Hat PR eine Zukunft?

Seit vielen Jahren befindet sich die PR auf einem steilen Pfad der Professionalisierung. Das betrifft die akademische Ausbildung mit Studiengängen wie in Leipzig, München oder Hohenheim, aber auch die standardisierte nichtakademische Ausbildung zum PR-Berater dank der vereinheitlichten Prüfung durch die Prüfungs- und Zertifizierungsorganisation der deutschen Kommunikationswirtschaft (PZOK). Eigentlich ist alles auf einem guten Weg, sollte man meinen. Warum also die Gretchenfrage zur Zukunft der PR? Die Frage könnte gar nicht dringlicher gestellt werden, denn der PR kommt das Geschäftsmodell abhanden und sie tut sich schwer damit, neue Modelle zu erschließen.
Das aktuelle Geschäftsmodell ist mit einem Satz beschrieben:  über Multiplikatoren kommunizieren und die Reputation der Organisation stärken sowie Vertrauen in die Institution aufbauen. So hat es schon Albert Oeckl vor 60 Jahren als Pionier unserer Profession gelehrt und in der Zielsetzung hat es an Aktualität nichts eingebüßt. Das Problem liegt bei den Multiplikatoren, den Journalisten. Zunächst einmal werden es immer weniger. Die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit besagen zwar das Gegenteil: Angeblich hat sich die Zahl der Stellen von 2001 bis 2012 von 123.000 auf 162.000 erhöht. Die gefühlte Realität ist jedoch eine andere: Die Blätter werden immer dünner, ganze Redaktionen verschwinden und die verbleibenden sind kleiner.  Vielleicht verhält es sich mit der Statistik der Bundesagentur wie mit der Ankündigung des Axel-Springer-Verlags im März 2013, als gefeiert wurde, dass ein Drittel der Umsätze durch digitale Produkte erwirtschaftet wird. Ist das jetzt der Durchbruch bei der digitalen Vermarktung journalistischer Inhalte?

Schaut man genauer hin, so stellt sich heraus: Gemeint sind Erlöse aus Immoscout24 und anderen, gerade nicht journalistischen Aktivitäten. Die jüngste Entscheidung des Verlags, sich von seinen Regionalzeitungen und einigen Zeitschriften zu trennen, unterstreicht die Annahme, dass selbst die Verlage den Glauben an die Zukunft des Journalismus verloren haben. Was das Geschäftsmodell angeht, sitzen Journalisten und PR-Verantwortliche im gleichen sinkenden Boot. Die Analyse ist aber noch nicht vollständig, denn nicht nur das Geschäftsmodell, sondern auch das alte Handwerkszeug funktioniert zunehmend schlechter.

Die traditionelle Kommunikationsstrategie aller Kommunikationsabteilungen, vereinfachend ausgedrückt, bestand darin, viele gute Nachrichten über viele Kanäle an viele Multiplikatoren zu verbreiten. 500 Pressemitteilungen im Jahr, Pressekonferenzen, Roundtables und Pressereisen. Letztere kosten Kommunikationschefs, wenn sie es übertreiben, zu Recht den Kopf, wie man bei Thyssen-Krupp unlängst studieren durfte. Es muss nicht erst zum Straftatbestand werden. Auch so gilt: Das Motto, viel hilft viel, und wenn es ein bisschen teurer ist, noch mehr, ist gescheitert. Erstens sind die Adressaten von dem Trommelfeuer des „wir sind die Tollsten“ gesättigt. Schätzungen zufolge buhlen inzwischen Pressesprecher im Verhältnis zwei zu eins um die Aufmerksamkeit der letzten – mittlerweile unter Artenschutz stehenden – Journalisten. Zweitens haben sie keinen Platz mehr, das aufzunehmen. Drittens und am wichtigsten: Damit wird zunehmend die gewünschte Wirkung verfehlt.

Die Reputation von Unternehmen und Unternehmensführern befindet sich laut Edelman-Trust-Barometer 2013 im freien Fall. Edelman spricht von einer ernsten Vertrauenskrise von Unternehmensführern. Offenbar bewirkt das medial vermittelte Bild unserer CEOs nicht das, was wir uns in den Kommunikationsabteilungen ausgedacht haben. Was das Trust-Barometer auch zeigt: Die alte vertikale Einflusspyramide funktioniert nicht mehr. Sie basierte auf der Annahme, dass Informationen, etwa vom CEO, über eine Kaskade in die breite Bevölkerung rutschen. Wer oben in der Pyramide saß, hatte den größten Einfluss. Seit einigen Jahren beobachten wir einen fundamentalen Wandel. Das größte Vertrauen genießt heute der Freund auf Facebook oder Twitter, die Xing-Community oder neudeutsch: der „Peer“. Mit dem Peer ins Gespräch zu kommen, das ist das Ziel. Aus Kommunikationsperspektive sind die Peers die „Influencer“. Es ist vielleicht auch ein Hype und bedeutet nicht, dass Journalisten damit plötzlich unwichtig wären. Die Gewichtung verschiebt sich nur zunehmend, gerade wenn es darum geht, den Kommunikationserfolg nicht nur zu postulieren, sondern ihn zu beweisen.

Von „Push“ zu „Engage“

Schlechte Zeiten also für Spin-Doctors, die weismachen wollen, sie müssten nur den Chefredakteur xy anrufen und die Sache läuft oder nicht. Es sind die vielen Influencer, mit denen es ins Gespräch zu kommen gilt. Dabei heißt „ins Gespräch kommen“ eben nicht, den Influencer mit Presse-Infos zu überfluten. Vielmehr bedeutet es, zuzuhören, sich als Kommunikationsverantwortlicher einzubringen, sachverständig und authentisch auch kritische Diskussionen zu führen. Das stellt den größten Paradigmen-Wechsel dar – von „Push“ hin zu „Engage“.
Kommunikationschefs des alten Paradigmas hingegen agieren unsichtbar wie Harry Potter unter seinem Zauberumhang.  Der Kommunikationsverantwortliche neuen Typs ist dazu das Gegenmodell: kompetent in der Sache, empathisch im Umgang mit seinen Zielgruppen, authentisch handelnd und sichtbarer Repräsentant seiner Organisation in der Öffentlichkeit. Dieser Typ Kommunikator bedient nicht nur eine andere Klaviatur, er verfügt über ein anderes Skill-Set.
Zurück zu den Influencern. Auch im Marketing möchte man gerne mit den Influencern sprechen, in Facebook präsent sein und die eigenen Kommunikationsplattformen einsetzen, um Zielgruppen unmittelbar zu erreichen. Dabei kommen sich PR und Marketing zunehmend ins Gehege. Integriertes Marketing, über das in den letzten 20 Jahren sehr flüssig, aber sonst ohne weitere Konsequenzen gesprochen wurde, wird unerlässlich.

Die bisherige Zwischenbilanz zur Zukunft der PR sieht düster aus. Trotzdem wird  Public Relations eine Zukunft haben, wenn es gelingt, das Geschäftsmodell neu zu erfinden. Die Schnittmengen zwischen Marketing und PR sind mit der Bespielung von Social-Media-Plattformen sehr viel größer geworden. Und nicht nur Marketing bespielt diese. Auch Human Resources, der Einkauf, nahezu alle Unternehmensfunktionen haben für sich den Nutzen entdeckt und wollen ihn ganz selbstverständlich auch ankurbeln. Das Gute ist, niemand stellt ernsthaft in Frage, dass PR der Einäugige unter den Blinden ist, also über die meiste Kompetenz verfügt, die Social-Media- Aktivitäten der Organisation zu orchestrieren. Nicht überall folgt aus der allgemeinen Zustimmung die Übertragung von Steuerungskompetenzen. Da, wo die Social-Media-Governance jedoch in der PR liegt, kann man beobachten, wie das Modell wirkt. Mit der Governance stellt sich nämlich ganz natürlich die Frage nach den Inhalten: Wo kommen sie her, wie werden sie aufbereitet und wie werden sie publiziert? Und wird dieser Prozess koordiniert?

Das kann komplex werden. Ein Beispiel aus der Microsoft-Welt. In Deutschland existieren rund 130 Social-Media-Kanäle, Facebook-Seiten, Xing-Gruppen, Youtube-Accounts, die operativ in den Geschäftsbereichen verantwortet werden. Ohne ein Redaktionsplanungssystem (im einfachsten Fall ein Kalender) lässt sich keine Struktur schaffen. PR schafft diese Struktur (Governance) und rückt damit sehr dicht an die Wertschöpfungskette.

Die Konsequenz aus diesem Vorgehen heißt auch, sich von der Illusion der „One-Voice-Policy“ zu verabschieden – in dem Sinne, dass nur die PR für die Organisation spricht. Stattdessen wird PR auf diese Weise zum „Enabler“ mit dem Ziel, dass jedes Mitglied in der Organisation in der Lage ist, in angemessener Weise zu kommunizieren. Die Klage  über zu wenige Mitarbeiter in der Kommunikationsabteilung steht dann plötzlich in einem anderen Licht, denn nicht nur die (meist) wenigen in der Kommunikationsabteilung, sondern alle Mitarbeiter der Organisation werden damit zu Markenbotschaftern. Das bedeutet allerdings nicht, dass Journalisten in diesem Modell den Pförtner anrufen sollen, um sich die Informationen zu holen – an der Bearbeitung traditioneller Medien ändert sich nichts.

Kern der Umbauarbeiten

Der Kalender oder das Redaktionssystem sind nicht primär Werkzeug, sondern vor allem Plattform für Inhalte. Inhalte, die zu erstellen sind. Hier eröffnet sich ein großes Betätigungsfeld. Viele PR-Abteilungen haben sich mit Blick auf ihre aus PR getriebenen Social-Media-Aktivitäten schon neu organisiert. Und die, die darüber noch nicht nachgedacht haben, sollten es dringend tun. In einer Organisation spricht man von einem Newsroom, woanders vom Editorial Board. Kern der Umbauarbeiten ist immer, einen themenorientierten redaktionellen Prozess abzubilden. Dort entsteht Content in unterschiedlichsten Formaten: Features, Reportagen, Blog-Beiträge, Videos und ja, auch Pressemitteilungen. Aber während bislang die Kommunikation über Multiplikatoren im Mittelpunkt stand, steigt jetzt die Bedeutung von eigenen Plattformen, auf denen redaktionelle Inhalte publiziert werden. Die Marketing-Verantwortlichen nennen das neuerdings Content Marketing und geben im Umkehrschluss wohl zu, dass Marketing abseits dieses Ansatzes eine weitgehend inhaltsfreie Angelegenheit ist. Content Marketing ist der Sache nach PR und ein weiterer Beleg für die große Schnittmenge zwischen beiden Bereichen. Wo Marketing „inhaltlich“ wurde, im Corporate Publishing, gibt es großartige Beispiele, wie kreative Corporate-Publishing-Produkte ihren Weg machen. Corporate Publishing nimmt eine dynamische Entwicklung – vor allem wenn es gelingt, den Geruch von Druckerschwärze zu vertreiben. Die Perspektive unserer Profession liegt darin, dass die Produktion dieses Contents zunehmend über die Redaktionsprozesse in der PR erfolgt.

Und daraus entsteht das neue Geschäftsmodell: PR wird die Fähigkeit zum Storytelling ausbauen, die Themen-Governance ausüben und sich zum Content-Hub für die Organisation entwickeln. Das ist kein Schalter-Umlegen. Der Weg mag – je nach Entwicklungsstand der Organisation – unterschiedlich weit sein. Er führt die Kommunikation aber an die Wertschöpfungskette und verändert die Zusammenarbeit von PR und Marketing strukturell. 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Frauen in der PR. Das Heft können Sie hier bestellen.

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