Zahlen sind nur Silber

Bewerberrückgang trotz „Die Rekruten“

Es klingt nach einem Widerspruch. Einerseits haben „Die Rekruten“, eine zwölfmonatige Reality-Webserie der Bundeswehr auf Youtube, gerade einen „Grand Effie“ und weitere hohe Auszeichnungen der Kommunikationswirtschaft eingeheimst. Andererseits verzeichnet die Bundeswehr in diesem Jahr 15 Prozent weniger Bewerber für den freiwilligen Wehrdienst – also ausgerechnet für jene Dienstform, die durch „Die Rekruten“ populärer gemacht werden sollte.

Sicher, hierzulande herrscht nahezu Vollbeschäftigung, und viele Branchen klagen über Fachkräftemangel. Junge Menschen mit Abschluss kommen mit dem schieren Überangebot an Ausbildungs- und Karrieremöglichkeiten kaum klar. Trotzdem können es manche nicht fassen, dass die bejubelten „Rekruten“ diesen Trend für die Bundeswehr nicht zumindest kompensiert haben. Werbefachmedien sprechen jetzt gar von einem Preisträger mit Schrammen. Man kann es auch positiv sehen: Wenn die Erwartungen an die Wirksamkeit derart hoch liegen, muss der Bundeswehr mit den „Rekruten“ offensichtlich etwas ganz Besonderes gelungen sein.

Und tatsächlich sei es jedem empfohlen, sich ein paar der gut 60 Folgen von den „Rekruten“ auf Youtube anzusehen, auch wenn man nicht zur Kernzielgruppe der 17- bis 25-Jährigen gehört. Stück für Stück erschließen sich zwölf junge Männer und Frauen auf dem Marinestützpunkt Parow die unbekannte Welt des freiwilligen Wehrdienstes und nehmen den Zuschauer dabei mit. Sie haben Spaß, sie werden herausgefordert, sie durchleben schwierige Phasen und werden Kameraden. Die wackelige Handykamera-Optik, Fischaugenobjektiv und schnelle Schnitte entsprechen den Sehgewohnheiten der Zielgruppe.

Vor allem aber ist das alles genauso aufregend oder auch genauso öde wie die Wirklichkeit: Die Rekruten sind sehr normale junge Leute, und ihre neue Umgebung ist kein Abenteuerspielplatz. Die Vorgesetzten sind auch nicht gerade aus Hollywood eingeflogen. Über deren höchstens freundlich-bestimmten Ton dürften ehemalige Wehrpflichtige allerdings verblüfft sein, ebenso wie über das leise Wecken, die Abwesenheit von Beschimpfungen, die pädagogisch wertvollen Zurechtweisungen.

Immerhin gibt es noch die scheinbar sinnlosen Tätigkeiten, das Abzählen Hunderter Kleiderbügel, die ganzen Rituale. Aber es wird allenfalls gefordert, nicht geschunden. Älteren Zuschauern verschafft die Serie damit nebenbei auch einen Einblick in die tiefgreifende Kulturveränderung seit der Abschaffung der Wehrpflicht und der Öffnung der Truppe für Frauen.

Ausgerechnet die Bundeswehr

Dennoch erscheint das Vorhaben, aus dem freiwilligen Wehrdienst einen Blockbuster zu machen, angesichts der Ausgangslage erst mal tolldreist: Die Bundeswehr ist Berufseinsteigern im besten Falle unbekannt. Die Bemühungen im Rahmen der 2014 von Verteidigungsministerin von der Leyen ausgerufenen „Attraktivitätsoffensive“ greifen nicht über Nacht. Soldat zu sein ist unter jungen Deutschen kein weitverbreiteter Traum. Mit entsprechender Skepsis, gar Häme begleiten Medien den Start der Serie im November 2016. Man rechnet mit einem Flop.

Doch schon kurz nach dem Anlaufen der Kampagne zeigt sich das Gegenteil: „Die Rekruten“ gehen geradezu durch die Decke. Sie sammeln über 44 Millionen Views, 270.000 Abonnenten und 150.000 mehrheitlich positive Kommentare. Die Webserie wird zu einem der erfolgreichsten deutschen Social-Media-Projekte.

In der Folge erkundigen sich deutlich mehr junge Menschen nach dem Wehrdienst. Bei Befragungen wird die Bundeswehr sogar als Top-Arbeitgeber eingestuft. Mehrere Fernsehsender interessieren sich für die Ausstrahlung der reichweitenstarken Serie und es regnet Auszeichnungen. Das Urteil ist einhellig: „Die Rekruten“ ist eine sehr gute, weil durchdachte, zielgruppengerechte und professionell umgesetzte Kommunikationsmaßnahme.

Die schwierige Aufgabe, einer Werbebotschaft Glaubwürdigkeit zu verleihen, indem man die Realität möglichst konsequent Modell stehen lässt, ist hier gelungen. Junge Menschen auf der Suche nach beruflicher Orientierung werden nicht nur durch Inhalt und Machart mitgenommen, „Die Rekruten“ kommen auch dorthin, wo sich die Zielgruppen aufhalten – in die sozialen Medien.

Anerkennung verdient vor allem, dass eine Institution, die sich erst seit wenigen Jahren überhaupt mit dem Thema Werbung und Employer Branding auseinandersetzen muss, anderen Branchen mit Nachwuchsproblemen zeigt, wie es geht. Manche deutsche Topmarke mit deutlich mehr Ressourcen und Experimentierfreiheit dürfte insgeheim schwer bedauern, sich jahrelang der Klage über den Fachkräftemangel hingegeben zu haben, anstatt mit einer frischen Idee den Vorteil des „first movers“ zu nutzen. Das tat jetzt eben die Bundeswehr.

Mut, nicht jedem zu gefallen

Wirklich bemerkenswert wird die ganze Aktion aber erst durch ihren gesellschaftlichen Kontext. Denn es ist nicht das erste Mal, dass Streitkräfte eine Webkampagne im Stil des Reality-TVs einsetzen, um Nachwuchs zu gewinnen. Die US-Army hat 2013 mit „Starting Strong“ ein entsprechendes Format kreiert, durchaus mit Erfolg. Das mag das Team um die Agentur Castenow und Dirk Feldhaus, den „Beauftragten Kommunikation der Arbeitgebermarke Bundeswehr“, inspiriert haben.

Wenn ja, waren die Risiken hierzulande dennoch ungleich höher. In den USA sind die Streitkräfte nicht nur ein anerkannter Arbeitgeber. Es ist auch ein allgemein akzeptierter, guter Beweggrund für die Berufswahl, als Soldat dem eigenen Land dienen zu wollen. Wenn unter solchen Voraussetzungen eine Werbekampagne schiefgeht, ist das nicht schön, aber nur in begrenztem Maße folgenreich.

Die Bundeswehr hingegen brauchte verdammt viel Mut. Denn hierzulande war klar, dass jedwede Kampagne auf eine sehr kritische Öffentlichkeit treffen würde. Werden hier Steuergelder verschwendet? Knapp acht Millionen Euro für „Die Rekruten“ sind schließlich kein Pappenstiel. Andererseits hat auch niemand so leicht einen gültigen Maßstab parat: Die Bundesregierung hat gerade ihren Gesamt-Werbeetat in Höhe von 100 Millionen Euro ausgeschrieben.

Ist das jetzt zu viel, zu wenig oder gerade richtig? Und verniedlicht ein Format wie „Die Rekruten“ nicht die erheblichen Gefahren, die der Soldatenberuf mit sich bringt? Verschweigt es nicht auch die mannigfaltigen Probleme der Truppe – von Ausrüstungsmängeln bis zu den vielen Skandalen um teils gravierendes Fehlverhalten? All diese Kritikpunkte wurden in den letzten Monaten zu Recht öffentlich diskutiert.

Und gerade in dieser Diskussion zeigt sich, wie sehr sich die Bundeswehr verändert hat: Defensive, Abschottung und Intransparenz waren früher. Heute ist die Kommunikation der Streitkräfte getragen vom Bemühen um Offenheit, der Vermittlung von Tatsachen, dem Anbieten von Erklärungen – auch über Schwächen und schwierige Themen. Aus dieser Gesamtstrategie heraus entstanden „Die Rekruten“.

Es ist in Ordnung, dass sich die deutschen Streitkräfte um Attraktivität als Arbeitgeber bemühen, dabei pfiffig und mutig vorgehen und niemand der Meinung ist, dass das jedem gefallen muss. „Wir kämpfen auch dafür, dass du gegen uns sein kannst“ lautet ein Slogan der Bundeswehr. In einem Land mit einer Armee, die diesen Anspruch einlöst – auch wenn sie keine Bewerberrekorde bricht –, möchte man leben.

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Dieser Beitrag ist zuerst im Handelsblatt erschienen.

 

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