Interne Kommunikation im Wandel der Zeit

Vom Betriebsjournalisten zum Berater

Frau Montua, reisen wir gemeinsam in der Zeit zurück: Wie sah IK vor zehn Jahren aus?

Andrea Montua: Damals war Interne Kommunikation vor allem Betriebsjournalismus. Außer in großen Unternehmen gab es kaum eigenständige IK-Abteilungen, das Thema wurde meist von Marketing, HR oder der Geschäftsführungsassistenz „irgendwie mitgemacht“. Da gab es mal einen Newsletter oder eine Zeitung, die oft für Mitarbeiter und Kunden gleichermaßen gelten sollte. Und das hat damals auch größtenteils ausgereicht, denn der Stellenwert der externen Kommunikation war im Vergleich zur internen viel größer. HR und Kommunikation waren dabei oft Gegner. Manchmal sind sie das bis heute – dabei brauchen sie einander und können sich unterstützen.

Was passierte dann?

Der Wandel kam über die Jahre: Die Anzahl an Veränderungen nahm zu, mit ihnen die Schnelligkeit im Alltag und in Projekten, die Digitalisierung hatte weitreichende Folgen und Employer Branding wurde auf der Suche nach talentierten Nachwuchskräften immer wichtiger. Es wuchs der Ruf nach einer gesteuerten, strategisch geplanten IK, die gezielt einzelne Instrumente als Mittel zur Zielerreichung einsetzt und nicht versucht, krampfhaft Themen zu finden, um ihre Kanäle und Medien zu befüllen. Seit etwa zwei Jahren merken IK-Bereiche nun eine Art Veränderungsdruck: Sobald sie cross-medial und integriert arbeiten sollen, benötigen sie Struktur. Sie merken, dass immer mehr Personal und neue Tools allein nicht mehr ausreichen und setzen bei sich selbst an, um für die Zukunft gerüstet zu sein. Das lässt den Wunsch nach Beratung und Coaching lauter werden.

Was sollte die Interne Kommunikation heute leisten?

Einst waren interne Kommunikateure vorwiegend Informationsvermittler. Heute sind sie eher Seismograph und Impulsgeber, spiegeln die Entwicklung innerhalb und außerhalb des Unternehmens wider. Die IK ist nicht mehr nur für redaktionelle Leistungen da, sondern auch als Berater der Geschäftsführung und der Unternehmensbereiche gefragt.

Ist das alles realistisch leistbar?

IK hat im Vergleich mit der externen Kommunikation aufgeholt in Bezug auf Diversifizierung, Schnelligkeit der Entwicklungen, den Grad der Herausforderungen und die Notwendigkeit von Expertenwissen. Ein guter Journalist schafft es immer, einen guten Beitrag zu schreiben. Wenn er aber plötzlich nicht mehr nur redaktionell, sondern gesamtstrategisch Konzepte entwickeln, den Vorstand beraten, Veränderungen vorausschauend begleiten, Führungskräfte zu empathischen und partnerschaftlich arbeitenden Kollegen machen soll, die ihr Wissen teilen und Digitalisierung voran treiben – dann wird’s eng. IK ist kein Hexenwerk, aber ihre Komplexität ist enorm groß geworden. Und sie erlebt einen echten Boom.

Mit der Veränderung muss auch ein Kulturwandel für die Abteilung an sich einhergehen, oder? Es klingt, als müsste sie sich vom Ziel aus rückwärts denkend aufstellen.

Exakt. Früher sagten Kunden „Optimieren Sie unsere Mitarbeiterzeitung.“ oder „Wir wollen ein Intranet.“. Es ging um die Tools. Heute haben Anfragen einen anderen Charakter. Unternehmen sagen eher „Wir müssen in fünf Jahren vier große und zehn kleine Change-Prozesse abbilden – wie geht das?“ oder „Sagen Sie uns, wie wir im Vergleich zu Wettbewerbern aufgestellt sind“. Der Wunsch nach Messbarkeit von Erfolg – auch im Vergleich zu anderen – ist größer geworden. Dafür haben wir beispielsweise das IK-Audit entwickelt.

Das ist ja schon fast Organisationsentwicklung.

Ja, wir haben seit Kurzem auch einen Organisationsentwickler im Team. Change Experten gibt es schon länger bei uns, aber nun arbeiten sie Hand in Hand mit der Organsiationsentwicklung in den Veränderungsprozessen. Interne Kommunikation ist in den vergangenen Jahren so etwas wie das Herz des Unternehmens geworden. Sie steht in Verbindung mit allen Bereichen eines Unternehmens. Obendrein sollte jede IK-Maßnahme abgeleitet sein von Vision, Mission und Unternehmensleitbild. Das ist nicht neu, kommt aber in vielen Unternehmen erst jetzt zum Tragen.

Leitbild, Vision, Mission – vermutlich hat jeder sofort eine Idee, was das ist. Aber ist für Unternehmen gerade das übergeordnete Ganze leicht zu formulieren?

Nein. Früher hingen Leitbilder im Flur oder lagen in der Schublade. Doch heute werden Unternehmen schon bei der Suche nach Mitarbeitern mit deren Inhalten konfrontiert, denn Bewerber – Stichwort Generation Y – wollen wissen, welche Werte ein potenzieller Arbeitgeber hat und wofür er steht, wie Themen wie Work-Life-Balance oder Vereinbarkeit mit Familie gelebt werden. Wenn ich heute in ein Erstgespräch gehe, frage ich auch immer nach Leitbild, Vision und Mission.

Und bekommen Sie die dann auch immer?

Naja (lacht). In vielleicht 30 Prozent der Fälle ziehen die Kommunikationsverantwortlichen, Vorstände oder Geschäftsführer sofort alles aus der Schublade. Weitere 20-30 Prozent haben welche, finden sie aber gerade nicht. Sind sie dann gefunden, zeigt sich: sie wurden nie mit Leben gefüllt. Und der Rest der Unternehmen hat entweder nichts davon oder die Konzepte sind uralt. Wir treffen alles an. Darunter zum Beispiel auch ein Unternehmen mit 5.000 Mitarbeitern – aber keinem einzigen Tool zur internen Kommunikation. Oberflächlich hat das trotzdem funktioniert, weil sich dort informelle Netzwerke bildeten und es statt einer Kontrollkultur eher eine partizipierende gab. Hat man ein Führungsteam mit guten Kommunikatoren, kann das relativ lange gut gehen.

Aber sind informelle Wege nicht geradezu ein Alptraum für Kommunikatoren?

Absolut. Das war schon speziell. Es gibt auch Beispiele, die uns wiederum sehr positiv überrascht haben: Bei einem Kunden mit nur 200 Mitarbeitern gibt es sowohl eine kleine Zeitung als auch ein Intranet. Beides zu erstellen und zu pflegen kostet Zeit und Geld.

Für Sie ein Zeichen von Wertschätzung?

Ja. Und der gelebten, partizipativen Unternehmenskultur. Der Geschäftsführer legte großen Wert auf gute interne Kommunikation und sah sie als Erfolgsfaktor für das tägliche Geschäft.

Kann da die Stimmung nicht auch kippen, wenn Mitarbeiter zum Beispiel sagen, das Geld hätte der Arbeitgeber lieber in neue Mitarbeiter stecken sollen?

Das ist eine sehr heterogene Diskussion. Eine solche Reaktion erleben wir eher in Non-Profit-Organisationen – verständlicherweise.

Andrea Montua (c) Kay Schmedes, Reinbek

Andrea Montua (c) Kay Schmedes, Reinbek

Wie sehr ist gute interne Kommunikation von den Führungskräften abhängig?

Zu nahezu hundert Prozent. Oder sagen wir es andersherum: Wenn die Führungskräfte in den Unternehmen nicht fit sind für die „Herausforderung IK“, dann kann die Geschäftsführung noch so viel Geld in gut gemachte Kommunikationsinstrumente investieren – es wird zu wenig Information und Motivation bei den Mitarbeitern ankommen. Wenn man Führungskräfte fragt, was sie brauchen, um einen guten Job zu machen, antworten sie überraschenderweise meistens als erstes: „Ich kenne die Strategie meines Unternehmens nicht wirklich, weiß auch nicht, welche Informationen ich weitergeben soll und welche nicht“. Den normalen Mitarbeiter interessiert vor allem sein persönlicher Arbeitsplatz und was in seiner direkten Nachbarschaft passiert. Anders Führungskräfte: Sie spüren in ihrer Sandwich-Position Druck von allen Seiten und haben kaum Zeit. Die Leitung verlangt von ihnen, integrative Kommunikatoren zu sein. Aber die meisten landen auf ihrer Position, weil sie vor allem fachlich gut sind. Und plötzlich sollen sie auch noch empathisch und partizipativ sein und partnerschaftlich arbeiten. Das ist sehr herausfordernd.

Welche Gefahren lauern da?

Vor allem, dass die 3. und 4. Führungsebene zur Lähmschicht wird: Bevor ich etwas Falsches sage, sage ich lieber gar nichts. Das ist keine böse Absicht, sondern typisches Angstverhalten bei der Wahl zwischen Flucht oder Kampf: Wenn ich nichts sage, sieht mich auch keiner und ich kann nichts falsch machen.

Und die Reaktion der Leitung?

Es ist harte Arbeit, das Thema der Geschäftsführung zu vermitteln, schließlich sind Chefs ja nicht die Kindermädchen ihrer Führungskräfte. Sie sagen sich „Also, wenn ich mich auch noch darum kümmern soll …bei dem Gehalt kann ich gute Kommunikation ja wohl von meinen Führungskräften erwarten“. Aber das ist sehr kurzsichtig, leider – auch auf dieser Ebene bedarf es einer offenen und direkten Kommunikation. Da ist der Knackpunkt.

Was genau MUSS die Führungskraft denn zum Beispiel in einer Krise erfüllen?

Sie muss informieren, kommunizieren und motivieren. Sie muss sagen, was Sache ist. In den Dialog gehen und thematisieren, wo Sorgen und Ängste sind. Und dafür sorgen, dass kein Mitarbeiter wegläuft – schließlich hat das Unternehmen viel Zeit und Geld in sie alle investiert.

Ist die Vielzahl der möglichen Kanäle dabei eher ein Vor- oder Nachteil?

Es ist egal, wie hoch die Anzahl ist – Hauptsache, es sind die richtigen Tools für die Themen und Herausforderungen, die ein Unternehmen beschäftigen. Und natürlich für die jeweiligen Zielgruppen. Wenn ich in ein Unternehmen komme, frage ich nicht nach dem Tool oder Budget, sondern: „Welches Ziel soll eine Maßnahme für welche Zielgruppe haben? Was sollen Ihre Führungskräfte und Mitarbeiter mir sagen, wenn ich sie in einem halben Jahr befrage?“ Auch in der Krise beispielsweise. muss man wissen, wohin die Reise gehen soll: Stehen Schnelligkeit, Nachhaltigkeit oder Emotionalität an oberster Stelle? Aus der Antwort ergibt sich automatisch der Kanal.

Gibt es in der IK auch ein Zuviel an Information?

Das ist eine der wichtigsten Fragen: Was genau braucht welche Zielgruppe an Informationen zu welchem Zeitpunkt und in welcher Tiefe? Als IK-Leiter kann man sich nicht herausnehmen, zu wissen, was ein gewerblicher oder ein Büromitarbeiter braucht. Unser Tipp: Fragen Sie ihn! Alle ein bis zwei Jahre sollte man anhand der Ergebnisse von Fokusgruppen-, Geschäftsführer- und Bereichsleitergesprächen sowie Online-Befragungen die Tools und Inhalte der internen Kommunikation optimieren und eventuell neue Wege und Möglichkeiten schaffen. Kein Relaunch reicht heute mehr für zehn Jahre.

Stichwort Authentizität: Gibt es da auch ein Zuviel?

Es ist nicht einfach einzuschätzen, wie viel davon sein darf beziehungsweise muss, weil Dank des Internets heute jeder von außen sowieso ganz gut hinter die Kulissen eines Unternehmens blicken kann. Früher arbeiteten Menschen ein Leben lang in einem Unternehmen, heute wird man fast schon schief angeguckt, wenn man nach fünf Jahren immer noch da ist. So viel Wissen geht verloren. Da schließt sich der Kreis: Nach Umfragen nehmen Mitarbeiter Informationen zu 60 bis 70 Prozent über ihre Führungskraft auf, mein Chef ist also mein „Kommunikations-Guru“. Ich definiere mein Bild von meinem Arbeitgeber vor allem darüber, was mein direkter Vorgesetzter sagt und vorlebt. Wenn die IK es also nicht schafft, Führungskräfte einzubinden, ist jedes Budget rausgeworfenes Geld. Wenn mein Unternehmen auf Hochglanz druckt und in Anzeigen vorgibt, das Größte zu sein, aber ich erlebe in meinem persönlichen Umfeld etwas völlig anderes, war’s das.

Inwieweit ist interne Kommunikation Ausdruck der Gesellschaft?

Das ist sie immer gewesen. Bei der heutigen hohen Individualisierung wollen sich Menschen einbringen, Partizipation gewinnt an Bedeutung. Zugleich verschmelzen Arbeits- und Freizeitwelt immer mehr miteinander. Das sieht man auch bei den Tools: Viele Jahre war der Weggang von der Print- zur Online-Kommunikation ein großer Hype. Kollaborationsplattformen entstanden als virtuelle Dialogplattformen. Doch mehr und mehr werden diese technischen Instrumente wieder ergänzt durch mehr Austausch von Angesicht zu Angesicht. Miteinander reden, die Bedürfnisse der Kollegen wahrnehmen und ihnen mit Informationen begegnen, wird wieder wichtig. Mich persönlich freut das sehr.

Das muss man als Kommunikator aber auch erst einmal aushalten …

Ja (lacht). Wer in der IK arbeitete, musste früher theoretisch seinen Schreibtisch lange gar nicht verlassen. Das ändert sich: Heute müssen die Absender Gesicht zeigen, für etwas einstehen. An dieser Stelle werden Agenturen oft einbezogen, um Durchsetzer zu sein. Externen Experten wird zugetraut, auch Kritisches anzusprechen und Themen auf die Agenda zu bringen, die vielleicht schon seit Jahren immer wieder im Sande versickerten. Der Stimme von außen wird nach wie vor oft mehr zugehört als der von innen. Wir verstehen uns dann am ehesten als Unterstützer der IK-Kollegen, als Vernetzer der Funktionen und auch ein wenig als Mittler „zwischen den Welten“.

Wer ist der bessere IK-Mitarbeiter: Der Fachexperte, dem man PR beibringt oder der Journalist von außen, der noch das Unternehmen kennen lernen muss?

Der perfekte Kandidat ist der mit der Strategiedenke und einem kreativen operativen Umsetzungshändchen. Was jedoch genau gebraucht wird, ist von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich. An dieser Stelle sind Rollenprofile von großer Bedeutung. Diese zu erstellen und dann mit Leben zu füllen ist einer der schmerzhaftesten Prozesse in Kommunikationsabteilungen, denn plötzlich geht es ans Eingemachte, um die eigene Betroffenheit: Da soll jemand cross-medial arbeiten, aber ist darin nicht geschult? Wie muss ich mich weiter entwickeln – und kann und will ich das überhaupt? Reicht eine Weiterbildung, müssen wir Aufgaben verschieben oder brauchen wir einen neuen Kollegen? Dauernde Veränderung in der Veränderung ist immer heikel, wenn es um den Einzelnen geht.

Und wie kann die IK den Kulturwandel im Unternehmen fördern von der push- zur pull-Kultur von Informationen?

Ganz ehrlich: Der ist in Unternehmen beinahe unmöglich zu schaffen. Die Psychologie sagt, es ist nicht Teil des menschlichen Verhaltens, sich bei Druck durch Mehrarbeit, Leistungserwartungen und Veränderung von sich aus auch noch strategische Informationen zu beschaffen. Das geht nur, wenn ich eine intrinsische Motivation habe. Menschen werden unter Druck zu einem von vier Typen: Treiber, Unterstützer, Skeptiker oder Gegner. Für jeden von ihnen muss man Informationen anders aufbereiten. Ich glaube daher, der Wandel geht nur über Individualisierung von Maßnahmen, durch Wahrnehmen und Erfüllen von Bedürfnissen.

Lange schien IK in der Wahrnehmung von Unternehmensleitern keine Priorität zu haben.

Heute sehe ich das anders. Etwa 40 Prozent unserer Kundenanfragen kommen inzwischen direkt von Vorstand und Geschäftsführerung. Wir erleben nur noch selten, dass die IK Unterstützung will, aber die Unternehmensleitung das anders sieht.

Nach wie vor ist es zwar so, dass Handlungsbedarf meist nach kommunikativ nicht ganz geglückten Veränderungsprozessen oder Krisen gesehen wird, aber das ist wohl typisch menschlich. Das Thema IK wird heute ganz oben gesehen – es ist nicht mehr Stiefkind, sondern Teil des Erfolgs.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Mut – Von couragierten Kommunikatoren und cleveren Kampagnen. Das Heft können Sie hier bestellen.

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