Kleine Erfolgsgeschichte

Corona-Warn-App

Als am 15. Juni die Corona-Warn-App der Bundesregierung zum Download bereitgestellt wurde, war die Begeisterung groß. Die sozialen Netzwerke waren voll von Jubel-Kommentaren, in denen User:innen mitteilten, dass sie sich die lang erwartete App zum Kontakt-Tracing heruntergeladen hatten. Etwa zehn Millionen Downloads waren es in den ersten fünf Tagen. Bis heute gab es dem Robert Koch-Institut (RKI) zufolge etwa 18 Millionen Downloads. Die Zahlen erhöhen sich nur noch langsam trotz der in Deutschland wieder zunehmenden Infektionen.

Für die Kommunikation hat die Bundesregierung bisher „Schaltkosten“ in Höhe von rund 7,8 Millionen Euro ausgegeben. Verantwortlich für die Kampagne ist die Agentur „Zum goldenen Hirschen“ – die Hirschen Group hält den Rahmenvertrag für die Kommunikation des Bundespresseamtes. Acht Themenmotive gibt es, die betonen, was die App kann und was nicht. Zielgruppen: Befürworter einer solchen App und Menschen mit Bedenken. Zu sehen waren die Kampagnenmotive unter anderem in Print- und Online-Medien und Out-of-Home. Ein Spot lief im TV. Auch auf den Eckfahnen sowie den Trikots von Schiedsrichtern und aller 36 Proficlubs war das App-Logo an zwei Bundesligaspieltagen platziert. Die Kampagne laufe „aktuell noch digital“, teilt das Bundespresseamt mit.  

Nach der Anfangseuphorie ist es um die App inzwischen ruhig geworden. Kommunizierte das RKI die Downloadzahlen Ende Mitte bis Ende Juni noch im Schnitt alle zwei Tage, wurden die Abstände immer größer. Am 6. Juli findet sich noch ein Tweet, dass die App bei 15 Millionen Downloads liege. Regierungssprecher Steffen Seibert informierte am 4. September darüber, dass die Applikation wieder einmal verbessert worden sei und nun Version 1.3 zur Verfügung stehe. Etwa 20 Millionen Euro sollen für die Entwicklung an die Deutsche Telekom und SAP geflossen sein. Bis Ende 2021 können sich die Gesamtkosten für Entwicklung, Betrieb, Tests und Werbung auf bis zu 68 Millionen Euro addieren.

Telekom und SAP halten sich bei der Kommunikation eher im Hintergrund. Bei SAP gibt es auf der Website zwar eine Themenserie zur „Corona-Warn-App“. Seit dem 6. August ist dort nichts mehr passiert. „Corona-Warn-App besteht Sicherheitstest souverän“ lautet der letzte Beitrag, der ressourcensparend von Telekom-Pressesprecherin Nicole Schmidt übernommen wurde. Bei der Telekom findet sich Anfang September ein Artikel zu „Warum die erfolgreichste App des Jahres auch weiter wichtig bleibt”. Im August erschien etwas über „Fehlerjäger“, die die App testen. Dazu gibt es Podcasts, in denen Pressesprecherin Nicole Schmidt und ihr SAP-Kollege Hilmar Schepp auf häufig gestellte Fragen eingehen. Acht Folgen gibt es bisher.

„Kein ganz großer Erfolg“

In den Medien dominieren Berichte über Fehlfunktionen der App. Die Euphorie in der Politik ist ebenfalls gewichen. „Die Corona-Warn-App ist noch kein ganz großer Erfolg“, sagte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder dem „Spiegel“. „Manche Menschen haben eben auch noch ein altes Handy, denen bringt so eine App nichts.“ Apple und Google bieten die notwendige Schnittstelle nur ab bestimmten iOS- und Android-Versionen an. Insbesondere für Menschen mit geringerem Einkommen oder auch ältere Personen, die sich nicht regelmäßig ein neues Gerät anschaffen können oder wollen, ist die App deshalb nicht nutzbar. Die Oppositionsparteien im Bundestag kritisierten die App als zu ineffektiv und zu teuer. Der Download ist zudem erst ab 17 Jahren möglich. Für den Schulbetrieb hilft sie also kaum.

„Damit die Corona-Warn-App wirklich etwas bringt, sollte sich die Zahl der Downloads verdoppeln“, sagte Gert Wagner, Mitglied des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen, der „Welt am Sonntag“. Angesichts der Beschränkung auf bestimmte Handys erscheint ein solcher Download-Boom unrealistisch. In einer Umfrage im Auftrag des Technikverbandes GFU gaben 52 Prozent der Befragten an, dass sie die App sowieso nicht runterladen wollen. Viele machen sich Sorgen um den Schutz ihrer Daten. Die Bundesregierung sah sich deshalb genötigt, Q&As über „Mythen und Falschmeldungen“ zu veröffentlichen. Das Hauptthema: der Datenschutz.

Unklarheit über übermittelte Tests

Das Robert Koch-Institut kann aufgrund datenrechtlicher Vorgaben nicht feststellen, wie viele positive und negative Testergebnisse übermittelt werden. Auch ist nicht klar, wie viele Menschen gewarnt werden, weil sie möglicherweise Kontakt mit einer mit dem Coronavirus infizierten Personen hatten. Das Bundesgesundheitsministerium teilt lediglich mit, dass über die App mehr als „400.000 Testergebnisse auf digitalem Weg übermittelt wurden“. Etwa 3.000 so genannte Teletans wurden bisher ausgeben. Sie dienen zur Verifikation eines positiven Testergebnisses, was ein Indiz für die Zahl der geteilten positiven Ergebnisse sein könnte.

Das RKI kommuniziert zudem die erfolgten Anrufe bei der Corona-Warn-App-Hotline. Bis zum 7. September waren es etwa 268.000, die man auch so interpretieren kann, dass User technische Probleme mit der App hatten, die online zur Verfügung stehenden FAQs nicht verstanden hatten oder nicht wussten, was bestimmte in der App angezeigte Warnmeldungen zu bedeuten haben. Zwei Kontakte. Niedriges Risiko? Was heißt das überhaupt? Als Instrument der Erfolgsmessung taugen die Anrufe bei der Hotline ganz sicher nicht.

Das Fazit des Bundesgesundheitsministeriums fällt vorsichtig aus. „Grundsätzlich gilt: Jeder, der die Corona-Warn-App (CWA) nutzt, trägt zur Pandemiebekämpfung bei. Wenn all diejenigen die CWA nutzen, die beispielsweise regelmäßig öffentliche Verkehrsmittel nutzen – also mit Personen zusammenkommen, die sie nicht persönlich kennen –, schafft die Nutzung der App bereits einen konkreten Mehrwert.“ Eine „Mindesterfolgsgrenze“ gebe es für die Bundesregierung nicht, heißt es aus der Pressestelle.

In den Social Media sorgte die App zumindest einmal für gute Laune. Ende Juni lieferten sich der britische Premierminister Boris Johnson und der Labour-Vorsitzende Keir Starmer ein Rededuell, in dem Johnson behauptete, es gebe kein einziges Land, das über eine zweckmäßige Kontaktnachverfolgungs-App verfüge. Starmer konterte mit „Deutschland“ und zu dem Zeitpunkt „12 Millionen Downloads“. Telekom-CEO Tim Höttges war beim Start der App ganz aus dem Häuschen: „In diesem Projekt ist alles ‚Made in Germany‘. Deutschland kann Digitalisierung, wenn wir alle an einem Strang ziehen.“

Die App könnte man also auch als teures, aber wirksames Standortmarketing verbuchen. Andere Länder stehen mit ihren Tracing-Tools jedenfalls noch schlechter dar.

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