„Kommunikation in der Medizin darf kein Luxus sein"

Patientenkommunikation

Anfang März dieses Jahres ging die Amerikanerin Annalisa Wilharm mit einem Erlebnis an die Presse, das weltweit für Furore sorgte: Sie war gerade bei ihrem schwer kranken Großvater auf der Intensivstation einer Klinik im US-Bundesstaat Kalifornien zu Besuch, als ein roboterähnliches Gefährt mit einem Bildschirm ins Krankenzimmer gefahren sein soll. Auf dem Bildschirm sei der Arzt von Ernest Q. zugeschaltet gewesen. Per Videoschaltung habe er Ernest Q. dann eröffnet, dass seine Lunge bald versagen und er nicht mehr nach Hause kommen würde. Zwei Tage später starb der Patient.

Die Geschichte von diesem Diagnosegespräch via Telemedizin sorgte weltweit für Entsetzen. Als „menschenunwürdig“, „nicht zu glauben“, „unfassbar“ oder „unter aller Sau“ bezeichnen Kommentatoren sie in Sozialen Medien. Doch auch beim Gespräch von Angesicht zu Angesicht kann einiges schieflaufen – wie die Geschichte von Brigitte K.* zeigt.

Brigitte K. berichtet, dass ihr Vater mit Verdauungsproblemen ins Krankenhaus eingewiesen wurde. Während der Visite im Vierbettzimmer überbrachte ihm der behandelnde Arzt die Nachricht, dass er unheilbar an Krebs erkrankt sei. In Anwesenheit von zehn Ärzten, die vor seinem Bett standen und auf ihn heruntersahen – und in Anwesenheit aller Bettnachbarn. Nachdem er diese Diagnose bekommen hatte, soll sich der Arzt direkt an den Bettnachbarn gewandt und mit ihm fröhlich über ein Fußballspiel geplaudert haben.

Gute Kommunikation gehört zu den größten Herausforderungen

Kommunikation zwischen Ärzten und ihren Patienten geht oft nach hinten los. Fast jeder, der einmal ernsthaft krank war oder Angehörige begleitet hat, kann Horrorgeschichten von Ärztegesprächen erzählen. Kein Wunder: Für Generationen von Medizinstudenten hat Kommunikation während ihrer naturwissenschaftlichen Ausbildung keine Rolle gespielt. Es galt die Annahme, dass ja jeder reden und sich somit schon irgendwie mitteilen kann. Dabei gehört Kommunikation zu den größten Herausforderungen im Berufsalltag von Medizinern.

Das scheint erst in den vergangenen Jahren ernster genommen zu werden: Seit 2017 sind Gesprächstrainings fest im Curriculum des Medizinstudiums verankert. Doch können angehende und auch gestandene Ärzte eine wertschätzend beratende Kommunikation mit ihren Patienten überhaupt lernen? So wie sie auch das Behandeln von Krankheiten erlernen können? Oder ist es ganz einfach eine Frage der Persönlichkeit, ob die Kommunikation glückt oder nicht?

Jalid Sehouli ist der Meinung, dass Ärzte Kommunikation trainieren können. Der Chefarzt der gynäkologischen Klinik der Charité in Berlin ist Krebsspezialist. Er schätzt, dass er im Laufe seines Berufslebens etwa 200.000 schwierige Gespräche mit Patientinnen führt. „Eine offene und empathische Kommunikation ist für die Auseinandersetzung mit einer lebensbedrohlichen Krankheit unerlässlich“, sagt er. Im vergangenen Jahr hat er deshalb den Ratgeber „Von der Kunst, schlechte Nachrichten gut zu überbringen“ geschrieben.

„Es hilft den Patienten und auch den Ärzten selbst, auf das Übermitteln schlechter Nachrichten vorbereitet zu sein“, sagt Jalid Sehouli. Denn Patienten, die sich von ihrem Arzt wertgeschätzt und gut beraten fühlen, würden die von ihm empfohlenen Therapien seltener abbrechen und unangenehme Nebenwirkungen eher in Kauf nehmen. „Ärzte, die sich auf das Führen solcher Gespräche gut vorbereitet fühlen, leiden seltener an Burnouts.“

Rollenspiele zur Vorbereitung auf schwierige Gespräche

Wie Sehouli sagt, mache schon die richtige Vorbereitung viel aus. „Ärzte sollten ihre Patienten vorwarnen, dass sie eine schlechte Nachricht haben“, sagt er. Dann können diese sich darauf einstellen und einen Angehörigen mitbringen – damit sie nach dem Gespräch nicht allein sind. Außerdem darf das Gespräch nicht gestört werden. Es sollte also nur dann stattfinden, wenn der Arzt sich auch ausreichend Zeit nehmen kann.

Dass solche Vorbereitungen für ein empathisches Arzt-Patienten-Gespräch nötig sind, lernen Medizinstudenten an der Universität in Kiel seit gut zehn Jahren. Wie Medizindidaktin Gudrun Karsten berichtet, werden sie in den ersten Semestern in Rollenspielen auf ihre spätere Verantwortung vorbereitet. Besonders wichtig sei dabei das Anamnesegespräch. Denn: „Nur wer die richtigen Fragen nach Symptomen stellt, kann ein bestimmtes Krankheitsbild überhaupt erst erkennen“, sagt Karsten.

Später trainieren Studenten schwierige Gespräche mit Schauspielpatienten – zum Beispiel das Überbringen einer Demenz- oder einer Brustkrebsdiagnose. Die Schauspieler reagieren so wie Patienten, darauf werden sie von erfahrenen Ärzten vorbereitet. Ein Training, das gut ankommt.

„Am Ende des Studiums sagen uns viele Studenten, dass sie dabei viel gelernt haben“, erzählt Gudrun Karsten. Denn böse Absicht stecke sicher nur selten hinter unsensibel vorgetragenen Diagnosen. „Viele Studenten haben große Angst davor, später schwere Diagnosen überbringen zu müssen.“

Jeder Empfänger nimmt schlechte Nachrichten anders auf

Marcel Sandmann, Facharzt für Innere Medizin, Gastroenterologie und Notfallmedizin am Klinikum Dortmund, gehört zu denjenigen, die Kommunikation erst während des Jobs trainierten. Im Laufe der Jahre habe er verstanden, was bei welchem Patiententyp wie ankommt. Sich darüber im Klaren zu sein, wen man vor sich hat, ist seiner Meinung nach schon ein ganz wichtiger Punkt. Handelt es sich um ängstliche, fordernde oder auch besserwisserische Patienten? Darauf sollten sich Ärzte während des Anamnesegesprächs konzentrieren. Denn jeder nimmt Nachrichten anders auf.

Während des Gesprächs ist Sandmann die Augenhöhe und unvoreingenommene Wertschätzung seiner Patienten sehr wichtig. „Ärzte sollten vor so einem Gespräch kurz innehalten und sich bewusstmachen, was die Diagnose für ihre Patienten bedeutet“, sagt er. Während eines solchen Gespräches setze er sich auch mal auf die Bettkante des Patienten. „Das schafft Vertrauen.“ Was hingegen Misstrauen schürt: Ablenkung von Seiten des Arztes. „Es gibt leider Kollegen, die während eines Tumorgesprächs auf ihr Handy schauen oder private Anrufe beantworten“, erzählt Sandmann. „Das geht natürlich gar nicht!“ Einen so großen Vertrauensbruch mit dem Patienten könne man im Nachhinein nicht mehr aufarbeiten.

Darauf im Gespräch zu achten, hält Sandmann eher für eine Frage des gesunden Menschenverstands und der Erziehung. Wie man Diagnosen erklärt, könne man hingegen gut trainieren. „Ich habe im Laufe der Zeit begriffen, dass man als Arzt manche Dinge mehrfach erklären muss“, erzählt er.

Freiwillige Kommunikationstrainings

Gerade bei schweren Diagnosen schalten Patienten und ihre Angehörigen erst einmal auf Durchzug. Er entlasse sie dann häufig mit folgenden Worten aus dem Gespräch: „Sie haben bestimmt tausend Fragen – und im Moment fällt Ihnen keine einzige ein. Schreiben Sie einfach alles auf, was Sie wissen möchten. Und melden Sie sich dann.“

Sandmann erklärt seinen Patienten ihre Krankheiten so einfach wie möglich. „Ich mache es meistens so, dass ich die betroffenen Organe aufmale und dann Vergleiche aus dem Alltag finde.“ Einen Tumor im Darm erklärt er etwa anhand eines Fahrradschlauchs, auf dem der Fuß steht. „Einfache Worte aus dem Alltag helfen enorm, um alles verständlich zu erklären“, sagt er. Fachvokabular habe in Diagnosegesprächen nichts zu suchen. „Die Patienten sind sehr glücklich, wenn sie bemerken, dass ein Arzt ihnen wirklich erklären möchte, was los ist.“

Das bestätigt Ragnhild Münch, Sprecherin des Klinikums Dahme-Spreewald in Königs Wusterhausen und Lübben. „An unserer Klinik gibt es ein etabliertes Beschwerdemanagement sowie Feedbackbögen“, sagt sie. „Wenn sich Patienten gut aufgehoben gefühlt haben, melden sie – und auch ihre Angehörigen – das anschließend zurück.“ Gute Kommunikation falle also auf. Negative Kommentare gebe es jedoch auch immer wieder. „Oft hat das etwas damit zu tun, dass Ärzte während des Gesprächs zu einem Einsatz gerufen wurden und die Patienten sich dann nicht wertgeschätzt gefühlt haben.“

Um auch erfahrene Ärzte in der Kommunikation zu schulen, werden laut Münch regelmäßig Fortbildungen angeboten – auf freiwilliger Basis. So wie an den meisten Kliniken. Genau diese Freiwilligkeit ist laut Charité-Mediziner Jalid Sehouli ein Problem. „Ich wünsche mir Pflichtseminare und Supervisionen in der Kommunikation“, sagt er. Genauso wie Seminare zu anderen Themen wie Hygiene und Strahlenschutz auch verpflichtend sind.

Stattdessen müssen Ärzte Kommunikationstrainings derzeit in ihrer Freizeit absolvieren. „Das kann nicht sein“, sagt Sehouli. In der Pflicht sieht er bei diesem Thema vor allem die Berufskammer. Und die Krankenkassen, die Gespräche mit Patienten besser bezahlen und vor allem auch mehr Zeit dafür einplanen müssten. „Kommunikation in der Medizin darf kein Luxus sein!“

*Name von der Redaktion geändert

 

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe VERANTWORTUNG. Das Heft können Sie hier bestellen.

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