Haltung im Herbstwald: Den Tod kommunizieren Teil 1

Herr Wirthmann, was ist die wichtigste Voraussetzung, um Bestatter zu sein?

Oliver Wirthmann: Es bedarf einer inneren Haltung, die spürt der Angehörige sofort: Kommt der Bestatter mit einer unterwürfigen Geschäftstüchtigkeit? Oder ist er einfühlsam, nimmt meine Individualität ernst und berät mich? Angesichts der existenzieller Erschütterung von Wut und Trauer braucht es eine feste Weltanschauung des Bestatters.

Und im „Außen“?

Normalerweise haben wir im Schnitt nur alle 18 Jahre mit dem Tod in unserem engsten Umfeld zu tun. Der Markt für Bestatter ist nicht erweiterbar, schon gar nicht im Hinblick auf den Demografiewandel. Außer vielleicht bei der Bestattungsvorsorge kann ich keinen Bedarf an meinen Dienstleistungen wecken. Und unsere Branche lebt von nichts so sehr wie von ihrem guten Ruf. Ich sehe Bestatter als handwerksnahe Dienstleistung. Wer in diesem Geschäft bestehen will, braucht einen guten Namen. Um den aufzubauen, braucht man einen langen Atem.

Wie sieht Ihr Alltag im Umgang mit den Medien aus?

Es herrscht viel Unwissen, da gibt es also jede Menge Fachfragen. Die Medien fragen mich meistens nur bei Skandalen oder nach den neuesten Grab-Trends. Sie hoffen auf Gags, aber die gibt es rund um Bestattungen in den Medien viel häufiger, als es ihnen real zukommt. Der Deutsche ist da zum Glück noch ziemlich traditionell.

Das öffentliche Bild vom Tod ist also falsch?

Es geht darum, das Thema Tod zu enttabuisieren. Es wird bisher nur virtuell und in gewaltsamen Bildern dargeboten, zum Beispiel in TV-Krimis oder den Nachrichten. Der Tod ist zwar ein Grundthema des Lebens aber eben auch ein existenzielles, das emotional aufgeladen ist. Bestatter sind keine Randgruppe sondern stehen in der Mitte der Gesellschaft!

Wer ist denn Ihre Zielgruppe?

Ich mag das Wort nicht! Wir haben auch keine „Kunden“, das sind Angehörige. Bei uns geht es um Menschen, nicht um Ziele. Außer vielleicht bei der Bestattungsvorsorge.

Wie „verkauft“ man den Tod sprachlich?

Für den kommunikativen Umgang gibt es zwei Wege und beide sind problematisch: Wir können das Tabu schön umschreiben mit Formulierungen wie „Am Ende der Reise“ und Bildern von einem Herbstwald, Sonnenuntergang oder einem Steg am See. So werden nette Dinge evoziert, aber das kaschiert nur. Wir wollen so den Tod erträglich machen – aber er ist und bleibt schwer und schmerzhaft.

Und die Alternative?

Ist die Provokation: Kampagnen, bei denen jenseits der Gleise im Bahnhof der Slogan „Treten Sie näher“ stand, wurden von uns abgemahnt. Das geht an unserer Zielgruppe „60+“ vorbei. Wir werden 2015 zwar selbst Karikaturen einsetzen, aber da ist durch die Überzeichnung die sanfte Provokation schnell erkennbar. Wir sollten mehr im Sinne von „Bestattung ist ein existenzielles Thema – hab Mut, wir helfen Dir“ kommunizieren.

Was nervt denn anders herum Bestatter?

Halbwissen ist das Problem: Bestatter mögen es nicht, wenn Angehörige als erstes fragen „was kostet das?“ Sie gehen ja auch nicht zu VW und fragen, „was kostet ein Auto?“ Denn zwischen einem Polo und einem Phaeton gibt es natürlich Unterschiede. Bestatter müssen noch lernen, ihre beratende Dienstleistung selbstbewusst in Rechnung zu stellen.

Welche Folge hat dieses „Halbwissen“?

Die Menschen haben kein Preisgefühl: Wer regelmäßig im Supermarkt Butter kauft, weiß irgendwann in etwa, was sie kostet. Oder dass es bei Ebay keine echte Rolex für 30 Euro gibt. Aber bei einer Bestattung ist das anders. Ein anderes Problem ist negative Zuweisung: Bestatter hören immer „Ihr habt ja ein todsicheres Geschäft“ oder „gestorben wird immer“. Einen Bäcker beschimpft ja auch niemand, weil er sein Geld mit Nahrung verdient, die alle brauchen. Aber wenn wir kommen, freut sich niemand, dabei sind auch wir nicht die Verursacher des Geschäfts.

Im Umgang mit allen Beteiligten müssen Sie sehr genau auf Ihre Worte achten.

Das Wording ist ein sensibles Thema. Ich persönlich find es schlimm, Kindern zu sagen „Opa ist jetzt ein Stern“ – denn das ist er nicht. Und dass jemand „eingeschlafen“ sei, kann bei ihnen sogar zu schlimmen Problemen führen. Schließlich wacht der Tote nicht mehr auf und Kinder bekommen Angst vor dem Schlaf.

Welche kommunikativen Tabus gibt es in Ihrem Bereich?

Mich ärgern vor allem zwei Wörter: „Leichentourismus“ bedeutet eine schnelle Entsorgung der Toten ohne Trauerfeier. Und „Bestattervermittler“ erwecken im Internet den falschen Eindruck, man könne gegen Provision mit drei Klicks alles organisieren – das ist würdelos.

Welchen Claim nutzen Sie?

Wichtige Claims sind für uns „Bestattungsvorsorge – eine Sorge weniger“. Damit machen wir Menschen auf das Thema aufmerksam. Und mit dem Slogan „Am Ende will ich, dass alles gut ist – vertrauen Sie Ihrem zertifizierten Bestatter“ unterstreichen wir die Arbeitsqualität, und dass wir die Maßstäbe setzen.

Gibt es in der Branche einen internationalen Austausch?

Ja. Für jede Salatgurke gibt es EU-Vorschriften, aber zum Beispiel die internationalen Abkommen für Überführungen sind von 1938. Seitdem hat sich so viel geändert und viele bürokratische Hürden sind entbehrlich, daher setzen wir uns über die Mitgliedschaft in der europäischen Bestattervereinigung EFFS für europaweite und internationale Regelungen ein.

Zurück zu Ihnen: Haben Sie selbst schon vorgesorgt?

Ich beschäftige mich jeden Tag mit dem Tod – aber das ist im Alter von 42 Jahren und angesichts von zwei kleinen Kindern kein Zeichen von Todesverliebtheit (lacht). Für meine eigene Beisetzung hätte ich gerne eine Erdbestattung im Sarg, im Grab meiner Schwiegereltern in der Pfalz.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Randgruppen-PR. Das Heft können Sie hier bestellen.

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