachtes Jammern verstanden werden,
  • die Grenzen des eigenen Handelns aufgrund der Unvorhersehbarkeit der wirtschaftlichen Folgen zu spüren und darauf kopflos zu reagieren.

Die erste Aufgabe der Führungskräfte wäre es, über eine emotionale Verbindung zu den Mitarbeitern Sicherheit und Zuversicht zu vermitteln, Vertrauen auszulösen und für fokussiertes Handeln zu sorgen. Weshalb klappt das oft nicht?

Was ist Empathie und was nicht?

Auf einen einfachen Nenner gebracht, bedeutet Empathie in der Führung, die eigenen Mittel so zu wählen, dass Menschen sich in vertrauensvoller Verbundenheit auf die gewählte Richtung einlassen. Dabei ist es unabdingbar, sich in die Situation und Befindlichkeit der Mitarbeiter hineinzudenken und einzufühlen sowie diese Einfühlung im eigenen Reden und Handeln widerzuspiegeln. Das bewirkt gegenseitiges emotionales Andocken und begünstigt einen gemeinsamen Spirit.

Leider wird die Einfühlung von Managern als Distanzverlust unter Führungsverantwortlichen kritisch beäugt. Das ist sie jedoch nicht. Je nach Situation reicht die Verhaltensbandbreite empathischer Führung von demütiger Handreichung, um die Einsicht zu fördern, bis zu harter Taktvorgabe, wenn ein Ruck durch die Belegschaft gehen muss, der nur mit deutlicher Ansprache zu erreichen ist. Unentschlossenes Zaudern oder profilierungssüchtige Ignoranz gehören nicht dazu. Auch ist Empathie kein Tool, das berechnend im dafür geeigneten Kontext eingesetzt werden könnte. Mitarbeiter spüren, wenn emotionale Zuwendung aufgesetzt ist und nur simuliert wird, und entziehen dann ihr Vertrauen und ihre Unterstützung.

Ob eine Führungskraft Mitarbeiter also verständnisvoll unterstützt oder bestimmte Verhaltensweisen dominant einfordert: Empathie bedeutet nicht, zu kuscheln, sondern authentisch zu verkörpern, was die Mitarbeiter emotional brauchen, um ihre beste Leistung abzurufen. Manche benötigen Zuwendung und Verständnis, andere ein Aufrütteln und klare Ansagen, um aus der Lethargie zu kommen oder Widerstände aufzugeben.

Der Weg zur Empathie

Weil Empathie kein Werkzeug, sondern ein Persönlichkeitsattribut ist, führt der Weg dorthin über eine tiefe Begegnung mit der eigenen inneren Gefühls- und Wertewelt: Welche Gefühle beobachte ich bei mir? Durch welche Werte werden sie ausgelöst? Und wie gut dient meine darauf basierende Reaktion dem Erreichen des Ziels? Diese mutige Introspektion erhellt die eigenen Konditionierungen und die daraus folgenden unwillkürlichen Verhaltensreflexe – und sie ist die Basis dafür, um sich in andere einzufühlen. Denn: Wer sich selbst nicht spürt, kann auch sein Gegenüber nicht spüren.

Dass diese Form vorbehaltloser Selbstklärung als intensiver Prozess nicht per Workshop gebucht werden kann, ist offensichtlich. In den meisten Fällen ist dennoch eine externe Unterstützung sinnvoll. Das verlangt Mut und Anstrengung, zahlt sich jedoch als massiv gesteigerte Führungswirksamkeit aus – in ruhigen Zeiten sowieso, doch insbesondere auch dann, wenn aufgrund von Krisen schnelles Umsteuern angezeigt ist, das die Mitarbeiter vertrauensvoll mittragen sollen.

Es gibt kaum ein stärkeres Führungselement als Empathie. Gleichzeitig ist es fragil, denn emotionale Anbindung und Vertrauen sind schnell verspielt. Durchgängig kongruentes Verhalten ist also elementar. Wenn die Chefetage in bester Absicht Kurzarbeit anmeldet, aber die gleiche Produktionsmenge verlangt, gewinnen Skepsis und Zweifel die Oberhand. Gleiches gilt, wenn von oben aus Kostengründen rückwirkend Urlaub verordnet wird oder wenn bei einem unvermeidlichen Stellenabbau Nachvollziehbarkeit und Wertschätzung auf der Strecke bleiben.

Werden diese Klippen umschifft, dürfen Unternehmer und Manager auf das tatkräftige Mitziehen und die uneingeschränkte Solidarität der Mitarbeiter zählen. Dann sind sie mit vollem Einsatz dabei und kommen nicht nur gut durch die Krise, sondern werden im Anschluss erfolgreicher als zuvor.

In sechs Schritten zur Empathie

Einfühlung in sich selbst

  • Das eigene Verhalten und die eigenen Gefühle beobachten: Wie reagiere ich in welchen Situationen? Welche Gefühle stecken dahinter und wovon werden diese ausgelöst?
    Basisgefühle: Freude, Überraschung, Vertrauen, Ärger, Angst, Trauer, Ekel, Scham, Schuld.
  • Die eigenen Werte freilegen, die die Gefühle speisen: Was ist mir so wichtig, dass ich mit Ärger oder Freude reagiere, wenn ich es vermisse oder spüre?
    Häufig auftretende Werte: Leistung, Erfolg, Selbstbestimmung, Anerkennung, Zuverlässigkeit, Freundschaft, Familie.
  • Die Wirkung der eigenen Werte antizipieren: In welcher Situation werden mir meine Werte eher nutzen oder eher schaden? Wie verhindere ich Schaden?

Einfühlung in andere

Verhalten und Gefühle anderer beobachten: Wie reagieren andere in welchen Situationen und was sagt das über ihre Gefühle aus?

  • Gefühle anderer antizipieren: Welche Gefühle mögen andere angesichts besonderer Situationen, wie zum Beispiel bevorstehender Veränderungen, haben?
  • Auf die Gefühle anderer eingehen: Wie würdige ich die Gefühle anderer und bleibe gleichzeitig bei meinen Zielen?

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe CORONA UND DIE ZUKUNFT. Das Heft können Sie hier bestellen.

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