Ich rede, also bin ich

Kolumne

„In Deutschland geht mehr Arbeitszeit durch Grußworte verloren als durch Arbeitskämpfe“, soll der frühere Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt einmal gesagt haben. Solch eine Feststellung schmerzt einen Redenschreiber natürlich. Sie schmerzt aber umso mehr, wenn der gute Mann damit auch noch Recht hat.

Vor kurzem erlebt: Eine genossenschaftlich organisierte Bank hatte einige ihrer offenbar besten Kunden und Anteilseigner (nein, ich gehörte nicht dazu) zu einer Feierstunde eingeladen und mit einem kleinen Kammerkonzert beschenkt. Aber wie das bei Geschenken oft so ist: von nichts kommt nichts. Erst sagt Dickie ein Gedicht auf, dann gibt’s die Bescherung (für alle Nicht-Loriot-Kenner: das ist aus „Weihnachten bei den Hoppenstedts“).

Die Begrüßung soll nicht abendfüllend sein

Bevor also die erste Note erklang, musste die versammelte Gästeschar die Begrüßung des Vorstandsvorsitzenden über sich ergehen lassen. Das wäre nicht weiter schlimm gewesen, wenn er es bei einer Begrüßung belassen hätte. Hier empfiehlt sich ein Konglomerat beispielsweise folgender Textbausteine: „Guten Abend“, „Ich freue mich dass Sie unserer Einladung gefolgt sind“, „Damit möchten wir Danke sagen für Ihr Engagement“ oder „Ich wünsche Ihnen eine wunderbare Stunde musikalischen Genuss“.

Leider hat sich der Herrscher über das Geld auch gleich zum Herrscher über das Rednerpult gemacht. Er ließ es nicht mehr los. Fast zwanzig Minuten dauerte die „Begrüßung“. Grob geschätzt hat das an gleich drei Stellen zu Unverständnis geführt: beim Publikum, das sich innerlich und auditiv bereits vom Gastgeber verabschiedet und tiefer Besinnlichkeit zugewendet hat, bei den Musikern, die sich hinter den Kulissen die Füße platt standen, und – tja – irgendwie auch bei der Rede. Denn welche Botschaft kann in Erinnerung bleiben, wenn jemand schon die dankbar-freundlich-frische Begrüßung zum schwer verdaulichen Hefeteig auswalkt?

Tritt fest auf, mach’s Maul auf, hör bald auf

Dabei ist der Weg zur guten Rede ganz einfach. Martin Luther – der in diesem Jahr natürlich auch in keiner Kolumne fehlen darf – wird die Anleitung zugeschrieben: „Tritt fest auf, mach’s Maul auf, hör bald auf.“

Welche Aufgabe hat eine Begrüßungsrede bei einem solchen Anlass? Sie soll eine Verbindung herstellen zwischen dem Einladenden – hier also der Bank – dem Publikum und der Musik, die folgt. Der frühere Dirigent Nikolaus Harnoncourt hat sich von seinem Publikum mit dem Satz verabschiedet: „Wir, die Musiker auf der Bühne, und Sie, das Publikum im Saal, wir sind zu einer Entdeckergemeinschaft geworden.“

Eine Rede ist kein Monolog, sondern ein Dialog

Das entscheidende Wörtchen in diesem Harnoncourt-Zitat ist „Gemeinschaft“. Eine Rede ist kein Monolog. Eine Rede ist immer ein Dialog mit dem Publikum. Nur so können Botschaften ankommen. Und wie immer bei einem Dialog: wichtig ist, dass auch der andere mal zu Wort kommt.

Wie das bei einem Vortrag vor Publikum geht? – Ganz einfach: Klare Botschaften vorbereiten, in verständliche Sätzen kleiden, auf den Punkt vortragen, gelegentlich Pausen machen (fürs eigene Durchatmen und damit das Publikum das Gesagte rekapitulieren kann), Blickkontakt halten, Reaktionen der Zuhörer wahrnehmen und eben rechtzeitig zum Ende kommen. Dann wird auch alles, was folgt, zum Genuss.

 

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