Inklusion ist Führungssache

Barrierefreier Arbeitsplatz

Inklusion zielt darauf ab, allen Menschen eine gleichberechtigte Teilhabe, unabhängig von gesundheitlichen Einschränkungen, zu ermöglichen. In einer betrieblichen Umgebung bedeutet das mitunter, dass individuelle Lösungen gefunden werden müssen, die wenig abstrakt sind und die Situation einzelner Menschen berücksichtigen. Eine Sachbearbeiterin im Büro steht nach mehreren Bandscheibenvorfällen vor anderen Herausforderungen als ein Fließbandarbeiter in der Montage, der mit den Spätfolgen eines Herzinfarktes lebt. Doch beiden Menschen gilt es gerecht zu werden.

Inklusion ist sicher auch eine Haltungsfrage. Viele Leitungspersonen rücken das Thema aufgrund ihrer christlichen oder sozialen Verantwortung in den Fokus. Für ein bekanntes großstädtisches Brauereiunternehmen gehört es zum Beispiel selbstverständlich dazu, dass die eigene Belegschaft das potenzielle Klientel widerspiegelt und sich darunter auch Menschen mit Behinderung befinden.

Entscheidungsträger, die auf Vielfalt im Team setzen, sind beim Thema Inklusion zum Teil ebenfalls aktiv. Aus gutem Grund: Viele Menschen mit Behinderung müssen sich jeden Tag neu überlegen, wie sie eine „gängige“ Problemlösung für sich entsprechend anpassen. Diese „andere“ Perspektive kann wiederum Unternehmen dabei helfen, einen höheren Anteil der Gesellschaft bei der Entwicklung und dem Angebot von Dienstleistungen und Produkten zu berücksichtigen.

Barrierefreiheit, also eine Nutzung unabhängig von körperlichen Einschränkungen einer Person, wird von einem Großteil der Kundschaft mittlerweile erwartet und ist in einigen Bereichen auch rechtlich vorgeschrieben. In der Diskussion um Diversity in der Personalarbeit spielt das Thema Behinderung in vielen Unternehmen im Vergleich zu Gender und kultureller Vielfaltaber häufig noch eine untergeordnete Rolle.

Ein guter Wille allein reicht nicht aus. Es braucht auch die soziale Kompetenz, um Menschen mit Behinderung gerecht zu werden. Und es braucht Fachkompetenz, um in der Situation die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Den Menschen mit Behinderung gibt es nicht. Deswegen ist es sinnvoll, das eigene Bild von einem Menschen mit Behinderung zu überprüfen. Eine erste Reaktion lautet häufig: „Wir haben ja keine blinden Kollegen im Rollstuhl.“ Ein solch verkürztes Bild blendet jedoch die Herausforderungen und den Unterstützungsbedarf vieler Menschen aus.

Auch eine Behinderung ist vielfältig

Ein klassisches Beispiel ist der Umgang mit psychisch erkrankten Teammitgliedern. Die Anzahl von Fehltagen aufgrund psychischer Erkrankungen steigt seit Jahren. Offen ist aber, wie viele Menschen ihre Erkrankungen aus Scham und Angst vor beruflichen Nachteilen verschweigen. Ist dann bei einem krankheitsbedingten Schub oder einem ungünstigen Verlauf der Erkrankung die Arbeitsleistung betroffen, führt das schnell zu Unverständnis auf Seiten der anderen Teammitglieder und Führungspersonen.

Kluge Personalverantwortliche setzen deswegen generell auf Wertschätzung und einen vertraulichen, offenen Umgang bei persönlichen Herausforderungen. Ein Satz wie „Darüber spricht man nicht“ ist keine Lösung, sondern eine Vermeidungsstrategie, die es zu überwinden gilt. Die richtigen Fragen wären: „Mit wem und wie spricht man über eine körperliche oder psychische Behinderung?“

Jeder Fall sollte vorrangig in Absprache mit der oder dem Betroffenen gelöst werden und nicht über ihren oder seinen Kopf hinweg. Niemand muss zudem über die eigene Situation Auskunft geben. Vertrauen ist ein hohes Gut. Wenn eine Person über ihre Herausforderungen spricht, dann hat diese auch das Recht zu bestimmen, wer sonst noch davon erfährt.

Verschiedene Arten von Behinderung erfordern unterschiedliche Vorgehensweisen bei der Inklusion. (c) Kofa

Verschiedene Arten von Behinderung erfordern unterschiedliche Vorgehensweisen bei der Inklusion. Klicken Sie auf die Grafik, um sie zu vergrößern. (c) Kofa

Bei längerfristigen Lösungen kann es sich anbieten, mehrere Personen einzubeziehen wie den Betriebsrat oder engere Teammitglieder. So kommen Fragen wie „Warum arbeitet XY nicht mehr bei bestimmten Tätigkeiten mit?“ gar nicht auf. Verständnis ist in Teams in der Regel vorhanden, Unsicherheit und ein gewisses Maß an Neugier im Umgang mit der neuen Situation aber auch. Zudem möchten einzelne Teammitglieder häufig helfen. Hier gilt es, im Einzelfall genau abzuwägen. Eine Beteiligung kann hilfreich sein, eine vollständige Abgabe der Verantwortung nicht. Inklusion ist immer auch Führungssache. Viele Lösungen können aber ohne eine weitläufige interne Kommunikation auch im Alltagsgeschäft einfach mitlaufen, etwa wenn jemand wegen einer regelmäßigen Psychotherapie die Arbeit früher beendet.

Inklusion braucht Zeit

Der Weg zu einer guten Lösung für beide Seiten ist für Unternehmens- wie Mitarbeiterseite mitunter länger als ursprünglich vermutet, gerade wenn externe Unterstützung in Anspruch genommen wird. Die passenden Unterstützungsangebote sind in der Regel tatsächlich vorhanden, aber über viele Institutionen verteilt: von der Arbeitsagentur über verantwortliche Kammern bis hin zum Integrationsamt. Als Erstes gilt es, sich die richtige Ansprechperson zu suchen und gemeinsam auf Basis der vorhandenen Informationen zu überlegen, welche Lösungen es im vorliegenden Fall geben könnte. Bei körperlichen Behinderungen betrifft das sehr häufig bestimmte Hilfsmittel, die der Fachkraft die Tätigkeit erleichtern. Ein solcher Vorgang braucht gerade beim ersten Mal Zeit. Besonders in kleinen Unternehmen geht Personalverantwortung aber häufig in Personalunion mit der Unternehmensleitung einher – und da fehlt die Zeit. Folglich gibt es in kleinen und mittleren Unternehmen leider weniger oft Menschen mit Behinderung m Team als in großen Unternehmen.

Ein gutes und eingespieltes Netzwerk, die Dokumentation von internen Erfolgsfaktoren sowie innerbetriebliche Strukturen für eine Vertrauenskultur sind langfristige Ziele für eine inklusive Personalarbeit. Das ist kein Ziel, das mal eben nebenbei abzuhaken ist. Inklusion ist keine Modeerscheinung, sondern ein wichtiger und zukünftig konstanter Bestandteil der Personalpolitik. Die Verwirklichung von Inklusion braucht nicht nur Worte, sondern Taten.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe DIVERSITY. Das Heft können Sie hier bestellen.

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