Sehnsucht nach Stille

Kommunikation

Bei der Fernseh-Übertragung einer der Oster-Liturgien aus dem Petersdom in Rom kam es zu folgender Situation: Alle Schriftlesungen waren gelesen, alle Gebete gebetet, alle Psalmen gesungen. Die Blicke der Feiernden und die Objektive der Kameras richteten sich auf den Papst, und für einen kurzen Moment sprach niemand, keine Musik ertönte, alle saßen da. Es war einfach nur Ruhe. Ein Moment der Besinnung und des Nachdenkens. Die ARD-Kollegin Andrea Kammhuber kommentierte diese Phase mit den Worten: „Stille ist auch ein Element der Kommunikation.“

Wie recht sie hat! Stille als vielleicht sogar wichtigstes Element der Kommunikation. So wie die Pause einer der wichtigsten Bestandteile in jeder Rede und in jedem Vortrag ist. Damit die Zuhörerinnen und Zuhörer Zeit haben zum Verschnaufen, zum Nachdenken über das Gesagte; damit die Botschaft ankommen, sich setzen und Wirkung entfalten kann.

Damit wir nicht irr werden und zusammenbrechen unter der Last eines kommunikativen Trommelfeuers, das 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche auf uns einhämmert. Und damit wir unter dem Lärm der Dauerbeschallung nicht taub werden für die Informationen und Aussagen, die dann doch auch einmal wichtig sind und die alle hören und wahrnehmen sollten.

Dauerrauschen führt dazu, dass wichtige Nachrichten nicht gehört werden

Was können wir nicht alles lernen von dieser Form der Kommunikation durch Stille. Natürlich fällt mir bei diesem Gedanken – wie vermutlich vielen anderen auch – das Kommunizieren in der Corona-Pandemie ein. Das Dauerrauschen der verschiedenen Meinungen, das Mahnen und Fordern, das Sich-Gegenseitig-Zustimmen und Doch-Gleich-Wieder-Zurückweisen, die Einigung und im scheinbar selben Atemzug die Widersprüche. Jeder hat noch etwas zu sagen. Doch wie auf einem alten Anrufbeantworter sind unsere Speicher längst voll. Da ist kein Platz mehr.

Einfach mal die Klappe halten. Das ist nicht nur eine immer wieder verwendete Redewendung, es gibt auch Bücher, die unter diesem Titel zum „Schweigen als wichtiges kommunikatives Element in beruflichen und privaten Situationen“ ermuntern. Und das möchte man nicht nur in der Pandemie-Debatte allen Beteiligten als Rat und dringende Bitte an die Hand geben. Stoppt das Dauerrauschen, damit nicht (siehe oben) die wirklich wichtigen Botschaften durchrutschen.

Multiples Sinnesorganversagen

Die nicht enden wollende Dauerbelastung aus Fernseh-Sondersendungen, täglichen Wasserstandsmeldungen, Kommentaren, Wortfetzen und Politiker-Debatten verursachen ein multiples Sinnesorganversagen. Übrigens nicht nur bei dem Versuch einer politischen Bewältigung der Corona-Pandemie, sondern auch bei der Kanzler-Kandidaten-Kür (kurz: „K3“) der Unionsparteien. Wie lautlos verlief doch im Vergleich dazu (bislang) der Umgang mit der K-Frage bei den Grünen. Einfach mal die Klappe halten – das kann auch Vorteile bei der nächsten Sonntagsfrage haben.

In der Pressearbeit gilt das übrigens auch: Dauerkommunizieren macht irgendwann auch nicht mehr Aufmerksamkeit. Ich hatte neulich in meinem Seminar über Pressearbeit einen Teilnehmer, der seine neue Stelle erst seit knapp sechs Wochen innehatte. Er hat aber in dieser kurzen Zeit im Auftrag seines Chefs unglaubliche 20 Pressemitteilungen veröffentlicht. Allesamt zu Aussagen seines Chefs (also nicht ein Konzern mit zehn Tochterunternehmen und weltweit hundert Niederlassungen – da kommen schnell mal 20 Pressemitteilungen in sechs Wochen zusammen). Etwas ernüchtert war mein Seminar-Teilnehmer, weil die 20 personenbezogenen Pressemitteilungen des Chefs keine Fülle von Veröffentlichungen nach sich zogen. Stillhalten wäre auch hier ratsam gewesen – und weniger mehr.

Doch das Dauerrauschen ist natürlich nicht nur ein Sender-Problem. Sprich: Es liegt nicht nur an der Fülle von politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, beruflichen und sonstigen Interessen, die in der Corona-Pandemie unter einen Hut gebracht werden wollen. (Wobei auch hier scheinbar gilt: wer am lautesten schreit, wird am meisten gehört. Leider schreien die Kinder und Jugendlichen im Hin und Her von Präsenz-, Hybrid- und Distanzunterricht offenbar nicht laut genug.)

Anschwellende Nachrichtenflut und sinkende Qualität

Das Dauerrauschen ist auch ein Medienproblem. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow beklagte in einem Interview am vergangenen Wochenende die „unglaubliche mediale Begleitung“, die in einer laufenden Debatte der Ministerpräsidenten „jede offene Meinungsäußerung nach außen bläst und wir uns noch während der Beratung eines Trommelfeuers ausgesetzt sehen“. Da ist es wieder, das Trommelfeuer. Unter derartiger Dauerbeobachtung und bei dieser Art hysterischer, unreflektierter und überschneller Medienvermittlung (das hat Ramelow nicht gesagt, das ist von mir) traue man sich kaum noch, einen offenen Gedanken zu äußern. „Das ist gruselig“ (das ist wirklich von Ramelow).

Vielleicht ist „gruselig“ das richtige Wort. Der Schweizer Autor Rolf Dobelli beschreibt in seinem Buch „Die Kunst des digitalen Lebens“, was die „Dauerberieselung“ (was viel zu harmlos klingt) durch Nachrichten, das Dauerrauschen mit uns macht. Sie werden zu einer psychischen und physischen Belastung. „Je lauter die einen schreien, desto lauter müssen die anderen schreien. Je skandalöser die eine Seite argumentiert, desto skandalöser müssen die anderen zurückschießen. Die Konsequenz: weißes Rauschen und eine polarisierte Gesellschaft.“

Das Tempo und die Menge, in der angebliche „News“ auf uns einprasseln, bringen keinen Mehrwert. Dobelli spricht von einem „Zusammenhang zwischen anschwellender Nachrichtenflut und der sinkenden Qualität des politischen Diskurses“. Die Verwirrung, von der immer mehr Menschen angesichts der Fülle verschiedener und sich scheinbar widersprechender Corona-Maßnahmen sprechen, ist auch eine Folge von Dauer-Debatten und Dauer-Berichten. Wie wäre es mal mit einem Kommunikations-Lockdown? Einfach mal wieder durchatmen und klar denken. Und lernen, dass auch Stille ein Mittel von Kommunikation ist.

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