Interviews – mehr als eine schlichte Befragung

Erinnern Sie sich an Katja Riemann auf dem Roten Sofa?  Am 14. März hat sie in der Vorabendsendung „Das“ (NDR) erfahren, wie ein lockeres Gespräch vollkommen entgleisen kann. Riemann tat alles, um das ihr bereits anhaftende Label „zickig“ zum  unauslöschlichen Tattoo zu machen. Sie war genervt, saß bedrängt in ihrer Ecke des roten Sofas, wies den Moderator zurecht. Der Shitstorm war ihr sicher. Aber auch vom Debakel lässt sich etwas lernen:

Katja Riemann hatte keine professionelle Agenda für ihren Besuch auf dem Sofa. Ihre Haltung passte nicht zur Gesprächssituation. Sie hatte kein klares Bild vor Augen, welche Ziele sie persönlich oder für ihren neuen Film durch das Interview erreichen wollte. So hat sie kein einziges Angebot formulieren können, um die Situation selbst aktiv und im besten Fall sogar lustvoll zu gestalten – wenn sie schon mal auf dem Sofa sitzen muss. Eine dramatisch verpasste Gelegenheit. „It takes two to tango“, schrieb Katja Riemann später auf ihrer Website, verstand die Aufregung nicht wirklich und schob dem durchaus überforderten Moderator Hinnerk Baumgarten den Großteil der Verantwortung für die Image-Katastrophe zu. Da hatten die Klicks auf das Youtube-Video zur „Gesprächskarambolage“ schon die Millionengrenze erreicht. Ein Lehrstück für Pressesprecher und PR-Profis!
Was kann man daraus lernen? „It takes two to tango“ bedeutet ja nicht, dass man nur Interviews und Gespräche führen sollte, wenn man sich den Fragensteller vorher ausgesucht hat. Wie kann man richtig gut tanzen – unabhängig von vielleicht fußlahmen, führungsschwachen oder schwitzigen Partnern?
Wie kann man in Interviews oder wichtigen Gesprächen vom Betroffenen zum aktiven Gestalter werden? Im Agenda-Coaching gibt es drei zentrale Elemente:

1.    Der Rahmen des Gesprächs und die spezifische eigene Agenda.
2.    Die Haltung des Befragten passend zum Rahmen.
3.    Das Verhalten und die Angebote, die den Rahmen perfekt ausfüllen.

Schritt 1: Äußerer Rahmen und eigene Agenda

George Clooney ist ein Interview-Star, der jeden Rahmen perfekt für das eigene Agenda Setting im Sinne von bewusster Themensetzung nutzt. Er wirbt für seine Filme, für seine humanitären Projekte, für politische Initiativen, für Kollegen, für sich selbst. Ob langes TV-Interview, turbulente Pressekonferenz, hektischer Red Carpet, glamouröse Gala: George spielt mit. „Meine Idee ist: Alles, was Aufmerksamkeit für unsere Arbeit bringt, ist absolut perfekt“, sagte Clooney beim Medienpreis in Baden-Baden. Da hatte er eine Wand aus drängenden Mikrophonen vor sich und Reporter mit Fragen à la „Mögen Sie Baden-Baden?“ oder „Wie finden Sie das Kleid von Ursula?“. Ministerin Ursula von der Leyen stand lächelnd wie ein Groupie in Bonbon-Verpackung neben ihm.
„Alles, was Aufmerksamkeit bringt, ist absolut perfekt“ ist deutlich mehr als der lakonische Promi-Standardsatz „Any promotion is good promotion“. Hier spricht die Freude, jede Gelegenheit professionell zu nutzen. Egal was er genau als Thema auf der Agenda hat, ein Basissatz in Clooneys Rahmen ist offenbar „Spaß haben und Inhalte vertreten“, egal wo und wie. Damit zeigt er Wertschätzung für den ganzen Rummel um seine Person und für die Menschen, die den Rummel veranstalten.

Um sich im Agenda-Coaching den Rahmen näher anzuschauen, blickt man nicht nur auf die äußeren Bedingungen des Gesprächs wie Ort, Zeit, Raum, Teilnehmer oder Zielgruppe, sondern auch auf die Resultate, die das Gespräch oder Interview im Idealfall bewirken kann: Welche Agenda haben Sie? Welche Themen wollen Sie in dieser Situation setzen? Welches Ergebnis wollen Sie erreichen?

BVB-Trainer Jürgen Klopp zum Beispiel hatte bei der höchst spannenden Pressekonferenz nach Bekanntwerden des Götze-Wechsels vor dem Champions-League-Finale gegen Bayern mit Sicherheit ein klares Resultat vor Augen: „Die Stimmung darf nicht kippen!  Mannschaft und Fans müssen motiviert bleiben!“ Das war seine Agenda. Seine Haltung war ruhig und konstruktiv. Sein Verhalten hatte als Höhepunkt einen energischen „Jetzt erst recht!“-Aufruf an Mannschaft und Fans. Alles hat gepasst.

Welche Gedanken sich Katja Riemann gemacht hat, bevor sie sich auf das Rote Sofa setzte, ist nicht bekannt. Als sie dann da saß, hat sie schnell deutlich gemacht, dass sie den äußeren Rahmen „Lockeres Plaudern in scheinbarer Vertrautheit“ nicht akzeptiert. Sie hatte auch keine Vorstellung von eigenen Gestaltungsmöglichkeiten. Dann hat sie versucht, den Rahmen zu sprengen, was meistens nach hinten losgeht. Eine extrem stressige Erfahrung. Im Internet versenden sich solche Auftritte nicht einfach, sondern verewigen und summieren sich unwiderruflich. Auch die Frage, ob der äußere Rahmen eines Auftritts oder Interviews überhaupt zur eigenen Agenda passt, muss beantwortet werden.

Den Rahmen zu sprengen ist durchaus eine Möglichkeit der Gestaltung von Interviews, Auftritten und Verhandlungen. Damit das im Sinne des „Sprengmeisters“ und seiner Agenda gelingt, braucht es aber entweder eine gute, klare Strategie (inklusive Vorbereitung) oder eine geniale spontane Provokationsidee.

Schritt 2: Die Wahl der inneren Haltung

Das war der Rahmen – es geht weiter mit dem Bild darin, mit der Wahl der Haltung und dem daraus folgenden Verhalten. Die Haltung können Sie nämlich wählen. Bei Jürgen Klopp ist es offensichtlich: Er nimmt vor der internationalen Presse manchmal eine andere – oft deutlich aggressivere – Haltung ein als vor deutschen Journalisten, die er als Fans erlebt. Er kann je nach Medium und Rahmen den intellektuellen Grübler geben oder den lustigen Haudrauf. Grundsätzlich ist er dabei immer ganz authentisch „Kloppo“, nämlich fair, schlau, motivierend, offensiv. Er weiß um seinen Markenkern, um seine Identität – und wählt auf dieser Basis die Haltung, die gerade am besten zu seiner jeweiligen Agenda passt.

Auch Clooney wählt unterschiedliche Haltungen. Wenn es in einem Gespräch nur um ihn geht oder seine Filme, gibt er richtig Gas und sprüht vor Witz. Er stellt sich in den Vordergrund, beherrscht die Szene, macht Werbung in eigener Sache und hat Spaß dabei. Eine andere Grundhaltung nimmt er ein, wenn er sich voller Wut und Leidenschaft zur Katastrophe im Sudan zu Wort meldet. Da geht es ihm nur um die Sache, um sein humanitäres Ziel.

Wenn Vorstände, Chefs, Pressesprecher, Politiker, Schauspieler und alle anderen „Befragten“ vor Interviews oder wichtigen Gesprächen einmal kurz ihre Haltung bewusst überprüfen würden, wären sie erfolgreicher. Die Frage, die sie selbst beantworten müssen lautet: Welche Grundhaltung passt zum Rahmen und dient meiner eigenen Agenda? Mit welcher Einstellung gehe ich da rein?

Schritt 3: Durch Verhalten eigene Agenda setzen

Auch wenn Rahmen, Agenda und Haltung klar sind, kann es bei der Performance noch wackeln. Philipp Rösler hat im Herbst 2011 auf dem FDP-Parteitag die Fabel vom Frosch erzählt: Wenn er direkt in heißes Wasser geworfen wird, springt er sofort raus. Wenn das Wasser aber langsam erhitzt wird, merkt der Frosch das nicht und stirbt. Grundsätzlich liegt Rösler mit seiner Frosch-Story gar nicht verkehrt. Denn Metaphern und Geschichten entwickeln eine besondere Macht. Sie lösen starke Bilder in den Köpfen der Zuhörer aus, machen Auftritte kraftvoll und bleiben in Erinnerung. Nur müssen sie passen.

Dass es nicht immer passt, merkte Rösler ein paar Monate später bei „Lanz“ im ZDF, kurz nachdem die FDP die Wahl von Joachim Gauck zum Bundespräsidenten erzwungen hatte: In der Sendung wurde die „Frosch-Rede“ eingespielt, die ursprünglich allgemein auf zunehmenden Freiheitsabbau gemünzt war und heute, nach dem Wahldesaster, als Metapher für Rösler selbst gedeutet werden kann. Moderator Lanz fragte damals provokativ, wann denn die Kanzlerin bemerkt habe, dass sie selbst der Frosch sei. Die Antwort kam prompt und etwas großspurig: „Schätzungsweise bei der besagten Telefonschaltkonferenz …“ Ein Coup für Lanz, ein riskanter Satz für Rösler.

Überhaupt war dieser Talkshow-Auftritt des Regierungsmitglieds seltsam „überauthentisch“. Man kann sich vorstellen, dass Rösler die Befragung für seine Agenda „Ich bin ein sympathischer, starker Parteichef“ nutzen wollte. Seine Haltung lässt sich so beschreiben: „Ich bin locker, cool und mal so richtig menschlich.“ Doch sein Verhalten passte dann nicht so recht zu seiner politischen Führungsverantwortung als Wirtschaftsminister und Koalitionspartner. Beim Verhalten sind die jeweiligen Ziele wichtig und die Strategie. Die Strategie ergibt sich aus der Frage, mit welchen Mitteln die Ziele erreicht werden können. Falls der Minister als „stark“ wahrgenommen werden wollte, hat er das als „netter Herr Rösler“ nicht erreicht. Auch sein Lieblingsbild vom Bambus, der nicht bricht, weil er sich biegen kann, sagt menschlich gesehen viel über seine Leidensfähigkeit aus – aber nichts über seine Führungsstärke.

Welche Metaphern oder Geschichten bieten Sie also an? Welche Fakten müssen Sie parat haben? Was wollen Sie von sich erzählen? Und was haben Sie im Angebot, wenn Sie auf die Frage gar nicht antworten wollen, können oder dürfen? Es gibt immer heikle Themen, die mit Sicherheit sowohl im Medieninterview als auch in einer wichtigen Verhandlung angefasst werden müssen. Verdrängen hilft nicht. In echten Skandal- und Krisensituationen funktioniert ohnehin nur die Wahrheit, die sowieso ans Licht kommt. Doch wie bewegen Sie sich in all den  unangenehmen Zwischenzonen und persönlichen Grenzbereichen? Wie gehen Sie mit privaten Fragen um? Wie mit Konfrontation, Provokation, Unterstellungen und Zumutungen, also mit all dem, was vielleicht zum ganz normalen professionellen Verhalten Ihres Gegenübers  gehört – und Ihnen echt auf die Nerven geht?

Da gibt es viele Möglichkeiten, die Gestaltung bleibt höchst individuell. Klartext reden ist eine Variante. Ablenken und eigene Schwerpunkte setzen geht auch. Man kann einen harten Schlag annehmen und als Return zurückspielen. Wenn Sie keine Antworten parat haben, können Sie eigene Fragen formulieren. Und wenn sonst nichts hilft, hilft Humor: George Clooney zum Beispiel geht auf unnachahmliche Weise mit Fragen und Anspielungen auf seine sexuelle Orientierung um. Früher hatte er immer Storys von seinem Hausschwein Max parat – der einzige „Mensch“, mit dem er zusammenleben könne. Dann starb Max und mit ihm die Story.Bei vielen Auftritten wird Clooney mit indiskreten Anträgen bedrängt. Beim Festival in Venedig strippte ein Mann vor laufenden Kameras und schrie mit schwarzem Schlips vor dem nackten Bauch ins Mikro: „Choose me, George! Kiss me!“  Reaktion Clooney: „Die Krawatte sieht gut aus. Und sie ist gerade mal lang genug.“ 

Grundlegende Fragestellungen im Agenda-Coaching
1. Rahmen klären
– Wie sieht der äußere Rahmen aus? Situation, Raum, Teilnehmer, Publikum?
– Was wäre aus Ihrer Sicht das optimale Ergebnis des Gesprächs?
– Welche Agenda wollen Sie setzen?
2. Haltung finden
– Mit welcher Haltung lässt sich der Rahmen optimal füllen?
– Wie möchten Sie vom Interviewer/Gesprächspartner bzw. den Zuschauern/Lesern beschrieben werden?
3. Angebote formulieren
– Welche Ziele verfolgen Sie?
– Mit welcher Strategie gehen Sie diese an?
– Was sind die heiklen Punkte und heißen Eisen?
– Wie gehen Sie damit um?
– Welche Informationen müssen Sie parat haben?
– Welche Metaphern, Daten, Beispiele, Storys passen zu Ihrer Strategie?
– Welche eigenen Angebote formulieren Sie?
– Welche Fragen stellen Sie selbst, um Ihre Agenda zu stützen?
– Was wollen Sie sonst noch „teilen“ oder von sich erzählen?
– Was darf auf keinen Fall passieren?

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Change. Das Heft können Sie hier bestellen.

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