Interkulinarische Kommunikation im Berliner Restaurant Weltküche

Frau Jankowski, interkulturelle Kommunikation birgt immer die Gefahr, sich misszuverstehen. So schüttelt man in Indien beispielsweise mit dem Kopf, wenn man „Ja“ sagen möchte. Kam es bei Absprachen oder Anweisungen in der Weltküche schon einmal zu Missverständnissen?
Annette Jankowski: Hin und wieder schon – beispielsweise dadurch, dass es in manchen Kulturen ein Tabu ist, ein klares „Nein“ zu äußern. Eine Mitarbeiterin aus Sri Lanka wollte Kunden nie eine Absage erteilen und hat immer drum herum geredet. Das kann in Deutschland natürlich problematisch werden und führte zu Verwirrungen. Oder eine andere Mitarbeiterin antwortete auf die Frage, ob der Auftrag morgen fertig sei, beispielsweise entsprechend der arabischen Redewendung „in schā‘a llāh“ („so Gott will“). Das geht natürlich nicht, weil die Kunden verunsichert wurden. Manchmal gibt es unter den Mitarbeitern auch Missverständnisse in Bezug auf Esskulturen. Sie erklären sich dann aber gegenseitig , was es damit auf sich hat, beispielsweise kein Schweinefleisch zu essen oder keinen Alkohol zu trinken.

Das heißt, die Mitarbeiter verstehen sich gut miteinander und klären offen über kulturelle Unterschiede auf?
Sevgi Bayram: Ja, wir lernen viel voneinander. Wenn man jemanden aus einer anderen Kultur neu kennenlernt muss man immer erst einmal austesten: „Wie tickt er oder sie?“ Man kann es aus zwei Perspektiven sehen: „Die sind ganz anders“ – oder aber „wir sind ganz anders“. Wenn jemand mich schief anguckt, muss ich zunächst herausfinden, warum das so ist. Ein böser Wille steckt meist nicht dahinter. Offenheit ist da sehr bedeutend. Ich kann eine Person, ihr Handeln und Denken, wesentlich besser verstehen, wenn ich ihren Hintergrund kenne. Wir reden hier sehr viel über alle möglichen Themen: Religion, Feste, Essen… Bei der Vorbereitung eines Caterings für eine katholische Hochzeit haben wir die Katholiken unter uns über die Religion ausgefragt. Wir informieren uns ständig gegenseitig.

Annette Jankowski: Generell gibt es in der Weltküche nur wenige Vorbehalte anderen Kulturen gegenüber. Im Alltag gibt es aber natürlich immer wieder Situationen, die erklärt werden müssen. Wenn unsere Südamerikanerinnen und Russinnen sich beispielsweise aufreizend kleiden, stößt das bei manch anderem auf Unverständnis. Darüber muss dann geredet werden. Dass man auch Miniröcke tragen kann, wenn man religiös oder verheiratet ist, einfach weil es einem gefällt. Es sind oft schöne Szenen, die sich daraus ergeben: Dann gehen die Frauen manchmal nach hinten, nehmen ihre Kopftücher ab und zeigen: „Ich habe genauso lange Haare wie du.“ Sie tauschen sich aus und kommen sich näher – trotz ihrer Verschiedenheit. Das macht das Zusammensein familiär und spannend.

Frau Jankowski, Sie waren lange Zeit Personalmanagerin bei der Deutschen Bahn. Momentan arbeiten Sie häufig in Abu Dhabi an einem Projekt der Deutschen Bahn mit Etihadrail. Gibt es im Vergleich zu diesen Erfahrungen etwas, was Unternehmen von der Weltküche lernen können?
Annette Jankowski: Wir halten es in der Weltküche so, dass wir einander mit allen Verschiedenheiten akzeptieren. Jeder ist hier offen für den anderen und dessen Werte. Dadurch funktioniert auch die Kommunikation. Auch in Abu Dhabi erlebe ich immer wieder: Wer von seiner inneren Haltung her anderen Wertschätzung und Respekt entgegenbringt, strahlt das auch aus. Wer mit dem Selbstverständnis lebt, niemand ist besser oder schlechter, sondern lediglich anders, bekommt weniger Probleme im Umgang miteinander. Man muss auch bedenken, dass man einen großen Teil der Persönlichkeit aus Mangel an Sprachkenntnissen nicht ausdrücken kann. Das geht mir selbst auch häufig in Abu Dhabi so, obwohl ich fließend Englisch spreche. Man fühlt sich als anderer Mensch, wenn man seine Muttersprache nicht sprechen kann. So geht es den Menschen hier auch.

Sevgi Bayram: Im Unternehmen kommt es darauf an, viel Geduld mitzubringen – das ist am wichtigsten. Gerade wenn es Schwierigkeiten mit der Sprache gibt, muss man viel Zeit aufwenden, um zu begreifen, was der andere meint, und um sich selbst verständlich zu machen. Zudem ist es wichtig, klare Regeln und Verhaltensweisen zu vermitteln – im Restaurant beispielsweise, dass das Weinglas nur am Stiel angefasst werden darf. Selbst bei solchen Kleinigkeiten sollte man immer erklären, warum das so gemacht wird.

Also beugen Sie Konfliktsituationen durch viel Austausch und intensives gegenseitiges Kennenlernen vor?
Annette Jankowski: Auf jeden Fall. Wenn trotzdem Schwierigkeiten auftauchen, intervenieren wir. Die Art, miteinander zu reden, ist schließlich oft selbst ein Konfliktpunkt. Der eine ist sehr direkt, in anderen Kulturen ist es gar nicht gern gesehen, unvermittelt auszusprechen, was man denkt. In solchen Situationen versuche ich zu vermitteln.

Ihre Mitarbeiter starten alle mit einem Praktikum oder einer Hospitanz in der Weltküche. Gibt es so etwas wie eine Vorbereitung für die Mitarbeiter, die aus aller Welt kommen?
Annette Jankowski: Wenn jemand aus einem Projekt hierherkommt, gibt es im Vorfeld oft eine Beratung und auch Deutschkurse. Stellt sich jemand aus einer Kultur vor, die noch nicht so stark vertreten ist, sprechen wir vorher ausführlich miteinander und erklären mögliche Unterschiede.

Steht die Herkunft des Einzelnen dann bei der täglichen Arbeit im Fokus oder wird sie zur Nebensache? Annette Jankowski: Die Herkunft steht meistens gar nicht so sehr im Fokus, mehr die gemeinsame – oft schwierige – Lebenslage. Viele haben starke Belastungen, kennen beispielsweise die Situation, in ständiger Angst vor der Abschiebung zu leben. Teilt man solche Geschichten, verbindet das.

Und was sind Ihre Beobachtungen: Schließen sich Menschen aus einem Kulturkreis zusammen?
Annette Jankowski: Grüppchenbildung versuchen wir zu vermeiden, damit eben nicht in der gemeinsamen Sprache kommuniziert wird, was andere ausschließen würde. Wir legen Wert darauf, dass die Unternehmenssprache Deutsch ist, damit die Sprache gelernt wird und alle sich einheitlich verständigen.

Sevgi Bayram: Aber auch wenn man aus demselben Kulturkreis kommt, heißt das nicht automatisch, dass alle gleich sind. Ich kenne viele Türken, die völlig anders „ticken“ als ich. Es kommt dabei immer auch auf die individuelle Biografie an. Ich bin beispielsweise hier aufgewachsen und fühle mich frei und sicher, während andere noch etwas schüchterner sind.

Annette Jankowski: Interessant finde ich auch, dass gerade die älteren Mitarbeiter oft besonders engagiert sind, die Sprache zu lernen. Sie sind mit Herzblut bei der Sache und dankbar für die Chance. Unsere jüngeren Praktikanten hingegen sind häufig eingeschüchtert und brauchen Zeit, um aufzutauen.

Gibt es neben dem Grundsatz „Deutsch als Unternehmenssprache“ noch weitere Regeln für das tägliche Miteinander?
Annette Jankowski: Es gibt hier klare Regeln, beispielsweise dass man das Thema Religion als Privatsache behandelt. Wir lassen uns gegenseitig viel Raum. Weitere Grundsätze sind, den anderen ausreden zu lassen, versuchen zu verstehen, was er meint, nicht zu bevormunden und natürlich, Konflikte offenzulegen und zu klären. Besonders Letzteres fällt in manchen Kulturen schwer. Auch was Pünktlichkeit und genaue Angaben betrifft, sind wir rigoros. Einen lockeren Umgang mit Zeit können wir nicht akzeptieren, da unsere Kunden beim Catering oder in der Schulversorgung Pünktlichkeit erwarten.

Frau Jankowski, bei der Deutschen Bahn waren Sie als Personalmanagerin in einer Führungsposition. Wie kam es dazu, dass Sie sich für die Projektleitung der Weltküche entschieden haben?

Annette Jankowski: Ich habe die Frauen hier im Kiez kennengelernt, da ich nebenan gewohnt habe. Die Motivation, aus der Arbeitslosigkeit herauszukommen und deutsch zu lernen sowie ihr Esprit haben mich begeistert. Ich selbst habe einen internationalen Hintergrund, mein Vater war Grieche und wurde in den 1960er Jahren als Ingenieur hier angeworben. Es war damals sehr schwierig für ihn, sich zu integrieren. Für die Weltküche haben wir geschaut, wo die Talente liegen, und daraus ein Unternehmen gemacht. Hier war das Kochen der gemeinsame Nenner. Zusammen mit der Bundesregierung organisieren wir nun Projekte, damit die Flüchtlinge und Bleibeberechtigen zu uns finden und erleben können, wie es bei einem deutschen Arbeitgeber abläuft. Sonst sind die Flüchtlinge meist chancenlos, da sie oft nur sehr schwer eine Arbeitsgenehmigung oder Deutschkurse bekommen. Wir sind ein soziales Unternehmen, das gemeinsam von arbeitssuchenden Migranten und Deutschen gegründet wurde, um Arbeitsplätze zu schaffen. Mittlerweile zählt die Weltküche über dreißig Mitarbeiter aus der ganzen Welt. Eine große Familie, die sich über die Esskultur näherkommt.

Das gemeinsame Kochen und Essen ist also auch eine Art der interkulturellen Kommunikation?
Sevgi Bayram: Die Esskultur verrät viel über ein Land. Natürlich muss sich auch der Gaumen an Unterschiede zunächst gewöhnen. Es schmeckt mir nicht immer gleich gut, aber grundsätzlich probiere ich alles aus – Mexikanisch, Armenisch, Afrikanisch … Jeder kann Rezepte aus seiner Heimat einbringen. Unsere Karte ändert sich täglich, es wird also nie langweilig.

In der Berliner "Weltküche" (c) Laurin Schmidt

Die Weltküche
In der Weltküche werden Migranten und Bleibeberechtigte durch Schulungen qualifiziert und können Praktika und Hospitanzen absolvieren. Die meisten erhalten bei guter Leistung einen festen Job für die Schulversorgung, dem unternehmerischen Hauptgebiet der Graefewirtschaft. Das Unternehmen haben Heike Birkhölzer und Annette Jankowski gemeinsam auf die Beine gestellt und leiten es zusammen. Birkhölzer setzt sich seit Jahren für das Thema Soziale Unternehmensgründung und Soziale Ökonomie ein.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Interkulturelle Kommunikation. Das Heft können Sie hier bestellen.

Weitere Artikel