Kickt es noch richtig?

Zur Twitter-Schelte von Eric Posner in der FAZ

An Twitter kann man vieles kritisieren. Doch selten lag ein Kommentar so grundlegend daneben wie die zwanzig Thesen, die der angesehene amerikanische Jurist Eric Posner diese Woche im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zum Besten gab.

Einige Twitterer äußerten sich darauf prompt verständnislos. In den Kommentarspalten der FAZ fühlte sich hingegen eine zweite Gruppe der digital eher Ahnungslosen in ihrem „Ich-habe-es-immer-schon-gesagt-Gefühl“ bestätigt. Ein Brückenschlag – Fehlanzeige. Wenn der Beitrag eine Diskussion anstoßen sollte, dann ging der Versuch jedenfalls grundlegend schief. Und das liegt zu allererst an der Qualität der Thesen selbst.

Der Trendscout unter den Netzwerken

Zunächst einmal wäre es für eine sinnvolle Auseinandersetzung mit Twitter zumindest hilfreich, dass man selber einen Twitter-Account hat. Sonst liegt der Verdacht schon ziemlich nahe, dass hier ein Äpfel-Fachmann über die fragwürdige Qualität von Birnen schreibt. Einen entsprechenden Account haben wir bislang nicht gefunden. Aber unterstellen wir mal, dass Posner für seinen Beitrag über die „werte-zerstörende“ und vorwiegend Dopamin-getriebene Kraft der 140 Zeichen eine solide Empirie vorgeschaltet hat – wie es sich für einen Wissenschaftler gehört.

Trotzdem oder gerade deswegen sind viele Aussagen, die hier getroffen werden, mindestens schräg, oftmals falsch. Nehmen wir die These zwei:

Twitter erfüllt diese (Informations-) Funktionen nur unzureichend. Wer nach Informationen zu einem bestimmten Thema sucht, dem steht mit der Google-Suche ein effizienterer Weg zur Verfügung, um an die gewünschten Informationen zu kommen. Wer Informationen über aktuelle Ereignisse will, ist mit einer Zeitung besser bedient.

Niemand, den ich kenne, würde Twitter ernsthaft zur thematischen Suche nutzen, zumindest nicht in einem Sinn, bei der Google einen wesentlicheren Nutzen bringen könnte. Twitter liefert einen Live-Strom an Nachrichten. Oft sind Medien die Primärquelle. In dem Fall hat die Twitter-Timeline eine Filterfunktion, die eines Trendscouts. Meine Follower sortieren für mich potenziell spannende Nachrichten vor – teils kommentiert, teils unkommentiert. Was mich interessiert, lese ich dann in der Originalquelle nach – für die Medien wird Twitter dadurch übrigens zu einem wichtigen Inbound-Traffic-Lieferanten.

Trump macht es vor

Oft sind die Nachrichten aber auch live und von Einzelpersonen vor Ort. Beispiele wie das Münchner Attentat oder ähnliche Ereignisse zeigen, dass soziale Medien viel schneller und unmittelbarer die Ereignisse vermitteln als Medien. Das ist inzwischen so wichtig geworden, dass fast alle Journalisten und Pressesprecher soziale Medien und vorwiegend auch Twitter als Quelle und Sendekanal nutzen – und die Inhalte, die sie dort vorfinden, auch zunehmend in ihren Beiträgen kuratieren.

Gerade der im Trump-Amerika lebende Posner müsste eigentlich über die durchschlagende Kraft von Twitter in der politischen Öffentlichkeit Bescheid wissen. Daher sind insbesondere die Thesen vier und fünf völlig unverständlich:

Twitter ist ein ungeeignetes Instrument, um Einfluss auszuüben – siehe Punkt 5.

Kein Tweet hat jemals irgendjemanden von irgendetwas überzeugt.

Wenn man etwas an Twitter kritisieren kann, dann vielleicht, dass Trump an der Medienwelt vorbei inzwischen fast 34 Millionen Menschen direkt beeinflusst. Und zwar auf eine Weise, die uns Europäer zutiefst erschreckt. Denn wer mit US-Bürgern gesprochen hatte, weiß durchaus, dass viele inzwischen @realdonaldtrump als Quelle für vertrauenswürdiger halten als die New York Times oder die Washington Post.

Das Problem ist offensichtlich, die Analyse aber falsch. Wie man zu solchen Schlüssen kommen kann, ist nicht nachvollziehbar. Und so geht es These für These weiter.

Die Kritik greift zu kurz

Nun hat der angesehene Rechtsprofessor Posner eine Reihe durchaus luzider Beiträge zur Mediendemokratie in den Vereinigten Staaten verfasst. Dass ihm das Trump-Dauer-Getwitter die Lust an diesem Medium verdorben hat, kann man verstehen, und man mag es als mildernden Umstand zugestehen.

Trotzdem hätte ich mir eine vorurteilsfreiere Analyse gewünscht: Natürlich hat Twitter-Nutzung etwas mit Voyeurismus und Exhibitionismus zu tun – aber eben nicht nur. Natürlich birgt die Verknappung auf 140 Zeichen die Gefahr inhaltlicher Verkürzung und emotionaler Aufladung – aber das birgt die Bild auch. Natürlich muss man sich über die Entwicklung technischer Filterblasen Gedanken machen. Aber so pauschal gesehen haben alle Medienrevolutionen (Druck auf Papier, Radio, Fernsehen) Gefahren mit sich gebracht – und deren Nutzen wird ja heute auch niemand mehr gegen die Risiken aufwiegen wollen.

In einem Punkt hat Posner recht: Ich freue mich über Zustimmung oder Widerspruch auf meine Tweets – auch wenn das nicht immer Glückshormone ausschüttet. Aber sicher ist auch: Mein Dopamin-Haushalt hängt nicht von der täglichen Dosis Twitter ab – und das gilt auch für die überwiegende Zahl der Menschen in meiner Timeline.