"Ein falscher Schritt kann ernste Folgen haben"

EZB-Kommunikationschefin

Frau Graeff, die Europäische Zentralbank gehört nicht ­unbedingt zu den beliebtesten Institutionen. Das Thema Geldpolitik empfinden viele Bürger als schwer zugänglich. Wie versuchen Sie, dem mangelnden Verständnis ­entgegenzuwirken?

Christine Graeff: In den vergangenen Jahren haben wir immer stärker auf die EZB-Webseite als Instrument für mehr Aufklärung gesetzt. Eines unserer Hauptanliegen besteht darin, die Sprache zu vereinfachen und den Menschen erst einmal zu erklären, wie unsere Bank funktioniert. Dafür haben wir die Rubrik „Explainers“ eingeführt. Hier beantworten wir Fragen wie „Was ist Geldpolitik?“ oder „Was macht eine Zentralbank?“. Diese Erklärungen werden am meisten geklickt.

Welche Inhalte sind im Netz sonst noch besonders erfolgreich?

Wir arbeiten viel mit kurzen Videos von maximal drei Minuten und mit Infografiken. In unserem meistgeklickten Video wird erklärt, wie unser Anleihenkaufprogramm funktioniert. Darin haben wir die Mitarbeiter der Bank zu Wort kommen lassen, um zu zeigen, wo genau welche Entscheidungen getroffen werden. Wir möchten allen Kollegen Mut machen, sich selbst in die Kommunikation einzubringen. Bei vielen Menschen hat sich die Vorstellung von der EZB als einem anonymen Konstrukt verfestigt. Dass dahinter kompetente und engagierte Menschen aus ganz Europa stecken, gerät schnell in Vergessenheit. Hier möchten wir bewusst gegensteuern, auch mit den Gesichtern unserer Mitarbeiter.

Die Diversität spielt auch für Ihre Arbeit als Kommunikatorin eine übergeordnete Rolle. Sie kommunizieren täglich in verschiedenen Sprachen und müssen sich auf kulturelle Unterschiede einstellen.

Ja, und das macht mir an meinem Job gro­ßen Spaß! Mal spreche ich Französisch, dann Spanisch, das nächste Meeting ist schon wieder auf Deutsch oder Englisch. Alleine im Führungskreis der Kommunikation sind Belgien, Deutschland, England, USA, Frankreich und Italien vertreten. Als europäische Institution muss die EZB in den 24 Amtssprachen der EU kommunizieren. Das ist manchmal eine ziemliche Herausforderung. Nehmen wir zum Beispiel „Forward Guidance“, ein technischer Begriff der Geldpolitik. Was im Englischen zwei Wörter sind, braucht im Deutschen und im Französischen ganze Sätze: „Orientierung über die zukünftige Ausrichtung der Geldpolitik“. Solche Übersetzungen sind oft eine größere Herausforderung, als man denkt.

Die breite Masse der EU-Bevölkerung wird allerdings wohl gar nicht erst auf die Idee kommen, der Website einen Besuch abzustatten, um sich zu informieren. Wie erreichen Sie diese Menschen?

Die Herausforderung ist, die Öffentlichkeit für das Thema zu interessieren. Daher überlegen wir genau, wen wir über welchen Kanal erreichen. Nehmen wir beispielsweise Jugendliche und Studenten: Im Juli haben wir in Lissabon einen Jugend-Dialog mit EZB-Präsident Draghi organisiert. Neben dem direkten Austausch vor Ort hatten Jugendliche aus ganz Europa die Möglichkeit, über soziale Medien Fragen stellen und deren Beantwortung dann auch im Live­stream zu verfolgen.Wir sind die erste Zentralbank, die ein Twitter-Interview mit einem Direktoriumsmitglied geführt hat. Das war vor einem halben Jahr. Die direkte Kommunika­tion ist sehr gut gelaufen. Wir haben das Feedback bekommen, so etwas künftig öfter zu machen, auch insgesamt ist die Social-Media-Interaktion gestiegen.

Aber wie überzeugt man ­Menschen, die der EZB ablehnend gegenüberstehen?

Generell gilt: Unsere größte Herausforderung besteht darin, die Menschen aufzuklären. Das ist auch der Leitsatz unserer Kommunikation: „Make the ECB understood“. Eine EZB-Maßnahme wird nicht in allen Ländern und von allen Bürgern getragen werden. Vertrauen kann man aber nur aufbauen, wenn man auch mit Kritik umgeht und den Sinn hinter Entscheidungen erklärt, die für manche erst einmal negative Auswirkungen haben – wie im Falle des Niedrigzinses –, für das große Ganze aber manchmal absolut notwendig sind.

Mit Frankfurt am Main als Sitz ist die EZB die einzige in Deutschland verortete EU-Institution. Ist man hierzulande überdurchschnittlich interessiert an Ihren Themen?

Nein, nicht unbedingt. Sehr großes Interesse besteht in Italien, Griechenland und Spanien. Und natürlich auch in den Finanzmärkten in Großbritannien und Amerika. Zum Teil stehen jedoch unterschiedliche Themen im Vordergrund. In Deutschland geht es hauptsächlich um die Themen Zins und Sparer, in Frankreich interessiert die Menschen eher der Euro-Wechselkurs. Das beeinflusst natürlich auch die Fragen, die wir von Journalisten bekommen. Im vergangenen Jahr haben wir zudem insgesamt rund 11.000 Bürgeranfragen erhalten. Daraus lassen sich zu den länderspezifischen Interessen Schwerpunktthemen definieren.

Was tun Sie vor Ort, um die ­Institution nahbarer zu machen?

Um mehr Vertrauen zu schaffen, funktionieren direkte Gespräche und Begegnungen natürlich am allerbesten. Hierfür werden wir im Herbst offiziell unser Besucherzentrum eröffnen. Aber auch schon im vergangenen Jahr hatten wir in der EZB knapp 16.000 Gäste, darunter zum Beispiel Studentengruppen, denen wir im Detail erläutern, wie die EZB funktioniert und warum wir unsere gegenwärtige Geldpolitik verfolgen. Dieser Dialog ist wichtig.

Welchen Stellenwert räumt EZB-Präsident Mario Draghi der Kommunikation ein?

Von Beginn seiner Amtszeit an einen sehr hohen. Mario Draghi betont immer wieder, dass  Kommunikation ein wesentlicher Bestandteil der Geldpolitik ist.

Das Ende seiner Amtszeit ist absehbar, 2019 wird die Position neu besetzt. Schon seit Längerem gibt es Spekulationen zu möglichen Kandidaten. Wie gehen Sie ­kommunikativ damit um?

Der Präsident der EZB wird von den Staats- und Regierungschefs der EU-Länder bestimmt. Wir selbst haben dazu nicht zu kommunizieren. Unsere Aufgabe wird vielmehr sein, einen reibungslosen Übergang zu schaffen, wenn es soweit ist.

Wie kann man sich die alltägliche Zusammenarbeit mit den 19 einzelnen Zentralbanken vorstellen?

Es gibt natürlich extrem viel Abstimmungsbedarf. So kommen wir in regelmäßigen Sitzungen zusammen oder, wenn es in einer Krisensituationen schnell gehen muss, wird per Telefonkonferenz koordiniert und entschieden. Auch wenn wir wichtige Ankündigungen haben, zum Beispiel beim Bankenstresstest, wird dies in allen Ländern gleichzeitig kommuniziert. Hinzu kommen bilaterale Kooperationen. Die intensive Kommunikation miteinander ist aufwändig, aber auch eine riesige Chance, da wir extrem viel voneinander lernen können. Finnland ist zum Beispiel im Bereich Social-Media-Kommunikation sehr weit. Die holländischen Kollegen haben eine Banknoten-App entwickelt, mithilfe derer sich feststellen lässt, ob Scheine echt sind oder gefälscht. Das Inter­esse der Bürger zu wecken, funktioniert überall anders. Je nach Land gehen mehr oder weniger Leute auf Twitter, Facebook oder Linked In. Der Pull- und Push-Mix muss auf alle Besonderheiten zugeschnitten sein.

Stoßen Sie bei einzelnen ­Zentralbanken auch mal auf ­Widerstände, wenn es darum geht, Informationen weiterzugeben?

Grundsätzlich nicht. Gerade in Anbetracht der populistischen und antieuropäischen Tendenzen der vergangenen Jahre wissen wir alle, dass wir  zusammen stärker sind. Ich habe eher den Eindruck, dass die Zusammenarbeit immer intensiver wird und allen Beteiligten nutzt und Spaß macht.

Vor Ihrer Zeit bei der EZB waren Sie als Krisen­managerin unter anderem bei der Beratung Brunswick tätig. Was war in Ihrem jetzigen Job bisher die heikelste Situation?

Das kann ich kaum auf eine Situation herunterbrechen. Es gab und gibt einige große Herausforderungen. Die einen kurzfristiger Natur, die anderen längerfristig, wie zum Beispiel  die Kommunikation des Themas Niedrigzins in Deutschland. Aber auch Momente wie die Eröffnung des neuen EZB-Sitzes 2015, die von Protesten durch das Bündnis Blockupy begleitet wurde. Wir haben uns damals dafür entschieden, sehr offen auf die Gruppierungen zuzugehen und ins Gespräch zu kommen. Auch der Aufbau einer gemeinsamen Kommunikation für die neue Europäische Bankenaufsicht war ein großes Projekt. Beim ersten Banken-Stresstest war klar: Für die Reputation der Bankenaufsicht ist eine gelungene Kommunikation essenziell – in jedem Land. In diesen Tagen haben wir aber auch den „European Spirit“ gespürt.

Und wie ging es Ihnen in der ­Sekunde, in der Sie vom Votum für den Brexit erfuhren?

Ich konnte es nicht fassen, dachte nur: Das kann nicht sein, das darf nicht sein! Im nächsten Moment galt es umzuschalten: Dann müssen wir jetzt daran arbeiten. Schon früh am Morgen liefen die letzten Abstimmungen, in welcher Reihenfolge wir welche Aspekte kommunizieren. Gerade in solchen Situationen ist es wichtig, die Kommunikatoren der einzelnen Zentralbanken persönlich zu kennen. Wir hatten mit den handelnden Personen der Bank of England die Szenarien besprochen  und wussten, was von deren Seite aus geplant war. Es gab in der Kommunikation somit keine Überraschungen für uns. Ein falscher kommunikativer Schritt kann ja auch schwerwiegende Konsequenzen an den Märkten haben.

Setzt die Macht dieser Institution Sie gelegentlich unter Druck?

Nein, denn mein Mandat als Kommunikatorin ist klar definiert. Ich empfinde es im Gegenteil als positiv, dass wir gerade deshalb unsere Botschaften genau durchdenken. Das stetige Hinterfragen ist in unserem Bereich sehr ausgeprägt: Was ist mein Ziel? Was ist die Botschaft?

Wie hat sich das Vertrauen in die EZB in den vergangenen Jahren verändert?

Nach den Krisenjahren, in denen das Vertrauen in die EZB und andere EU-Institutionen gesunken war, sehen wir in letzter Zeit wieder einen leichten Aufwärtstrend. Den Zahlen der Meinungsumfrage Eurobarometer zufolge misstraut trotzdem insgesamt noch eine Mehrheit der Europäer den europäischen Institutionen. Wenn wir in einer Krisensituation harte, aber notwendige Maßnahmen befürworten, wie im Falle der Troika in Griechenland, wird uns das von der Öffentlichkeit nicht unbedingt gedankt. Wenn uns genauso viel Kritik wie Lob aus allen Ländern entgegenschlägt, dann haben wir den richtigen Weg gefunden. Die gute Nachricht der Umfragen ist, dass 73 Prozent der Menschen in der Eurozone den Euro befürworten. In Deutschland sind es sogar 82 Prozent – die höchste bisher gemessene Zustimmung!

Was ist neben der Aufklärungs­arbeit die wichtigste Zutat, um für mehr Vertrauen zu sorgen?

Das Zuhören. Man muss sehr sensibel dafür sein, wo genau es Ängste gibt und wie sie entstehen. Nur so lässt sich nachvollziehen, woher Misstrauen rührt. Ist es fehlendes Verständnis? Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen fehlenden Informationen und niedrigem Vertrauen. Zudem sollte man differenzieren, wen welche Themen umtreiben: Die Jüngeren haben vielleicht andere Sorgen als die Älteren. Darauf müssen wir eingehen.

Spüren Sie bei den jüngeren ­Generationen einen größeren ­Europa-Enthusiasmus?

Ja, auf jeden Fall. Es gibt verschiedene proeuropäische Initiativen von jungen Menschen, die mit der EU positive Gefühle verbinden. Das ist ein wichtiger und schöner Trend. Die vergangenen Wahlen* haben zumindest gezeigt, dass sich die Europäer mehrheitlich gegen den Populismus positionieren und befürworten, dass sich Europa ­gemeinsam um relevante Themen wie Klimaveränderung, Migration oder Terrorismus­ kümmert.
 

* Anmerkung der Redaktion: Das Interview wurde vor der Bundestagswahl in Deutschland geführt.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe TEMPO. Das Heft können Sie hier bestellen.

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