Wie managt man einen Shitstorm?

Kulturkämpfe im Netz

Als der Wursthersteller Rügenwalder Mühle vor einigen Jahren begann, Fleischersatzprodukte zu verkaufen – der aktuelle Umsatzanteil beträgt 27 Prozent –, wurde er zum Schauplatz eines Kulturkampfs. Schließlich sind Fleisch und Wurst deutsches Kulturgut – wie Brot und Bier. Jede Veränderung bewirkt deshalb reflexhafte Reaktionen bei Konsumenten, Medien und Politikern. Jüngst beim damaligen Bundesernährungsminister Christian Schmidt (CSU), der vegetarische Buletten oder Würste als Verbrauchertäuschung brandmarkte. Während die Sau mit der Aufschrift „Pseudofleisch-Verbot“ sporadisch durchs große Mediendorf getrieben wird, gibt es in den Kommentarspalten der Rügenwalder-Websites ständig Alarm oder zumindest einen regen Austausch unversöhnlicher Ansichten. Logisch, da die Netzwelt immer auch ein Tummelplatz für sendungsbedürftige Rechthaber ist. Allein auf Facebook hat das Unternehmen 240.000 Fans.

Laut Gabriele Soballa, zuständig für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der Rügenwalder Mühle, hatten sich rasch Fraktionen gebildet: „Die Vegetarier, die unsere Veggie-Produkte lieben, aber auch die, die vegetarische Produkte von einem Fleischunternehmen empört ablehnten, und dann die absoluten Fleischfans, die uns für total bekloppt hielten.“ Obwohl man zwischen allen Stühlen saß, hatte das Unternehmen keine Strategie für den Umgang mit der konfliktreichen Situation ausgeklügelt, wie die für Blogger und Social Media zuständige Kollegin Franziska Brosig sagt. Was sie dann beschreibt, ist jedoch eine Strategie, die für die Rügenwalder nur nicht so wirkt, weil es der generellen Unternehmenskultur entspricht: Offenheit, Ehrlichkeit, Eingestehen von Pannen. „Wir haben uns vorgenommen, immer wieder unsere Position zu erklären, ohne Schema-F-Antworten. Wir ignorieren keine Kritik, sondern gehen auf jede Rückmeldung ein, solange sie nicht total unter der Gürtellinie ist.“ „Was wirklich nicht selten vorkommt“, sagt Franka Pohl von der Hamburger Kommunikationsagentur Brawand Rieken. Sie ist im Auftrag der Rügenwalder Mühle fürs Community-Management bei monatlich circa 300 neuen Diskussionen verantwortlich und erstellt auch die Postings: „Manche User pflegen eine vulgäre Sprache, aber wir löschen deren Kommentare nicht, sondern machen deutlich, dass es auch im Internet Tischmanieren gibt. Die vermitteln wir gern mit Wortwitz. So verwandeln wir das Gemotze von Trollen quasi in Unterhaltung für die Community.“

Fachlich korrektes Antworten gepaart mit Humor – das funktioniert offenbar, wobei über allem der Gedanke steht: Keine ängstliche Rechtfertigung für den als richtig erkannten Weg der Produktumstellung auf vegan oder Bio! Statt Entschuldigungsattitüde gibt es aktives Vorgehen gegen Veganer-Hasser, die sich natürlich nie ernsthaft überzeugen lassen. „Aber man kann bei ihnen durch witzige Antworten Sympathiepunkte sammeln und diese harte Contra-Haltung ein wenig eindämmen“, sagt Franka Pohl.

Keine Überzeugungsarbeit

Überzeugungsarbeit zu leisten ist deshalb auch nicht die ideale Überschrift für den öffentlichen Auftritt des Fleischunternehmens. Es geht gerade nicht darum, Fleischfans oder Veganer von irgendwas zu überzeugen – außer von der Glaubwürdigkeit des Unternehmens in Bezug auf sein Umdenken als Nahrungsmittelproduzent. Deshalb gab es schon vor Jahren einen Kundenbeirat (der quasi von der Social-Media-Community abgelöst wurde) und deshalb werden persönlich anmutende Videos von Mitarbeitern ins Netz gestellt und unterschiedlichste Ernährungsfans aus der Community zusammen mit Pro- und Contra-Bloggern nach Bad Zwischenahn eingeladen, um mit Mühle-Mitarbeitern zu sprechen oder den Geschäftsführer Godo Röben in einer Talkrunde zu treffen.

Die Videos mit ihm hätten geholfen, die Ernsthaftigkeit des Wandels der traditionellen Fleischfirma zu unterstreichen, sagt Franka Pohl. Egal wie gut das Posting sei, viel wichtiger sei für den Fan, dass er sich ernst genommen fühle, seine Fragen beantwortet würden und auf seine Kritik eingegangen werde. „Wir schreiben jeden Wunsch auf, der auf Facebook, Twitter oder Instagram geäußert wird. So schafft man eine Verbundenheit oder zumindest eine Verbindung zwischen Unternehmen und Verbrauchern, aus der bestenfalls ein Zusammenspiel bei der Entwicklung neuer Produkte wird.“

Natürlich gibt es immer auch Fälle, wo ein Unternehmen vom Gegenwind überrascht wird, weil es eigentlich gar nichts falsch gemacht hat. So wie die Mannheimer Brauerei Eichbaum, die vor der Fußball-WM in einen nie erwarteten Shitstorm geriet. Dabei ging es doch nur um Kronkorken. Auf die hatte sie, wie bei anderen WM-Turnieren zuvor, die Flaggen der Teilnehmerländer gedruckt. Den Fauxpas brachte der saudi-arabische Kronkorken: Auf dem ist neben einem arabischen Text auch ein Schwert abgebildet, das Glaubensbekenntnis des Islams, der den Genuss von Alkohol verbietet. Die Empörung strenggläubiger Muslime fegte durchs Netz nach Mannheim. Der Brauerei half auch keine Entschuldigung mehr. Im Gegenteil, die wurde sogleich mit einem Bierboykottaufruf der AfD quittiert. Am Ende rieten Polizei und Staatsschutz zur Vorbeugung weiterer Beleidigungen zum Löschen des Entschuldigungsposts. Die Brauerei stellte letztlich die Produktion mit den Länderkorken ein und holte die ausgelieferten Flaschen zurück.

In diesem Fall muss man wohl sagen, dass die Brauerei praktisch nichts mehr richtig machen konnte. Sie konnte nur die Lehre ziehen, selbst freundlich und unpolitisch gemeinte Marketingaktionen darauf abzuklopfen, ob sie im aufgeheizten gesellschaftlichen Klima nach hinten losgehen könnten.

Ein Produkt für Knastis?

Was hätte man bei Eichbaum wohl dafür gegeben, wenn der Shitstorm nur ein teilweise von Satirikern angefachter Sturm im Wasserglas gewesen wäre, so wie bei der Drogeriekette DM, als diese 2017 ein Eigenprodukt zur Pflege tätowierter Haut herausbrachte. Auch hier wurde schnell ein Shitstorm vermeldet und als Empörungsbeleg unter anderem der Vorwurf von Tattoo-Gegnern zitiert, wonach DM nun auch noch Produkte für Knastis vermarkten würde, weil ja nur die tätowiert seien.

Dabei war das lediglich ein Gag der Facebook-Community „Keine Tattoos. Es ist schön, keine Tattoos zu haben“. Die zeigt auf ihrer Seite übrigens auch eine anatomische Karte mit Tattooplatzierungen und ihrer Bedeutung. Ein Tattoo auf dem linken Schienbein bedeutet: „Lebt vegan, aber isst heimlich Fleisch“. Vielleicht hatten das die DM-PRler auch gesehen und deshalb auf die aufgebauschte Empörungswelle nicht groß reagiert. Ist selten, aber manchmal eben doch eine gute Idee.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe ALLES AUF ANFANG. Das Heft können Sie hier bestellen.

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