Leinen los für den ersten schwimmenden Coworking-Space der Welt

Start-up-Kommunikation

Gerald Schömbs sitzt auf gepackten Taschen, in zwei Tagen geht es mal wieder los Richtung Süden. Gemeinsam mit anderen hat der Berliner das Coboat erfunden, einen Katamaran, auf dem Lösungssuchende aus allen Branchen gemeinsam arbeiten und segeln. In Think Tanks auf Zeit arbeiten die Seefahrer an ihren jeweiligen Projekten, tauschen sich aus und vernetzen sich digital auf der Suche nach innovativen Produkten und nachhaltigen Ergebnissen.

Herr Schömbs, wie entstand die Idee zum Coboat?

Gerald Schömbs: Das Coboat ist ein Leidenschaftsprojekt: Meine Partner und ich haben Lust am Segeln, Reisen, Fotografieren, Netzwerken und Mentoring. Zeit meines Berufslebens habe ich von anderen profitiert, das möchte ich jetzt zurückgeben. Coboat ist ein Non-Profit-­Projekt.

Hatte die Coboat-Kommunikationsstrategie auch die ­klassischen Phasen von der Idee über Partner- und Geldgebersuche bis zu Schnitt­stellen und Kunden?

Ja, da waren wir ein beinahe klassisches Start-up. In der unternehmerischen Phase wurde die Idee geboren, daraus resultierte große Aufregung. Als wir an die Öffentlichkeit gingen und schnell weltweites Medieninteresse weckten, herrschte Enthusiasmus pur auf Wolke sieben. Dann ging es an die Umsetzung, und plötzlich dauerte der Schiffsumbau zehn statt zwei Monate, weil wir Vorschäden entdeckten. Das zog sich länger hin als geplant und es folgten Enttäuschung, ­Zweifel, Frustration.

Haben Sie nie daran gedacht, auszusteigen?

Nein. Unsere Lage war außerdem komfortabel, weil wir nie Haus und Hof verwettet haben, nur das Haus. (lacht) Bootsbau ist immer ein Herzensprojekt. Und bei dem Rückschlag durch die Bauverzögerung habe ich mir grundsätzliche Gedanken über das Leben gemacht: Ist es sinnvoll, so viel Zeit und Geld in das Projekt zu stecken, wenn ich eigentlich doch nur segeln und netzwerken wollte und nun seit einem halben Jahr in Phuket festsitze? Es half, innerlich einen Schritt zurückzutreten und sich wieder auf die Grundidee zu besinnen. Also habe ich Coboat statt einer Eigentumswohnung, denn die macht mich nicht schlauer und auch keinen Spaß. Ich stecke mein Geld lieber in kleinen Portionen in Start-ups, erweitere mein Wissen, werde inspiriert und Teil einer Szene.

Welche Kommunikations­kanäle nutzen Sie auf der ­Suche nach Kunden und ­Partnern?

Unsere Medienarbeit läuft im Wesentlichen bei Twitter, Instagram und ­Youtube. Und bei Facebook haben wir neben der Fan-Seite noch eine geheime, geschlossene Gruppe, in die nur Kunden und Netzwerkpartner eingeladen werden, und wo sie sich vernetzen und langfristige Kontakte knüpfen. Allerdings machen wir keine klassischen Aussendungen. Wir haben am Anfang eine Pressemitteilung geschrieben, seitdem nicht mehr. Ich finde sowieso, dass sich endlich die Pressemitteilung 2.0 durchsetzen sollte: Vergesst zwei Seiten Prosa und das ganze PR-Geschwurbel! Macht lieber einen Fact Sheet mit Bildern, zwei, drei knackigen Zitaten, Stichworten und Links. Dann können die Journalisten auch nicht mehr alle einfach per Copy and Paste abschreiben.

Kommen als Kunden nur Einzel­personen infrage oder auch Firmen?

Wir haben gerade einem deutschen Konzern Tickets angeboten, aber wir machen keine klassische Charter für Team-Events oder Incentives. Zu uns kommen maximal kleine Teams als Teil einer großen gemischten Gruppe mit einem konkreten Projekt oder einer Problemstellung, die Inspiration von außen suchen.

Nutzen die Unternehmen die Reise auch zur Eigen-PR?

Genau. Stichwort Employer Branding, Flexibilität der Arbeit, Future of Work – Unternehmen sind heute gezwungen, entsprechende Angebote zu schaffen. Viele müssen das erst lernen, die kommen dann zu uns. Gleichzeitig können sie ihre Reise mit dem Coboat mit ein bisschen Storytelling für die externe Kommunikation nutzen, das zeigt sie als innovatives Unternehmen im Kampf um Talente.

Coworking ist ja nicht nur für die großen Unternehmen wie Audi, Adidas oder Lufthansa interessant, die schon innovativ sind. Junge Mitarbeiter haben heute andere Wünsche, als von morgens bis abends im Büro zu sitzen. Das betrifft genauso Klein- und Mittelständler, die buchen jetzt alle Start-up-Safaris nach Berlin. Ich habe gerade vor ein paar Tagen mit jemandem von Dell in Austin, Texas, telefoniert. 25 Prozent ihrer Mitarbeiter weltweit arbeiten heute schon ganz oder teilweise remote. Ihr Ziel ist es, diesen Anteil bis 2020 auf 50 Prozent zu steigern. Das ist ein großer Kraftakt, aber am Ende sparen sie viel Geld, Zeit, und es ist gut für die Umwelt. Alle gewinnen.

Nachhaltigkeit ist nicht nur ein Buzzword in Ihrer Kommunikation – wie füllen Sie es mit Leben?

Wir bekämpfen die Verschmutzung der Ozeane. Viele unserer Kunden sind nicht unbedingt wegen des Segelaspekts an Bord, wir nennen sie Adventurous Entrepreneurs. Sie sind oft zum ersten Mal auf einem Segelboot, ihre erste Begegnung mit dem offenen Ozean ist vielleicht das zufällige Schwimmen mit Delfinen, das hatten sicher viele noch auf ihrer Bucket­ List. Doch bei uns erleben sie auch die negativen Folgen der Umweltverschmutzung, sie sehen den Müll auf offener See, den der Wind an die Strände bläst, erleben hautnah den Kreislauf von Mikroplastik in der Nahrungskette.

Sie unterstützen auch soziale Projekte vor Ort. Haben Sie ein Beispiel?

Wir haben gerade viel Zeit mit einer Unternehmerin verbracht, die auf Lesbos ein kleines Hotel betrieb. Seitdem die Insel von der Flüchtlingskrise betroffen ist, brach ihr Business quasi über Nacht zusammen, also hat sie ihr Hotel in einen Coworking Space umgewandelt. Mit dem „Digital Nomad Lesbos“ erreicht sie nun neue Zielgruppen und leitet die Kampagne „Healing Lesbos“, mit deren Hilfe sich die Insel und die örtliche Wirtschaft wieder nachhaltig positiv entwickeln sollen. Sie war einige Tage mit der Coboat-Crew unterwegs, und wir werden die Projekte langfristig unterstützen.

Kollaborative Seefahrt: Ist das noch Arbeit oder auch ein wenig Urlaub? Jeder reist an mit einem Projekt, einem Problem oder einer konkreten Frage im Gepäck und findet Inspiration und Lösungen von den Mitseglern aus anderen Branchen. (c) coboat.org

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Als klar war, die Crew kommt im Dezember nicht los und verschiebt den Start auf unbestimmte Zeit, war das ein Krisenmoment. Aber das Team setzte in der Kommunikation auf Transparenz und die Community behandelte sie nicht wie einen Reiseanbieter, sondern ließ die Buchungen stehen und wünschte den Gründern viel Glück. Viele haben sogar ihre Hilfe angeboten. Knapp 20 von ihnen haben das Team vor Ort in Phuket tatsächlich besucht und selbst Hand angelegt. Schömbs und Co. haben also mitten im Prozess die Kunden einbezogen, die das Produkt so mit entwickelten. Und ganz nebenbei wurden die zu weiteren Botschaftern, weil sie in ihren Kanälen davon berichteten.

Die Gründer sind eigentlich dauernd auf Investorensuche, aber waren damit zunächst „in höchstem Maße erfolglos“. Also haben sie das selbst gemacht. Die Business-Nomaden ziehen aus dem Coboat als Investoren kein Geld, aber hoffen darauf, dass es sich eines Tages selbst trägt.

Nach der klassischen Denke hätten sie das Projekt auch erst komplett entwickeln und danach an die Presse gehen können. Doch das habe nicht zum Team und Konzept gepasst. Stattdessen arbeiteten die Gründer agil weiter und teilten die Idee früh mit ihrer Community der Coworker und digitalen Nomaden. So wurde das Konzept mit potenziellen Kunden gemeinsam entwickelt, konnten lang­fristig Fans und Unterstützer gewonnen werden. Schmunzelnd erinnert Schömbs sich an das Zitat von Linkedin-Gründer Reid ­Hoffman: „Wenn dir die erste Version deines Produkts heute nicht peinlich ist, bist du zu spät live gegangen.“

Also wurden die Kunden Teil des Produkts: Die Coboat-Crew teilte ihr Konzept im Mai 2015 das erste Mal auf der DNX-Konferenz, die sie als Grass-Root-Plattform nutzen wollte, um in der Coworking-Szene verankert zu sein. Von da ab sollte ein Journalist überall zwischen Singapur und Teneriffa Coworking-Space-Betreiber fragen können, ob die das Projekt kennen. Heute würden die meisten „ja“ sagen.

Schömbs und Kollegen veränderten ihr Produkt anhand des Feedbacks aus der Community. Zum Beispiel die Technik: Die Leute haben ihnen erzählt, welche Collaboration-Tools sie nutzen. So konnten die Bootsbauer die Bedarfe besser erfassen und ihr Netz darauf ausrichten. Inzwischen ist die Crew in der MVP-, der sogenannten Minimal-Viable- Product-Phase. Weil unklar war, wann das eigene Boot fertig wird, haben sie inzwischen ein anderes gechartert, branden das mit ihrem Konzept und sammeln Erfahrungen live.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Communitys. Das Heft können Sie hier bestellen.

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