„Inhalte werden immer mehr zur Nebensache“

Gesine Schwan

Wahrheit braucht Zeit – so lautet die These, mit der Gesine Schwan den zweiten Tag des Kommunikationskongresses einläutet. Die Politikwissenschaftlerin bewirbt sich zurzeit gemeinsam mit Ralf Stegner um den SPD-Vorsitz.

Zeit sei für Kommunikatoren ein zweischneidiges Schwert, so Schwan. Heute stehen ihnen – der Digitalisierung sei Dank – so viele Informationen wie nie zuvor zur Verfügung. Dadurch entstehe jedoch kein Zeitgewinn, im Gegenteil: Der Druck, die gewonnenen Informationen zu verarbeiten, werde immer größer.

Zudem sei die Kommunikation ein Wettbewerbsjob – die stetige Konkurrenzsituation sei nicht immer gut für das Zwischenmenschliche. Diese Faktoren tragen dazu bei, dass der Inhalt der Kommunikation immer mehr zur Nebensache werde. „Schnelligkeit und Wirksamkeit sind heute am wichtigsten“, kritisiert Schwan. Sie fragt: „Kann es gutgehen, wenn Inhalte unter dem ständigen Zeitdruck leiden?”

Die Antwort ist offensichtlich: In der Kommunikation brauche es – im beruflichen wie privaten Umfeld – Verlässlichkeit und Kontinuität. „Fehlt die Zeit für eine wahrhaftige Kommunikation, verursacht dies einen Vertrauensverlust.“ Dieser wiederum verunsichere Menschen – eine gefährliche Entwicklung, denn Verunsicherung schüre Angst und Ressentiments.

Man müsse sich die Frage stellen, ob nicht wahrheitsorientierte Kommunikation auf lange Sicht rentabel ist, so Schwan. Zur Veranschaulichung des Problems zitiert sie Hannah Arendt: Wenn in einer Gesellschaft Tatsachen nicht mehr als Tatsachen geachtet werden, gebe es keinen gemeinsamen Boden mehr.

Wie können Kommunikatoren dieser Entwicklung entgegenwirken? Schwan plädiert – trotz Abnutzung des Begriffs – für eine „Koalition der Willigen“. Politik und Medien müssten wieder glaubwürdig werden. Dies könne erreicht werden, indem man eine langfristige Kompetenz in verschiedenen Feldern schaffe. „Verlangt eine Situation nach einer schnellen Reaktion, ist man immerhin gut vorbereitet.“

In ihrem Schlusswort appelliert Schwan noch einmal an ihre Zuhörer, das weit verbreitete Konkurrenzdenken zu überwinden: „Wir haben als Gesellschaft nur eine Zukunft, wenn wir den Gedanken der Kooperation wieder aufwerten.“

 

 

 

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