Kunsthalle Hamburg: Bauzaun mit Hashtag

Museumskommunikation

Herr Metzler, wenn der Gegenstand Ihres Jobs zwei Jahre lang größtenteils geschlossen ist, kann das ein kommunikativer Alptraum werden – oder ein sehr langer Urlaub. Gab es jemals die Option, die Kunsthalle komplett zu schließen?

Jan Metzler: Nein, weil wir auf Einnahmen angewiesen waren und auch den Kontakt zum Publikum nicht abreißen lassen wollten. Und die Galerie der Gegenwart als Teil unseres Hauses beinahe bis zum Schluss von den Umbauten ausgenommen und weiter offen blieb.

„Weiter offen“ als Claim für die Baustellenkommunikation war dann das Dach Ihrer Kampagne?

Ja, und die Baustellenkommunikation wandelte sich auf halber Strecke zu einer Image-Kampagne. Eigentlich wollten wir nur einen kleinen Störer für Flyer und Plakate entwickeln lassen mit dem Hinweis, dass wir „weiter geöffnet“ haben. Aber das Team der Berliner Agentur Heine/Lenz/Zizka begriff, dass es nicht nur darum ging, die Böden der Kunsthalle zu erneuern und verschlissene Wandbespannungen runterzunehmen, sondern dass wir das Museum insgesamt öffnen wollten – so entstand der Claim „weiter offen“, der sich auf das Innen und Außen zugleich bezieht. Wir haben unter anderem auch den ursprünglichen Eingang wieder geöffnet und eine breite, einladende Glasfront eingezogen, um die alte, beengte Eingangssituation zwischen Toiletten und Garderobe zu beenden. Aber wir wollten uns auch inhaltlich öffnen, mit den Besuchern in den Dialog treten. Eigentlich wurde nur ein Wort abgewandelt, aber dahinter steht viel mehr.

Wie lief die Veränderung konkret?

Normalerweise stünden in so einer Situation die Bauarbeiten kommunikativ im Vordergrund, aber das war uns zu negativ besetzt. Wir hatten einfach die Sorge, dass uns dann zwei Jahre lang die Besucher wegbleiben, denn der Hauptstrom unserer Besucher kommt aus Richtung Hauptbahnhof, und von dort sah man aber erst einmal nur eine große Baustelle. Der neue Claim ist grammatikalisch ja eigentlich nicht ganz korrekt, darüber stolpert man – aber es war ein gutes Stolpern. Wir haben ihn dann im Laufe der Kampagne weiter ergänzt: Weiter entdecken, forschen, sammeln. Da lag der Fokus auf dem, was wir tun. Aber als wir ihn dann mit dem ergänzten, was unsere Besucher hier bei uns in der Kunsthalle tun können, entwickelte sich das Ganze in Richtung Image-Kampagne mit Zusätzen wie weiter staunen, nachdenken, erleben, diskutieren, glauben. Außerdem haben wir uns bewusst vom damaligen Corporate Design wegbewegt: Bis dahin hatten wir eine Serifenschrift und als Leitfarbe ein hanseatisches Dunkelblau, plötzlich nutzten wir Knallgelb und eine Punktschrift, die an einen News-Ticker erinnert, was das Temporäre dieses Designs noch unterstrichen hat.

Also haben Sie gleich noch nebenbei einen Relaunch des CD gemacht?

Nein, denn das Design sollte nur so vorübergehend sein wie die Baustelle. Das Gelb wirkte frisch, offen und zeigte die Veränderung sofort. Aber wir wollten die Zeit der Modernisierung auch dafür nutzen, Neues in der Kommunikation auszuprobieren: Wenn etwas nicht funktioniert, lassen wir es wieder, und das macht nichts, weil allen klar ist, dass wir uns in einer Umbruchphase befinden. Insofern war das Ganze natürlich auch ein Probelauf für die Einführung unseres neuen Corporate Designs, die dann Anfang 2016 erfolgte.

Was haben Sie noch ausprobiert?

Wir haben unsere Social-Media-Aktivitäten verstärkt: Als erstes Museum Deutschlands haben wir wie im New Yorker Whitney Museum die Aktion #emptymuseum veranstaltet und gemeinsam mit den beiden hamburger Bloggern gerd_pauly und bosch nachts 40 Instagram-Blogger ins leere Haus eingeladen. Sie sollten einfach fotografieren, was ihnen gefällt, und es auf ihren Kanälen mit unserem Hashtag teilen. Wir mussten nur darauf achten, aus Urheberrechtsgründen die Werke zu markieren, die sie nicht abbilden durften. Zusammen hatten die Blogger zwei Millionen Follower, was natürlich eine unglaubliche Reichweite ist.

Was waren die nächsten Aktivitäten?

Zum Beispiel hat im Wiedereröffnungsmonat Mai 2016 die Firma ECE auf Initiative des Mäzens Alexander Otto dann einen Monat freien Eintritt für alle Besucher gesponsert – mehr Öffnung geht nicht. (lacht)

Was hat es mit der Aktion „Spot on“ auf sich?

Wir haben während der Bauarbeiten im Sockelgeschoss der Galerie der Gegenwart eine Highlight-Auswahl mit 200 Werken präsentiert. Um bekannte Motive aus der Sammlung herauszuheben, haben wir das Bild auf Plakaten verdunkelt und einen hellen Spot auf einzelne Details gelegt. So wie das einzelne Bild ja auch nur ein Spot aus unserer Gesamtsammlung ist. Der Überblick über 700 Jahre Kunstgeschichte war als Einstieg gedacht, es müssen ja nicht immer gleich 12.000 Quadratmeter sein.

Plakatwerbung "Spot on" (c) Hamburger Kunsthalle

Plakatwerbung “Spot on” (c) Hamburger Kunsthalle

Kurz vor der Wiedereröffnung fuhr eine Lok durch Hamburg, auf die jemand Ihren Slogan „Die Kunst ist zurück“ gesprayt hatte. Zufall oder illegale PR?

Reiner Zufall, wir wissen nicht, wer das gemacht hat. Wir fanden das Bild auch nur im Netz, aber es zeigt, wie stark der Claim war, den wir für unsere Wiedereröffnungskampagne auf Plakate gedruckt hatten – allerdings komplett ohne Absender. Nirgendwo stand „Kunsthalle“ drauf, wir haben einfach die Kunst in den Vordergrund gerückt. Und es hat funktioniert, wie man an den über 205.000 Besuchern sieht, die allein im ersten Monat die Kunsthalle besucht haben.

Gab es noch andere kommunikative Unterstützung?

Eine wichtige Rolle spielte unser Freundeskreis, der mit mehr als 18.000 Mitgliedern der größte eines deutschen Museums ist. Der Freundeskreis hat zwischen Hauptbahnhof und Kunsthalle einen gelb gebrandeten Container aufstellen lassen und dort einen temporären Buchladen mit Ticketstore aufgebaut. Es ging darum, eine Brücke vom Bahnhof zum Haus zu bauen. Die Freundeskreismitglieder sind für uns wichtige Multiplikatoren in die Stadt hinein. Wenn jeder von ihnen uns in der Bauzeit auch nur einmal besucht und dann davon anderen erzählt, ist das mit Geld nicht aufzuwiegen.

So eine Spielwiese für Ideen muss das Paradies für einen Kommunikator gewesen sein.

Absolut. Ich bin seit 13 Jahren an der Kunsthalle, aber diese Zeit war eine einmalige Situation, die man im Berufsleben nicht oft hat, weil Museen nicht oft komplett neu gestaltet werden. Aber wir mussten ja auch den normalen Betrieb aufrechterhalten. Die Besucherzahlen von normalerweise 380.000 Besuchern im Jahr sanken während der Bauzeit trotz der massiven Einschränkung der Fläche nur auf 320.000, das hat uns sehr gefreut.

Und die Zeit hat uns auch als Team neu zusammengeschweißt, weil viele von uns plötzlich gemeinsam in einer temporären Büroetage saßen, die mitten in der Galerie der Gegenwart eingerichtet wurde. So entstanden neue Dialoge über Fragen wie „wer sind wir?“ und „was ändern wir?“.

Einige der Kollegen wurden dann ja auch selbst zu Protagnisten in einer Broschüre.

Ja, in unserem Heft zur Wiedereröffnung kamen neben unserem Direktor zum Beispiel unsere Registrarin zu Wort, also diejenigen, die die Bilder verwaltet. Oder der Hausmeister, der die Leiterin der Aufsichten, eine Kollegin vom Besucherdienst und eine Restauratorin, denn am Ende machen doch die Menschen ein Museum lebendig. Die Fotos mussten wir mitten auf der Baustelle machen, damit alles noch rechtzeitig fertig wurde, aber so hat die Broschüre einen besonderen Charme durch das Temporäre.

Gab es für all das ein Extrabudget?

Ja, das alles geht ohne Sondermittel natürlich nicht.

Was war Ihr persönliches Highlight der vergangenen zwei Jahre?

Der Bauzaun.

Der einzige Bauzaun mit eigenem Hashtag (c) Hamburger Kunsthalle

Der einzige Bauzaun mit eigenem Hashtag (c) Hamburger Kunsthalle

Weil er inzwischen wieder weg ist oder der einzige mit einem eigenen Hashtag war?

Eher, dass er so gut kommunikativ funktionierte. Am Anfang hat niemand daran gedacht, ihn als Kanal zu nutzen. Aber im Gespräch mit der Agentur haben wir beschlossen, ihn auch knallgelb zu streichen und in der Schrift aus gepunkteten Buchstaben Schlagworte aus der Kampagne darauf zu schreiben wie „weiter denken“. Es war toll zu sehen, wie Menschen Fotos davon in Social Media geteilt haben, das hat sich verselbständigt. Und irgendwann hat jemand heimlich aus „weiter offen“ mit einem einzigen selbstgemalten Buchstaben „weiter hoffen“ gemacht – das war toll. Wir haben lange gerätselt, wie es dazu kam, weil das offenbar jemand über Nacht mit großer Akribie gemalt hatte, alle Punkte waren perfekt platziert.

Und wurde das Rätsel gelöst?

Ja, aber erst vorletzte Woche. Da bekam unser Direktor zwei Postkarten mit Fotos der Aktion von einer Hamburger Künstlerin, die sich so outete: Elisabeth Richnow.

Kommunikativer Glücksfall: Eine Künstlerin machte aus dem Claim ein eigenes Werk, so wurde aus "offen" "hoffen". (c) Hamburger Kunsthalle

Kommunikativer Glücksfall: Eine Künstlerin machte aus dem Claim zunächst heimlich über Nacht ein eigenes Werk, so wurde aus “offen” “hoffen”. (c) Hamburger Kunsthalle

Was kommt als nächstes?

Wir dürfen uns jetzt nicht ausruhen. Als nächstes kommt unsere große Surrealismus-Ausstellung, die wir im Oktober eröffnen. Außerdem planen wir schon für 2017, weil wir einen relativ langen Vorlauf haben. Vor kurzem haben wir unsere Webseite ge-relauncht und schon jetzt mit Unterstützung der Stadt und privater Stiftungen 17.000 Graphikblätter aus unserer Sammlung online gestellt. Und demnächst folgen die ersten 300 Gemälde und Skulpturen, um allen Menschen auf der ganzen Welt Zugang zu unseren Werken zu bieten. Die sind dann hoch aufgelöst und wissenschaftlich aufbereitet im Netz. Auch das, um uns weiter zu öffnen. Wir wollen die physischen Grenzen des Museums aufheben.

Digitalisierung ist für Museen eine besondere Aufgabe – aber kannibalisieren Sie sich damit nicht selbst?

Nein, denn die Kraft des Originals ist so stark – sonst bräuchten wir ja gar keine Museen mehr. Dass die Besucherzahlen aller Museen steigen, ist ein Zeugnis dafür, dass der Wunsch nach dem Original trotz der Digitalisierung und Allgegenwärtigkeit von Bildern in den Medien groß ist. Ich war im Urlaub im Pariser Louvre, und es ist beeindruckend zu sehen, wie viele Menschen sich vor der Mona Lisa drängen, obwohl die vermutlich eines der meistreproduzierten Bilder der Welt ist.

Jede Generation hat ihren eigenen Zugang zu den Werken. Bei uns ist Fotografieren ausdrücklich erlaubt, weil wir wollen, dass sich Menschen auf ihre eigene Art mit den Werken auseinandersetzen. Das ist halt die Sehgewohnheit der Jüngeren. Und unsere Aufgabe ist es, ihnen zu helfen und zu zeigen, wie man die Bilder lesen kann. Das ist Herausforderung und Chance zugleich für Museen.

Welche der Extensions der „weiter offen“-Kampagne war Ihre liebste?

Eindeutig „weiter riskieren“. Wir müssen uns in einer so großen Institution mit langer Geschichte immer wieder daran erinnern, dass die größte Kunst immer die war, die etwas riskierte in ihrer Zeit. Auch der Besucher weiß nicht, worauf er sich einlässt, weil man nie weiß, was Kunst in der Betrachtung mit einem macht. Ich sehe das als Mahnung an uns, bei allen durchdeklinierten Kommunikations- und Marketingaktivitäten die Experimente nicht zu vergessen. Wenn man nichts riskiert, kommt man nicht voran.

 

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