Kreativ oder zynisch? Bayern sucht „beste Tafel“

Umstrittener Wettbewerb

Moralische Bankrotterklärung, geschmacklose Idee, lustiges Hunger Games-Spielchen, erbärmlich und menschenverachtend, widerlich, pervers – die Kritik an einem neuen Wettbewerb des bayerischen Ernährungs- und Landwirtschaftsministeriums fällt äußerst harsch aus.

Am 3. Mai hatte das Ministerium per Pressemitteilung den neuen Wettbewerb der bereits 2016 gegründeten Aktion „Gemeinsam Lebensmittel retten“ vorgestellt. Fünf so genannte Tafeln oder andere karitative Einrichtungen in Bayern, die nicht mehr benötigte Lebensmittel an Bedürftige weitergeben, können dabei jeweils bis zu 5.000 Euro gewinnen.

„Wir wollen mit dem Wettbewerb das große Engagement der Ehrenamtlichen und ihren wichtigen Beitrag zur Rettung von Lebensmitteln den Menschen vor Augen führen“, sagte Michaela Kaniber, Staatsministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Offensichtlich wird bei der Aktion weniger die Armut bestimmter Bevölkerungsgruppen thematisiert, die auf Unterstützung von Tafeln angewiesen sind. Vielmehr solle laut Kaniber erreicht werden, „die Wertschätzung der Menschen für Lebensmittel weiter zu steigern.“

Der Wettbewerb für Tafeln stieß in ersten Reaktionen praktisch durchweg auf Ablehnung, oftmals in scharfen Worten. Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Grünen im bayerischen Landtag, fragte noch vergleichsweise moderat, ob man nicht lieber daran arbeiten sollte, dass es keine Tafeln mehr braucht.

Die Autorin und mehrfach ausgezeichnete Sozial-Unternehmerin Sina Trinkwalder ging weiter. Sie twitterte: „Nach dem Wohlstand kommt die Barbarei, oder: Wenn fremdschämen nicht mehr reicht.“

 

Das reichste Bundesland kürt die beste Tafel.

Nach dem Wohlstand kommt die Barbarei, oder: Wenn fremdschämen nicht mehr reicht. #wohlstandsverwahrlosung #Tafel https://t.co/SjDx4lZw7O

— Sina Trinkwalder (@manomama) 5. Mai 2019

 

Andere Äußerungen in den sozialen Netzwerken fielen noch deutlicher aus. Der Wettbewerb unter den Tafeln wurde als zynisch und pervers bezeichnet, als schäbig und menschenverachtend. Mehrfach wurde eine Parallele zur erfolgreichen Filmreihe „Hunger Games“ gezogen und dem bayerischen Landwirtschaftsministerium vorgeworfen, Initiativen zur Armutsbekämpfung einer „Wettbewerbsideologie“ zu unterwerfen.

 

Ich finde es ziemlich zynisch. Wahrscheinlich gut gemeint, aber die Wirkung bis zum Ende bedacht.

— Maike Kueper (@MkKueper) 5. Mai 2019

Wir leben in einer Gesellschaft, die den Wettbewerbsgedanken über jeden Zynismus hinaus verinnerlicht hat. https://t.co/ysdcVKAeqz

— Simon Dudek (@simon_dudek) 3. Mai 2019

Die beste Tafel wäre ja die, die man gar nicht braucht.
Von da her ist es reichlich gaga, so einen “Wettbewerb” auszurufen. Hoffentlich fallen die Tafeln nicht darauf herein.

— Frank Gladisch (@FrankGladisch) 5. Mai 2019

So pervers kann Politik sein. Für sozialpolitisches Totalversagen der Politik = Tafeln erfinden sie einen Wettbewerb mit Preisvergabe

— bootboss (@bootboss) 5. Mai 2019

Ich fass es nicht – ein Wettbewerb unter den Tafeln. Seid ihr noch gescheit, @CSU Michaela #Kaniber? https://t.co/7wnUlaSSHC

— vera bunse (@kaffeebeimir) 4. Mai 2019

 

Das Konzept der Tafel wurde 1993 erstmals in Deutschland umgesetzt. Bundesweit enstanden seitdem rund 900 Tafeln mit etwa 3.000 Ausgabestellen. Schätzungen zufolge unterstützen sie jede Woche bis zu 1,5 Millionen Menschen mit Lebensmittelspenden.

Allein in Bayern bestehen laut Ministeriumsangaben mittlerweile rund 170 Einrichtungen mit rund 11.000 überwiegend ehrenamtlichen Mitarbeitern, die jährlich etwa 33.000 Tonnen Lebensmittel verteilen.

 

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