Im Geiste androgyn

Da sind sicherlich einige Tränen geflossen. Barbie hat Ken verlassen, verkündete der Spielwarenhersteller Mattel vor zehn Jahren. Witziges Detail: Der extra für die Pressekonferenz engagierte Sprecher heißt Ken Sunshine. Ein Name, wie für die pinke Plastikwelt gemacht. Ob sich der männliche Sprecher für diesen PR-Gag wohl leicht in die weibliche Gefühlswelt hineinversetzen konnte? Oder anders gefragt: Wie kommuniziert man für ein Produkt, das bestimmte Zielgruppen adressiert? Zielgruppen, denen man von Natur aus nicht angehört. Mister Sunshine jedenfalls antwortete auf alle entrüsteten Fragen zu Barbies Trennungsmotiven äußerst souverän.

In Liebesdingen kennt sich Dirk Kartes sicherlich ebenso aus. Er ist Vice President Brand, PR & Digital Marketing bei FriendScout24. Vorrangig ist Kartes Marketingstratege bei der Partnerschaftsbörse, nur selten schlüpft er in die Rolle des Sprechers. Und wenn doch, sind die Aufgaben klar verteilt. Männliche Journalisten landen bei der PR-Leiterin Eva-Maria Müller, weibliche Medienvertreter bekommen Kartes als Interviewpartner. Das Casual-Dating-Angebot „Secret“ könne in der Presse beispielsweise besser durch eine Frau vertreten werden, da es sich auch an „die moderne Frau“ richte. „Das ist eine bewusste Spieleraufstellung“, erklärt der 48-Jährige.

Pikantes charmant umschreiben

Manchmal wundert sich Kartes über seine männlichen Kollegen. Bei Vorträgen zum Casual Dating – also einem Treffen ohne Verpflichtungen – grinsten die Männer am Tisch wie Schuljungen. „Komischerweise tendieren Männer bei dem Thema eher zur Albernheit. Ich wähle daher meine Sprache sehr sorgfältig aus, damit die Marke nicht ins falsche Licht gerät“, erklärt Kartes, der 2000 als Marketingleiter für ProSieben.de auch die Vermarktung von „Sex and the City“ verantwortete. „Frauen sind da manchmal cooler als Männer. Meine Mitarbeiterinnen finden an Casual Dating nichts anstößig, da entstehen keine Irritationen im Gespräch.“

Frauen sind also entspannter? Bei der Recherche für diesen Beitrag entstand der Eindruck, dass die Gelassenheit bei der Frage „Wie kommuniziert eine Pressesprecherin sogenannte Männerthemen?“ verfliegt. Fragt man weibliche Kommunikatoren zum Auf und Ab ihres Arbeitsalltags in männerdominierten Unternehmen, wird es einsilbig auf der anderen Seite. Eine Interviewpartnerin versteckte sich nach einigem Hin und Her hinter „Terminkonflikten“ und sagte das Gespräch ab. Die mögliche Irritation ist auch irgendwie verständlich, ist doch die klischeehafte Kategorisierung in Geschlechtern längst ein alter Hut. Sollte sie zumindest sein.

„Allein die Fragestellung bedient Stereotype“, sagt Henriette Viebig, Kommunikationsleiterin beim Technologiekonzern Körber. Ihr falle es leicht, Fachthemen verständlich zu erklären. Alles, was man dafür brauche, sei Neugier und ein Händchen für Menschen. Kein Händchen für Mathe? „Mathe muss man nicht zwingend gut können, man muss den Ingenieuren nur die richtigen Fragen stellen“, erklärt Viebig. Nach dem Kultur- und Sprachwissenschaftsstudium spezialisierte sie sich in ihrem PR-Volontariat auf technische Themen. „Ein guter Pressesprecher kann für jedes Thema oder Produkt sprechen.“ Damit hat sie natürlich Recht. Dennoch ist es interessant, typisch männliche und weibliche Herangehensweisen an den Sprecherjob zu entdecken. Diese Kategorisierung muss sich dabei auch nicht auf das biologische Geschlecht beziehen, sondern ist wohl eher eine Charakterfrage.

Im Flieger nach Chicago

Online-Dating-Experte Kartes spricht die Zielgruppe Frau an, indem er möglichst objektiv bleibt. Er zieht sein Wissen über deren „Partnerbedürfnisse“ nicht aus einem privaten Fundus an Liebeserfahrungen. Seine Entscheidungen beruhen auf geschlechterspezifischen Umfragen. „Ich bringe die Dinge immer auf die objektive Sachebene“, sagt er. Partnervermittlung ist natürlich kein reines Frauenthema. FriendScout24 hat beinahe zu gleichen Teilen männliche und weibliche User. 6.000 bis 7.000 melden sich monatlich ab, weil sie einen Partner gefunden haben. Kartes hat seine große Liebe auch schon getroffen – jedoch offline. Seinerzeit Marketing Manager bei McDonald’s, begegnete er ihr im Flieger nach Chicago. Sie war Beraterin der betreuenden Werbeagentur und auf dem Weg zu einer Marketing Academy. Nun sind sie seit 15 Jahren ein Paar.

Gelebte geistige Androgynität

 „Wir brauchen einen androgynen Blick auf die Welt. Diese Klischeevorstellungen sind Anachronismen“, sagt Thomas Mendes, Head of Communications bei dem Naturkosmetikkonzern Logocos. Dort behauptet er sich als einziger Mann in der weiblichen Kommunikationsabteilung. Unter Frauen bedarf es seiner Meinung nach „charmanterer Methoden und Zurückhaltung“, als wenn man mit Männern spricht. Mendes setzt auf Vertrauen und Offenheit Menschen und Themen gegenüber, er denkt nicht in Geschlechtern. „Ich würde nicht sagen, jeder Mann kann meinen Job machen. Aber auch nicht jede Frau!“ Letztlich zähle die fachliche Kompetenz. Dass er einmal Pressesprecher wird, war nicht von vorn herein klar. Bevor Mendes Psychologie und Kommunikationswissenschaften studierte, ließ er sich mit 18 zum Schauspieler ausbilden. Schnell ernüchtert von der brotlosen Kunst, begann er sein Studium und war danach für alles offen. Vorerst landete er in der Finanzbranche, bis er 2007 als Pressesprecher bei Annemarie Börlind in die Beautybranche wechselte. Später reizte es ihn sehr, Logocos – einst in der Hippiebewegung entstanden – „kommunikativ in die Zukunft zu begleiten“. Was ihm auffällt in der Kosmetikindustrie: Männer sprechen eher über Konditionen, Vertriebskanäle, Zahlen und Ziele. Frauen gingen mehr in die Tiefe, eruierten intensiver Inhalte.

Was Frauen wollen …

Um sich diese Inhalte anzueignen, hat Sachar Klein besonders intensiv mit Kennerinnen der Schönheitsbranche gesprochen. Er ist Vice President Communications bei Glossybox, einem jungen Unternehmen, das Beauty-Abokisten vertreibt. „Ich wollte vorab wissen, wie ich mich oder meine Kommunikation für die Zielgruppe Frau ändern müsste“, sagt der ehemalige E-Plus-Sprecher. Mit offenen Armen wurde er bei Glossybox empfangen, musste gar nicht gegen Klischees kämpfen. Vielleicht ­höchstens im Freundeskreis: „Unfassbar, wie laut Stille sein kann, wenn dich deine Freunde in der Fußballrunde schweigend anstarren, nur weil man die Vorteile eines bestimmten Rasierschaums lobt.“ Besagter Schaum lag in seiner Men Box, die Klein bereits vor Stellenantritt von Glossybox bezog. High-End-Kosmetik für Männer. Eine Erfolgsgeschichte? Wohl eher nicht. „Interessant war, dass viele Abonnenten der Men Box Frauen waren, die damit ihre Freunde oder Ehemänner beschenken wollen“, lautet Kleins Bilanz.

Bereits im Vorstellungsgespräch war klar, dass er strategisch für das Unternehmen kommunizieren würde. Die Marke glaubwürdig nach außen vertreten muss jedoch ein anderer. „Na ja, es wäre nicht authentisch, wenn ich für einen Mascara kommuniziere“, sagt Klein und lacht. Das übernimmt demnächst eine Frau, die auf den bisherigen Pressesprecher Falco Kremp folgt. Klein, studierter Medienwissenschaftler und Blogger, interessiert sich für die „Geschichten“, die es zum Produkt zu erzählen gibt. Dazu brauche man nur ausreichend Fantasie.

Von Robotern und Fachvokabeln

Fantasie braucht auch Friederike Nielsen, wenn sie der Fachpresse oder Kunden die Features von Flugrobotern erklärt. Seit März leitet sie Marketing und PR beim Flugroboter-Hersteller Aibotix in Kassel. Die ehemalige Books-on-Demand-Kommunikatorin war für alle Branchen offen, als sie an den Industriestandort zog. Um genug fachliches Wissen zu haben, hat sie die Entwickler bei ihrem neuen Arbeitgeber mit Fragen überhäuft – und Vokabeln gepaukt. Dadurch, dass sie Dinge hinterfragte und sich erklären ließ, sind auch neue Ideen entstanden. „Da wurde deutlich, dass man vieles auch anders sagen kann. Es ist positiv, eine gewisse Emotionalität in das Thema hineinzubringen“, sagt die 35-Jährige. Im Gegensatz zu den technikverliebten Entwicklern erklärt Nielsen lieber, wozu man die Flugroboter einsetzt und welche Vorteile sie dem Anwender bringen, als die neuesten Features vorzustellen. Ansonsten sind ihr nie irgendwelche Klischees begegnet. Höchstens beim mittäglichen Grillen fällt ihr manchmal auf, dass das ein Job unter Männern ist. „Dann gibt es immer nur Fleisch, maximal mit Brot als Beilage.“

Dafür braucht man keine Kfz-Lehre

Auch beim französischen Automobilhersteller Renault steht mit Nadine Belting eine Frau an der Spitze der Unternehmenskommunikation in Deutschland. Eingestiegen ist sie nach dem BWL-Studium jedoch im Vertrieb. „Das ist die wahre Männerdomäne“, sagt Belting. Als Business Managerin Vertriebsaußendienst erntete die junge Frau skeptische Blicke und subtile Unterstellungen, sie sei nicht kompetent genug. Doch das forderte sie eher heraus, und sie überzeugte die Händler durch ihr Fachwissen. Das Gefühl, getestet zu werden, ist jedoch bis heute geblieben. „Es ist aber auch besser, unterschätzt als konsequent überschätzt zu werden“, bilanziert die 34-jährige Kommunikatorin. Für Autos habe sie sich schon immer interessiert. „Ich bin bestimmt nicht das klassische Mädchen. Ich bin unter vielen Jungen aufgewachsen“, sagt sie und lacht. Trotzdem erlebe sie Frauen „stimmungsaffiner“ als Männer. Sie könnten in ­Situationen eher umschalten als Männer.

Das Ergebnis dieser Mini-Umfrage? Es ist irrelevant, für welches Thema Mann oder Frau kommuniziert – der Job verlangt womöglich jedem dasselbe ab: Offenheit, Einfühlungsvermögen und ein verlässliches Gespür für Themen und Stimmungen.

Hätte Ken früher im Blick gehabt, dass Barbie sich längst für den Surfer Blaine interessiert und vergeblich auf einen Heiratsantrag wartete, hätten die beiden ihre Trennung sicherlich umschiffen können. Doch es gibt ein Happy End, seit 2011 sind sie wieder offiziell vereint. Das hat diesmal aber eine Frau verkündet.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Aus- und Weiterbildung. Das Heft können Sie hier bestellen.

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