Gegen geistige Windstille – eine Verortung des Pressesprechers

Jörg Schillinger hat viele Ämter und schlägt jeden Tag kommunikative Brücken. Im Interview verortet der BdP-Präsident und Sprecher der Oetker-Gruppe die aktuelle Position des Sprechers, fordert mehr professionelle Gelassenheit und erzählt, wie er seine persönliche Work Life Balance hält.

Herr Schillinger, wie steht es um die Rolle des Pressesprechers?

Jörg Schillinger: Vor dem Hintergrund der Medienkrise mit immer kleineren Redaktionen ist er als Informationsquelle sehr gefragt. Außerdem sind Pressesprecher immer besser ausgebildet, weil es immer mehr Ausbildungsmöglichkeiten gibt. Die theoretische Qualifikation steigt und der Nachwuchs ist sehr lernwillig. Doch nach der Ausbildung geht die Arbeit ja erst richtig los.

Ist die praktische Qualifikation ähnlich gut wie die theoretische?

Ich empfehle dem Nachwuchs immer auch Ausbildungsstationen in den Medien, damit die späteren Kommunikatoren wissen, was ihre Zielgruppe braucht. Aber am wichtigsten ist immer noch die Fähigkeit und Leidenschaft für die Kommunikation von Mensch zu Mensch.

Welche sind die größten Herausforderungen an Sprecher?

Die Neuen Medien und mobile Kommunikation. Sie können heute rund um die Uhr auf allen Kanälen kommunizieren, und das passiert auch. Doch Senden allein hilft nicht, selbst ein optimales Monitoring ist nur der Anfang. Denn operative Hektik ersetzt keine geistige Windstille. Am Ende ist die Einordnung und Interpretation der vielen Erkenntnisse wichtig: Natürlich sind 300.000 Follower bemerkenswert, aber im Einzelfall können 50 viel wertvoller sein. Doch wie misst man die Relevanz jedes einzelnen? Und wo gibt es entsprechende Vertriebs-Effekte oder Image-Bezüge? Diese Informationen sind entscheidend im Strom der Informationen.

Wie sollte man den Herausforderungen als Pressesprecher begegnen?

Gelassen (lacht). Was etwas anderes ist als phlegmatisch. Der Job ist keine tägliche OP am offenen Herzen – aber er kann es nicht nur bei börsennotierten Unternehmen schnell werden. Da können kommunikativ in Sekunden Milliardenwerte und Arbeitsplätze gefährdet oder vernichtet werden. Für Sprecher gilt: Auf alles vorbereitet sein. Kaltes Blut haben. Und sorgsam abarbeiten. In meinem Büro hängt ein Rahmen mit  einem englischen Spruch,  der gut als Motto taugt: „Keep calm and carry on“.

Bisher mussten Sprecher das Thema „Change“ nur nach Außen transportieren. Reicht diese Positionsbestimmung heute noch aus – oder muss er sich nicht längst nach einer Introspektion weiter entwickeln zum Kommunikationsmanager, Kurator oder Stellwerker?

Das sind wir längst. Und außerdem Beichtvater, Tröster, Beruhiger und Ermöglicher. „Pressesprecher“ ist eher der Oberbegriff oder die Klassifizierung. Ich nenne mich selbst bewusst auch noch so, und das nicht nur, weil wir als deutsches Unternehmen eine ebensolche Nomenklatur haben. In unserem Team gibt es zwölf Mitarbeiter, davon sprechen außer mir noch  fünf weitere nach außen. Doch das ist nicht hierarchisch strukturiert sondern thematisch, indem zum Beispiel jemand das Thema Employer Branding kommuniziert und andere die Wirtschafts- oder Produkthemen zwischen Konzern, Pizza und Pudding. Heute beinhaltet die Position des Pressesprechers fast überall viel mehr als nur Media Relations.

Welche Kommunikationstrends sehen Sie?

Viele! Insbesondere die  Evolution des Journalismus ist spannend, weil immer mehr „Bürgerjournalisten“ involviert sind. Und es gibt zahlreiche Kanäle – aber dafür keinen Redaktionsschluss mehr.

Haben Sie selbst einen festen Feierabend?

Wir achten sehr auf die Arbeitsschutzgesetze. Als Führungskraft checke ich aber schon früh morgens uns spät abends kurz die Lage und dies auch am Wochenende. Von meinem Team erwarte ich das jedoch nicht und finde, das sollte auch nicht einreißen. Unternehmen wie zum Beispiel die Deutsche Bahn können natürlich Schichtdienste zur Erreichbarkeit ihrer Pressestelle einrichten, doch die Ruhezeiten des Einzelnen müssen davon unberührt sein. Wir sollten den Terror der Erreichbarkeit nicht fördern.

Wie lautet Ihr persönliches Fazit nach einem Jahr als BdP-Präsident?

In Wahrheit bin ich als Gründungsmitglied ja schon im elften Jahr und hatte von Anfang an verschiedene Ämter. Als Präsident schätze ich besonders die tolle Zusammenarbeit mit dem  Präsidium den Gremien, Fach- und Landesgruppen. Wir verdichten die Aktivitäten und den Austausch immer mehr und bauen die Weiterbildung aus. Auch, wenn Agenturen keine normalen BdP-Mitglieder sein können, schauen wir über den Tellerrand hinaus und tauschen Junioren aus. Ich selbst wollte früher auch nie in eine Agentur wechseln, habe aber zwei Praktika dort gemacht, um zu wissen, wie die arbeiten.

Sie haben zahlreiche Ämter inne. Wie behalten Sie den Überblick – und wie schalten Sie ab?

Mit Musik, aktiv und passiv. Ich war früher Straßenmusiker, habe mit Passanten Volkstanz in der Fußgängerzone geprobt. Und spiele Geige, Drehleier  und sammele Waldzithern. Für mich ist daher ein Orchester ein schönes Bild für ein gutes Team: Es kann nur eine Ersten Geige geben, die Bratsche ist wichtig und nichts geht ohne das Cello. Das hilft auch beim Orchestrieren der verschiedenen  Aufgaben in der Kommunikation. Ich wollte als Kind erst Geigenbauer werden, später Soldat, dann  Pastor. Ich schätze, das Informieren, Führen und Anleiten von Menschen ist geblieben (lacht). Nach einem anstrengenden Tag mit gefrorenem Kopf entspanne ich in der Familie und höre gerne Kammermusik. Und nach dem zweiten von vier Dvořák-Sätzen bin ich tiefenentspannt.

 

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