Lassen Sie die Spiele beginnen!

Spieltheorie

„Gefangenendilemma“, „Hirschjagd“, „Eisverkäufer-am-Strand-Problem“, „Beauty Contest“ – so blumig und unzusammenhängend diese Namen zunächst auch klingen mögen, all diese Begriffe haben doch eines gemeinsam: Sie beschreiben berühmte mathematische Probleme und gehören dem Kosmos der so genannten Spieltheorie an. Klingt spannend, ist es auch. Und sogar weit näher am Alltagsgeschehen, als man vermuten könnte. Denn mithilfe spieltheoretischer Überlegungen können reale Situationen – etwa Verhandlungssituationen mit mehreren Agenturen – bereits im Vorfeld durchdacht und durchgespielt werden. Beherrscht man diese Kunst, kann man sich bei strategischen Entscheidungen klare Vorteile verschaffen – gerade wenn der eigene Erfolg auch von den Entscheidungen anderer abhängig ist und damit auf den ersten Blick kaum planbar erscheint.

Ein bisschen wie Schach

Der Grundgedanke der Spieltheorie besteht darin, bei den eigenen Entscheidungen immer auch die Wechselwirkungen mit denen der übrigen Beteiligten zu berücksichtigen. Ein gutes Beispiel ist hier das Schachspiel: Sieht man die einzelnen Züge des Gegners voraus, kann man eine passende Strategie entwickeln, den Gegner mattsetzen und das Schlachtfeld am Ende als strahlender Gewinner verlassen.
Wenn sich bei diesem Gedanken auch auf Ihr Gesicht gerade ein Siegerlächeln stiehlt, dann haben Sie zumindest schon einmal erkannt, worin der Reiz der Spieltheorie besteht: Während andere sich in Meetings abstrampeln, womöglich mit rotem Kopf und laut erhobener Stimme zu beeindrucken versuchen, lehnen Sie sich entspannt zurück, tippen vielleicht sachte die Fingerspitzen aneinander und blicken lässig-jovial in die Runde. Denn Sie sind den anderen immer ein paar Schritte voraus.

Vorbereitung ist alles

Doch bevor Ihre Allmachtsphantasien mit Ihnen durchgehen: Man sollte sich vor Augen halten, dass es sich bei der Spiel­theorie um ein Gebiet handelt, das sich VWLer und Mathematiker miteinander teilen. Ganz so simpel geht es also doch nicht zu, ohne ein Mindestmaß an methodischem Hintergrundwissen fehlt es am Grundverständnis für die spannende Materie.
Marco Sahm von der Universität Bamberg ist Experte in Sachen Spieltheorie und erklärt die Grundprinzipien folgendermaßen: „Zunächst einmal sollte man sich der Interdependenzen bewusst werden: Was ist die Ausgangslage? Wer sind die einzelnen Akteure? Wie sind sie in einer Situation miteinander verbunden? Welche Wechselwirkungen, welche Abhängigkeiten gibt es? Das sollte man sich zu Beginn sehr klar vor Augen führen.“
Dafür ist es natürlich unabdingbar, im Vorfeld so viele Informationen wie möglich einzuholen. Beispielsweise: Welche Parteien sind an dem bevorstehenden Pitch beteiligt, wer ist die Konkurrenz? Welche Qualitäten haben sie jeweils zu bieten, welche Argumente werden sie ins Feld führen? Worauf legt das federführende Unternehmen Wert? Je penibler die Vorbereitung, desto präziser letzten Endes die Prognosen. Zunächst heißt es also: Machen Sie Ihre Hausaufgaben. Und zwar gründlich.

Keep it simple

Ebenfalls wichtig: Man sollte sich nicht verwirren lassen von nebensächlichen Details. „Konzentrieren Sie sich auf die wesentlichen Aspekte“, rät Sahm. „Denn die Wirklichkeit ist meist doch etwas zu komplex, um alle Aspekte in einem Modell zu berücksichtigen.“ Das jeweilige reale Szenario darf und soll also ganz bewusst vereinfacht werden. Dafür muss man zunächst klären, was die entscheidenden Zielkonflikte, die wichtigsten Aspekte überhaupt sind. In der Fachsprache nennt man diesen Schritt auch „modellieren“: Man versucht, eine vereinfachte Form des tatsächlichen Geschehens zu finden und definiert damit das zu analysierende Spiel.
Interaktion findet nur dann statt, wenn es mindestens zwei Spieler mit mehreren Handlungsoptionen gibt, die etwas gewinnen res­pektive verlieren können. Marco Sahm beschreibt das wie folgt: „Es gibt immer drei wesentliche Elemente: Erstens, die beteiligten Akteure, die Spieler. Zweitens, die den Spielern zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen, also die Strategien. Und drittens, die mit den verschiedenen Strategien-Kombinationen verbundenen Konsequenzen, die sogenannten Auszahlungsfunktionen.“ Die Herausforderung besteht nun darin, das echte Leben in ein solches Spiel zu übertragen. Ein Prozess, der Abstraktionsvermögen und Kreativität erfordert.

Marco Sahm ist Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftstheorie, an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. (c) Universität Bamberg

Ein Baumdiagramm als optische Stütze

Um sich derartige Spielszenarien besser vorstellen zu können, kann es helfen, wenn man sich ein simples Baumdiagramm vor Augen hält: Hat der erste Spieler etwa zwei Handlungsmöglichkeiten „a“ und „b“, so zeichnet man ausgehend von einem Fixpunkt zwei Äste: einen Ast für jede Alternative. Entscheidet sich Spieler 1 für Alternative „a“, gibt es für Spieler 2 etwa wiederum zwei Optionen: die Äste „aa“ und „ab“ kommen hinzu. Entscheidet sich Spieler 1 hingegen für Alternative „b“, kann Spieler 2 sich anschließend etwa für eine der Optionen „ba“ und „bb“ entscheiden: zwei weitere Äste. So wächst der Baum mit jeder Entscheidungsalternative um einen Ast. Entlang der zu den Entscheidungen gehörigen Äste können auf diese Art und Weise bestimmte Wege durch den Spielbaum verfolgt werden – wie bei einem Stammbaum.
Im Falle der Spieltheorie repräsentiert jeder Pfad eine mögliche Strategien-Kombination der Akteure und die daraus folgenden Konsequenzen. Natürlich stößt ein derartiges System ab einem gewissen Grad an Komplexität an seine Grenzen, als optische Stütze erfüllt es gerade zu Beginn aber durchaus ­seinen Zweck.

Werden Sie zum Profiler

Das Spiel ist definiert, der Startschuss ist gefallen. Jetzt geht es in die Tiefe, man verknüpft Logik mit Psychologie. Es gilt, sich in die einzelnen Parteien hineinzuversetzen. Je besser man sich einfühlen kann, desto realistischer schätzt man mögliche Verhaltensweisen der Mitspieler ein. Schlüpfen Sie also in die Gedankenwelt der Anderen, um ihre Handlungsmuster begreifen und vorhersagen zu können. Kurz gesagt: Werden Sie zum Profiler.
Marco Sahm: „Versuchen Sie anhand der Informationen über die übrigen Beteiligten deren Reaktionen auf Ihre eigene Entscheidung zu antizipieren.“ „Ich denke, dass du denkst, dass ich denke, dass du…“ und so weiter und so fort – Ihre empathische Flexibilität ist ebenso gefragt wie Ihr logisches Tiefenverständnis.

Wider die Vernunft

An diesem Punkt wird es nun besonders interessant. Denn schnell lässt man hier einen wesentlichen Faktor außer Acht: Der Mensch ist keine Maschine, er handelt nicht ausschließlich rational. „Verhandlungsspiele sind beste Beispiele dafür, dass eine Theorie, die auf der Annahme rein rationalen Verhaltens der beteiligten Parteien basiert, sehr häufig zu Vorhersagen führt, die von real beobachtetem Verhalten abweichen“, bestätigt Sahm.
Diese Erkenntnis hat dazu geführt, dass die ökonomische Theorie inzwischen dazu übergegangen ist, auch Verhaltensaspekte wie Neid oder Gerechtigkeitsempfinden in ihren Modellen zu berücksichtigen. Denn Spieler handeln häufig wider die Vernunft, emotionale Aspekte kommen zum Tragen. Um diese Tatsache besser verstehen und empirisch überprüfen zu können, führen Spieltheoretiker Experimente durch.

Baumdiagramm (c) privat

Neid und Fairness: Das ­Ultimatum-Spiel

Ein gutes Beispiel hierfür ist das sogenannte „Ultimatum-Spiel“. Zwei Personen verhandeln dabei nach folgenden Regeln über die Aufteilung eines Geldbetrages von zehn Euro: In einem ersten Schritt schlägt eine Person (Spieler 1) eine bestimmte Aufteilung vor: X Euro für die andere Person (Spieler 2) und den Rest für sich selbst. Im zweiten Schritt entscheidet die zweite Person dann darüber, ob sie dem Vorschlag zustimmt oder nicht. Falls sie zustimmt, erfolgt die Aufteilung wie vorgeschlagen. Falls sie nicht zustimmt, scheitert die Verhandlung und beide gehen leer aus.
Geht man nun davon aus, dass beide Verhandlungspartner mit einem möglichst großen Geldbetrag nach Hause gehen möchten, so sagt die klassische Spieltheorie voraus, dass Person 1 Person 2 lediglich einen Cent anbieten und Person 2 jeden positiven Betrag akzeptieren wird. Das wäre – rein rational gesehen – logisch. Spielt man dieses Spiel jedoch tatsächlich mit Probanden in einem Experiment, so stellt man zwei auffällige Abweichungen von diesem prognostizierten Verhalten fest: Erstens bietet Person 1 in der Regel wesentlich mehr als einen Cent an (im Durchschnitt etwa drei Euro), und zweitens lehnt Person 2 häufig auch positive Beträge ab (und nimmt im Durchschnitt nur Beträge größer als etwa zwei Euro an).
Neben der reinen monetären Auszahlung scheinen für die Personen bei ihren Entscheidungen also auch Emotionen wie Neid oder Fairness eine Rolle zu spielen. Idealerweise sollte man sich also folgendermaßen verhalten, so Sahm: „Seien Sie professionell: Lassen Sie sich bei Entscheidungen nicht von Ihren Emotionen leiten, berücksichtigen Sie aber immer die Emotionen der Konkurrenten.“

1, 2, 3 – und los!

Natürlich spielen aber nicht nur psychologische Aspekte eine Rolle. „Für spezielle Belange, wie etwa die Frage, welche Produktionsmenge in einem bestimmten Markt bei einer bestimmten Konkurrenzsituation gewählt werden sollte, ist der Einsatz mathematischer Modelle und geschulter Experten durchaus sinnvoll und einem einfachen Befolgen von „Best Practice“ vorzuziehen“, empfiehlt Marco Sahm. Diese rein mathematische Seite der Spieltheorie ist komplex, und man sollte sie besser den Profis überlassen.
Für alle, die schon in der Schule das Gefühl hatten, unter chronischer Dyskalkulie zu leiden, wäre das Spiel hier definitiv zu Ende. Aber Mensch, ärgere dich nicht: Für das nächs­te Meeting ist auch mit den oben aufgeführten Basic-Tipps schon einiges gewonnen. Modellieren Sie also reale Situationen und entdecken Sie den Spieler in sich – lassen Sie die Spiele beginnen!

 

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