Mit Empathie die Kommunikation lenken

Psychologie

Fantasie zu haben bedeutet, Alternativen denken zu können. Wir können im Kopf Szenarien entwerfen, die zurzeit nicht real, sondern lediglich möglich sind. Kein Tier kann es mit dem Menschen aufnehmen, wenn es um kontrafaktisches Denken geht. Damit ist unsere Fähigkeit gemeint, im Sinne von „Was wäre, wenn …“ zu denken. Wir sind deswegen in der Lage, künftige Handlungen zu simulieren, ohne sie in der Realität ausprobieren zu müssen. Das Gehirn befähigt uns zur mentalen Simulation und diese Leistung ist es, die den Menschen auszeichnet.

Gedanklich konstruierte Inhalte können sich in ihrem Anspruch auf Wirklichkeit sehr unterscheiden. So können wir uns verwegenen Tagträumereien hingeben, die in keiner Weise real werden müssen oder können. Aber wir sind auch in der Lage, sehr konkret zu planen und künftige Ereignisse gedanklich genau vorwegzunehmen. Von dieser Fähigkeit machen wir nicht immer Gebrauch. So ärgern wir uns, wenn wir die Koffer mehrmals ein- und ausräumen müssen, weil sich der Kofferraum nicht schliessen lässt. Wir probieren dann so lange, bis es irgendwann geht. Alle möglichen Konfigurationen werden der Reihe nach ausprobiert. Dieses Vorgehen kann nervenaufreibend sein, ganz schön dauern und bringt uns ins Schwitzen. Es könnte helfen, einen Moment innezuhalten und sich im Kopf die beste Konfiguration zu überlegen, bevor wir die Koffer anfassen. Dann würden wir den mentalen Simulator einsetzen, der uns gestattet, verschiedene Szenarien im Kopf auszuprobieren, um eines davon auszuwählen.

Fantasie und Imagination können Inhalte verändern

Verschiedene Optionen im Kopf durchzuspielen ist auch die Basis erfolgreichen Kommunizierens. Gängige Kommunikationstrainings richten sich in erster Linie an konkrete Situationen, in denen sich Menschen direkt begegnen. Ist die Sprachwahl angemessen? Wie kommt das nonverbale Verhalten an? Wie reagiert man auf Kritik und Beschwerden? Oder wie kann man eine Diskussion souverän leiten? Gegen die Schulung von Kommunikationstechniken ist nichts einzuwenden. Aber Kommunikation findet nicht nur im Gespräch statt: Sie bedarf einer sorgfältigen Vorbereitung und Planung oder es wird über bereits erfolgte Kommunikation nachgedacht. Die gedankliche Nachbearbeitung von Gesprächen findet meistens nicht im Moment der aktuellen Kommunikation statt, sondern im Anschluss, gewissermaßen „off-line“. Wir spielen zum Beispiel durch, was eine bestimmte Person zum Vorbringen eines Einwandes veranlasst haben könnte.

Vor und nach der Kommunikation kommen Fantasie und Imagination ins Spiel. Und sie können den Inhalt der Kommunikation maßgeblich verändern. Wenn es das Ziel ist, nachhaltige Botschaften zu kommunizieren, die einen Einfluss auf das Verhalten von Menschen haben, dann ist es höchstrelevant, wie Menschen Informationen nachträglich bewerten. Potenziellen Kunden oder Kundinnen den Kopf vollzureden, bringt ebenso wenig wie zahlreiche gut gemeinte Ratschläge zum Aufhören des Rauchens oder zum Abnehmen. Beide Situationen können kommunikativ meisterhaft präsentiert werden – und dennoch kann daraus nichts resultieren. Die Halbwertszeit solcher Botschaften liegt oft im Bereich von ein paar Minuten. Im besten Falle reicht es im Dunst der Überredungskunst noch für ein paar spontane Kaufentscheidungen. Oder zu einem Lippenbekenntnis, diese Diät irgendwann mal ausprobieren zu wollen.

Empathie hilft, das Verhalten anderer vorherzusagen

Aber wie soll man denn nun „kommunizieren“? Man kann nicht mit Personen kommunizieren, wenn eine direkte Kontaktmöglichkeit nicht mehr gegeben ist. Aber was wir tun können, ist so zu kommunizieren, dass eine bestimmte Information auch langfristig wirkt. Und genau dabei hilft unsere Imagination.

Nicht nur befähigt uns die Imagination zur Vorwegnahme uns betreffender Situationen und der eigenen Gefühle, sondern auch diejenigen anderer Personen. Ich kann mir ein Modell des Funktionierens anderer Personen machen und darauf Simulationen laufen lassen. So sind wir in der Lage, die Gefühlslagen anderer Personen zu simulieren. Wir können uns in Eltern hineinversetzen, die die Beerdigung ihres Kindes planen, das einem Krebsleiden erlegen ist. Oder in Gewerbetreibende, die im Zuge der Coronakrise um ihre berufliche Existenz bangen müssen. In diesen beiden Situationen ermitteln wir jeweils andere Gefühle. Das Interessante ist aber in beiden Fällen, dass wir uns vergegenwärtigen können, wie andere Menschen in bestimmten Situationen fühlen werden, ohne dass wir die Betroffenen befragen müssen.

Unsere Imagination ist nicht nur bei emotional belastenden Ereignissen im Spiel. Mithilfe der kognitiven Empathie schätzen wir ständig ab, wie andere Personen mit bestimmten Informationen umgehen werden, was sie sich dazu denken und wie sich verhalten werden. Die Güte der Simulation hängt davon ab, wie gut wir die anderen Personen kennen. Bei persönlichen Bekanntschaften verfügen wir über sehr viel Wissen und Erfahrung, auf das wir uns bei der Vorhersage des Verhaltens einer bestimmten Person stützen können. Wie wird der oder die Vorgesetzte auf meine Anfrage reagieren? Wie wird die Partnerin oder der Partner auf mein Fehlverhalten reagieren? Personen sind unterschiedlich fähig, die Gefühlslage und das Verhalten anderer Personen mit hinreichender Güte zu simulieren. Kognitive Empathie ist Teil der sozialen Kompetenz.

Empathie stärkt den eigenen Standpunkt

Kognitive Empathie wird auch bei größeren Gruppen eingesetzt. Politische Kampagnen haben zum Ziel, das Wahlverhalten zu beeinflussen. Wir erinnern uns an das inzwischen insolvente Unternehmen Cambridge Analytica. Persönlichkeitsinformationen aus den Facebook-Profilen wurden verwendet und mit deren Hilfe wurden Personen gezielt bestimmte Informationen übermittelt, ohne dass je eine persönliche Bekanntschaft dazu Voraussetzung gewesen wäre.

Die kognitive Empathie wirkt sich in vielen Fällen prosozial aus, aber natürlich kann sie auch zu Manipulation, Betrug und Lüge verhelfen. Sie ist in erster Linie ein Instrument unseres Gehirns. Für eine konstruktive Problemlösung ist die kognitive Empathie allerdings zentral. Es ist erschreckend, wie wenig davon Gebrauch gemacht wird. Die Herausforderungen, die die Gesellschaft meistern muss, brauchen in erster Linie Empathie: Empathie für zukünftige Generationen in Umweltfragen, Empathie für diejenigen, die es in unserer Gesellschaft nicht leicht haben, Empathie bei Führungsverantwortlichen in Wirtschaft und Politik.

Empathie wird vielfach als „Soft Skill“ betrachtet und beispielsweise einem starken Durchsetzungsvermögen untergeordnet. Letzteres bietet allerdings keine nachhaltige Stärke und die Rollen werden beim nächsten Kräftemessen wieder neu verteilt. Die neue Stärke heißt Empathie.

Empathie zu haben bedeutet ganz und gar nicht, keine feste Meinung zu haben oder diese beim geringsten Einwand über Bord werfen zu müssen. Es geht auch nicht darum, dass ich den Standpunkt des anderen teilen muss. Es bedeutet lediglich, dass man sich mit dem anderen Standpunkt beschäftigt, ihn nachvollziehen kann und ihn nicht abwertet. Das ist mit Respekt gemeint. Und der eigene Standpunkt wird durch Empathie nicht etwa geschwächt, sondern sogar gestärkt.

 

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