Frau Liu und der kleine Unterschied

Geschlechterkommunikation

Frau Liu, Sie haben aus deutscher Sicht einen ungewöhnlichen Lebenslauf…

Yang Liu: Ich bin seit meinem 13. Lebensjahr in Deutschland. Als neuangekommener Teenager aus Peking konnte ich weder Deutsch noch Englisch. Ich habe dafür mein Abitur extra auf Englisch gewählt, um durch den Druck diese Sprache schneller zu lernen. Die Schule ist in China sehr viel schwieriger als in Deutschland. Von der dortigen achten Klasse her konnte ich mein Wissen in Fächern wie Physik, Mathematik, Biologie, Chemie hier bis zum Abitur verwenden. Das war ein wichtiger Vorteil für mich, um mich dann auf Politik, Deutsch, Französisch und Englisch konzentrieren zu können. Ich habe die Schule als solches nie gemocht, daraufhin habe ich mir überleget, was ich dagegen unternehmen könnte.

Und haben was getan?

Ich habe mit 14 angefangen, mich bei verschiedenen Kunsthochschulen zu bewerben, weil ich gelesen hatte, dass man bei einigen Studiengängen nicht unbedingt das Abitur braucht, wenn man eine besondere künstlerische Begabung nachweisen konnte. Ich habe also einige Professoren angeschrieben. Einer von ihnen aus Berlin hat mir geantwortet und war sehr angetan von meinem Mut. Ich bewarb mich also daraufhin an verschiedenen Hochschulen und wurde zu zwei Prüfungen zugelassen. Ich bekam die Zulassungen an der der FH Bielefeld und der UdK (damals HdK) in Berlin. So begann für mich eine sehr positive Wendung in meinem Teenageralter.

Yang Liu in ihrem Berliner Atelier (c) Laurin Schmid

Yang Liu in ihrem Berliner Atelier (c) Laurin Schmid

Wussten Sie schon immer, was sie wollen?

Meistens. In Asien ist die Konkurrenz sehr groß. Ich wurde mit fünf auf eine Kunstschule geschickt und habe dann meine gesamte Freizeit mit Zeichnen, Farbenlehre et cetera verbracht. Andere Kinder gehen in Musik- oder Tanzkurse, ich habe damals gelernt, naturalistisch zu zeichnen und thematisch zu arbeiten. Aber ich hatte ganz andere Ideen über alles und sehr gute Lehrer, die mich immer gefördert haben. In Peking hat man oft schon im Grundschulalter ein klares Ziel vor Augen.

Ich wollte mit fünf Prinzessin werden…

Und ich Kaiserin von China, aber das ging leider nicht mehr. Daher musste ich mir einen anderen Beruf aussuchen. Alle Kinder mit familiären Wurzeln über mindestens drei Generationen aus Peking haben ein elitäres Gefühl, die meisten Familien dort waren entweder Beamte oder haben irgendwann für das Kaiserhaus gearbeitet. Man denkt als Kind, man sei mit dem Kaiser verwandt. Die natürliche Konsequenz wäre, dass einem die Karriere als Kaiser oder Kaiserin von China doch recht realistisch erschien.

Was verschlug Sie dann nach Deutschland?

Ich wollte ja gar nicht nach Deutschland kommen, es war ein Unfall. Ich war in China recht schlecht in der Schule und wollte mit elf Jahren nur noch Kung Fu-Meisterin werden: Es gab in den 80er Jahren einen wahren Hype um Kung Fu-Filme in China und ich war eines der verrücktesten Kinder. Ich habe also mein Kostüm genäht, das Schwert war schon gekauft, ich war auf dem Weg, um zu dem ausgesuchten Kloster zu pilgern, ich hatte schon die richtige Frisur, alles war vorbereitet – aber als meine Eltern davon in Deutschland hörten, haben sie mich her geholt.

Die Kunst war also nur Plan B?

Das würde ich nicht sagen. Fast alle in meiner Familie sind künstlerisch tätig, meine Mutter ist Modedesignerin, mein Onkel ein recht bekannter Künstler. In Deutschland merkte ich, dass diese Prägung durch meine Familie und die Ausbildung für mich ein großer Wettbewerbsvorteil war, so konnte ich mich über diesen Weg aus der Schule „retten“.

Was wollten Sie an der deutschen Hochschule dann noch lernen?

Ich wollte in erster Linie nicht mehr Schülerin sein. Die Schule als Institution sah ich damals als sinnlos. Ich hatte es sehr eilig, zu studieren und mich mit anderen Gleichgesinnten auszutauschen. Es gab sehr viel zu lernen, aber ich fühlte mich dennoch frei, diese Art des Lernens war genau richtig für mich. Wenn ich heute daran zurückdenke, bin ich sehr dankbar für die vielen Menschen, die mir so gute Lehrer und Mitstudenten waren. So sind viele tiefe Freundschaften entstanden, die bis heute anhalten.

Heute sind Sie selbst Professorin. Was ist für Sie die Essenz des Lehrens?

Ich versuche, den Studenten möglichst viele Freiheiten zu geben und gleichzeitig Ihre persönlichen Stärken zu fördern. Es gibt aus meiner Sicht keine mehr oder weniger Begabten. Sie sind alle begabt – aber in verschiedenen Bereichen der Gestaltung. Ich unterrichte Kommunikationsdesign, aber manche haben vielleicht eher ihre Stärke zum Beispiel im Design-Management. In Zukunft werden eher multifunktionale und multitalentierte Persönlichkeiten gesucht als Spezialisten wie früher. Auch ich lerne noch jeden Tag von den Studenten dazu.

Gefällt Ihnen dieser Trend zu einer anderen Art des Künstlerseins?

Ich selbst bin auf der konzeptionellen-gestalterischen Seite zu Hause. Als ich studierte, war es ein anderer Beruf, es ging um die geistige, künstlerische Auseinandersetzung mit einem Thema. Wir haben bei der Umsetzung noch teilweise handwerklich gearbeitet, gedruckt, ausgeschnitten und Collagen angefertigt. Inzwischen findet die Ausarbeitung meistens am Computer statt. Man hat durch den technischen Fortschritt ein anderes gestalterisches Erlebnis. Wenn ich heute eine junge Abiturientin wäre, würde ich mir überlegen, ob ich diesen Beruf als solches wahrnehmen möchte. Die Grenzen zwischen Kunst und Gestaltung sind zwar heutzutage immer verschwommener, aber um die Unterschiede zu benennen, könnte man sagen, dass man in der freie Kunst versucht, ein Inhalt oder Thema, das einen selbst beschäftigt, zum Ausdruck zu bringen. In der Gestaltung, speziell im Kommunikationsdesign, arbeitet man dagegen auf ein Kommunikationsziel hin, das durch ein Konzept und verschiedenen Medien umgesetzt wird.

Wie in der PR: Ich muss mich entscheiden, ob meine Botschaft aus mir heraus kommt – oder ob ich sie quasi rückwärts vom Kunden her entwickele.

Auch die PR hat sich gewandelt. In der klassischen Werbung wurde eher nur vom Absender nach außen kommuniziert. Inzwischen werden Botschaften als eine Art interaktives Spiel konzipiert, welche dann im Netz von der Community und dem User selber weiterentwickelt und verbreitet werden. Bei Viral Clips kommt das Produkt oft gar nicht mehr direkt vor, damit sie ein größeres Publikum erreichen können.

Wie kamen Sie auf das Sujet für Ihr Buch „Mann trifft Frau“ – war es eine strategische Wahl, weil jeder etwas damit anfangen kann, oder lag es an Ihrer eigenen Betroffenheit?

Ich hatte 2007 zuerst das Buch „Ost trifft West“ gemacht, das war eine Art Tagebuch für mich. Das Buch hat unerwartet sehr viel Zuspruch bekommen. Viele Verlage sind an mich herangetreten und wollten eine Fortsetzung. Ich wollte jedoch nur mit Themen arbeiten, die authentisch aus mir herauskommen. Durch den ständigen Ortswechsel von China nach Deutschland, England, Singapur, in die USA und wieder nach China wurde das Prinzip des Vergleichens ein automatischer Mechanismus in mir. Ich habe auf meinen Reisen festgestellt, dass mir fast in allen Großstädten der Welt immer dieselben Missverständnisse zwischen Männern und Frauen erzählt wurden. Ich fand das sehr interessant.

Als Kind war ich recht überrascht, dass es in Deutschland Hausfrauen gibt, das kannte ich nicht. Meine Mutter hatte eine Führungsposition in der Designabteilung des Staatlichen Textilministeriums, wo sie als Designerin die Polizeiuniformen in Peking entwarf. Wenn ich nachts aufwachte, sah ich sie immer nur arbeiten. Ich fand es sehr schön, dass Mütter in Deutschland so viel Zeit für Ihre Kinder haben, das gibt es in China nur noch in der Generation der Urgroßmütter.

In China wurde die Rolle der Frau durch das politische System seit mehr als 60 Jahren in der Arbeitswelt sozusagen staatlich gleichgestellt, Frauen und Männer verdienten dasselbe und viele Frauen konnten Führungspositionen übernehmen. Durch diese Zeit sind Frauen in viele Bereichen sogar stärker geworden als Männer, zum Beispiel im Sport. Je höher der Bildungsgrad, desto mehr bringen sich die Männer zu Hause ein. In meiner Familie wird fast alles von meinem Vater gemacht und meine Mutter ruht sich meistens nur aus oder sie arbeitet.

Dass Frauen in einer Industrienation wie Deutschland ein niedrigeres Gehalt haben als Männer in derselben Position, ist für mich schockierend. Die Gesellschaft und Frauen selber haben gleichzeitig einen sehr hohen Anspruch an junge Mütter, im Beruf, Haushalt und mit dem Kind alles perfekt managen zu müssen. Dieser Anspruch ist aus meiner Sicht nicht ganz verständlich, dabei hat die Frau doch schon das Kind bekommen und die Stillzeit vollzogen, nun ist es eigentlich logisch, dass Väter sich deutlich mehr um Haushalt und Kindern kümmern müssen, damit Mütter wieder mehr Zeit für Ihrem Beruf haben können.

Wohl wegen meiner persönlichen familiären Erfahrungen gab es in der Bearbeitung des Themas keine Befangenheit oder so genannte Klischees für mich, weil diese in meiner Kindheit nicht existierten und ich mich rein nach der Relevanz der Themen und den Gegebenheiten der aktuellen Gesellschaft richten konnte.

Dafür spielen Ihre Leser mit Klischees. Hat sich Ihre Wahrnehmung auf Deutschland geändert?

In China gab es nie eine Frauen- oder eine Emanzipationsbewegung in dem Ausmaß wie in Deutschland. Aber durch das politische System kamen Frauen – ähnlich wie in der DDR – durch die Arbeit auf eine gleichberechtigte Startposition und haben teilweise einen höheren Status in vielen Bereichen geschafft als Männer. Das gibt ihnen ein anderes Selbstvertrauen, auch im Privaten.

Geben Sie das heute auch an Ihre Kinder weiter?

Sicherlich werden meine Kinder von unserem Handeln geprägt. Da mein Mann immer das Baby wickelt und kocht, kocht meinem Sohn auch besonders gern in seiner kleinen Holz-Küche, aber die Puppe behandelt er leider weniger gut als sein Auto. Das Rollenbild auch in Deutschland ist heute nicht mehr so klar, wie es etwa vor 15 Jahren noch der Fall war. Mit Klischees in Berührung zu kommen, scheint in Europa, besonders Deutschland, eine Last zu sein. Klischees können Ihre Relevanz haben oder auch nicht mehr zutreffen. Viele berufstätige Frauen haben Angst, für eine typische Frau gehalten zu werden, als ob das etwas Negatives wäre. Ob eine Frau berufstätig ist, hat nichts damit zu tun, ob sie besonders weiblich wirkt oder nicht. Gerade in unserer Generation müssen wir Frauen zu unseren Vorlieben stehen und diese zur Selbstverständlichkeit machen. Kleider zu tragen oder einzukaufen sind neutrale Hobbys, die nicht wertend sind. Man muss sich davon befreien, Dinge, die weiblich assoziiert werden, mit Unfähigkeit gleich zu stellen. Zu einem selbstbewussten Frauenbild gehört auch, dass wir entspannt über uns selber lachen können. Das ist ein wichtiges Zeichen für Selbstbewusstsein und ein Schritt zu wahrer Gleichberechtigung.

Ist der Vater ihrer Kinder ein Deutscher?

Nein, ein Chinese.

Ist „Mann trifft Frau“ auch ein Tagebuch?

Weniger, eher eine Beobachtung. Ich wollte immer schon etwas zu Geschlechtern machen, weil ich in vielen Metropolen gelebt habe, und mir Frauen und Männer ähnliche Geschichten erzählten. Sie fragen sich dauernd, „Was wollen Männer und Frauen eigentlich?“ Hätte man das mit zwanzig schon gewusst, hätte man so vieles einfacher gestalten können. Die Barrieren zwischen Männern und Frauen sind in mancher Hinsicht größer als teilweise zwischen den Kulturen.

Geschlechterbilder von Yang Liu (c) Taschen

Geschlechterbilder von Yang Liu (c) Taschen

Haben Sie das auch so in anderen Ländern erlebt?

Ja, es gibt natürlich in dieser Hinsicht auch kleine kulturelle Unterschiede, aber das Prinzip ist vergleichbar.

Können Männer und Frauen überhaupt unfallfrei miteinander kommunizieren?

Auf jeden Fall! Es gibt zwischen Menschen grundsätzlich immer mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Und zwischen Individuen größere als zwischen die Geschlechtern. Aber die Unterschiede existieren und das sollte man auch thematisieren.

Was ist für Sie persönlich der wichtigste Teil Ihres Buches?

Für mich ist der letzte Buchteil sehr wichtig, in dem ich die Handlungsweise von Männern und Frauen umdrehe. Da kommt man doch zu recht interessanten Ergebnissen. Wenn zum Beispiel eine Frau einem Mann eine Ohrfeige verpasst, würde man vermutlich nicht sofort die Polizei holen. Wenn ein Mann einer Frau dasselbe antut, wird das sicherlich strafrechtlich verfolgt werden. Es gab eine Untersuchung in den USA, der zufolge die Gewalttat einer Frau an einem Mann kaum gesellschaftlich und rechtlich verfolgt wird. Genauso ist es mit der Arbeitswelt: Eine Frau, die immer Überstunden macht, während ihre Familie auf sie wartet, wird als Rabenmutter wahrgenommen. Ein Mann, der dasselbe tut, wird als Familienvater verstanden. Zu wahrer Gleichberechtigung gehören natürlich beide, die sich an dieselben Regeln halten und eine Gesellschaft, die mit demselben Maßstab beide Geschlechter in Ihrem Verhalten bewertet.

In meinem Umfeld gibt es jede Menge Beziehungen, in denen Frauen wesentlich sichtbarer, dominanter sind. Sie geht nach Außen und er verschwindet. Sie bestimmt, wie die Wohnung aussieht, wie beide leben, organisiert, macht und tut – und er läuft so mit.

Klar, das sind ja auch die unwichtigen Themen. (lacht)

Und was ist das Wichtige?

Das, was man für wichtig nimmt. Wir Frauen finden Lebensumgebung und Wohlfühlen einfach wichtig. Für Männer sind das andere Sachen, wie in Ruhe gelassen zu werden.

(Unser Fotograf lacht.)

Trennend oder vereinend – welche Rolle spielt für Sie der Humor?

Humor ist wichtig in allen Lebensbereichen und vereint die Menschen, man nimmt Abstand von sich. Jemand, der unsicher ist, macht keine Witze über sich. Wenn Frauen sich über sich lustig machen, gehört dazu Selbstbewusstsein. Man kann sich Humor nicht vornehmen, man hat ihn oder nicht. Zuspitzung ist ein wichtiges Stilmittel, um eine Thematik zu verdeutlichen. Gerade Bildzeichen gehören zu den ältesten Kommunikations-Tools der Menschheit, hierbei müssen Botschaften eindeutig kommuniziert werden. Ich bin manchmal etwas sarkastisch. Wenn man darüber lachen kann, freue ich mich.

Welche Rolle spielt die Gestaltung von Produkten; gilt auch bei der Kundengewinnung „form follows function“?

Gestaltung spielt bei Produkten natürlich eine sehr große Rolle. Zum Beispiel bei Apple: sie verkaufen nicht nur das Produkt sondern ein Lebensgefühl. Design spielt eine immer größere Rolle bei der jüngeren Generation. Man identifiziert sich mit dem, was man benutzt und bestimmt dadurch auch seine Gruppenzugehörigkeit. Apple gestaltet sehr geschlechtsneutral, im Vergleich zur klassischen Produktion aus der Branche aber eher weiblich.

Sollten Markenverantwortliche also nicht länger in den Kategorien von Männern und Frauen denken?

Zumindest in der Arbeitswelt wurde bisher zu wenig an Frauen gedacht, spätestens wenn Sie an Small Talk in leitenden Positionen denken. Kundenbindung und Austausch zwischen Kollegen findet nach wie vor nach Feierabend in der Bar statt. Aber nur wenige Frauen wollen da voller Begeisterung mitgehen. Man investiert viel Zeit, um Kontakte und weitere Gespräche in einer entspannten Atmosphäre bei einem Gläschen Bier oder Wein zu zweit oder zu dritt zu ermöglichen. Frauen haben andere Arten der Kontaktpflege und Kommunikationswege, die langfristiger angelegt sind, aber diese müssen noch zu einer gängigen Art der Kommunikation in der Geschäftswelt ausgereift werden.

Was schlagen Sie vor?

In China gibt es viele Geschäftsfrauen. Dort wird oft gemeinsam gegessen oder Tee getrunken. In Europa ist das Essen nicht so vordergründig, da geht es eher ums Trinken und die Kneipenkultur, es ist recht maskulin geprägt. Wir müssen also andere Welten für ein privates Geschäftsgespräch erfinden.

Zurück ins Private: Wonach entscheiden Sie im Supermarkt, welche Zahnpasta sie kaufen?

Ich kaufe immer dasselbe ein. Meistens Produkte, die nicht übergestaltet sind. Zurückhaltende, gestaltungsneutral wirkende Produkte sprechen mich am meisten an. Ich persönlich schätze Produkte, bei denen die Gestaltung als solches nicht auffällt, aber in der Nutzung umfänglich angenehm sind.

Ich pule deswegen von Flaschen und Tuben fürs Bad immer die hässlichen Etiketten ab.

Ich nicht, dann weiß ich nicht mehr, was darin ist.

Sind Unisex-Kampagnen sinnvoll?

Kommt auf das Produkt an.

Zum Beispiel Düfte?

Die sind nicht unisex.

„CK one“ war unter dem Label „Unisex-Duft“ sehr erfolgreich.

Mich verwirrt das. Wenn es einen Duft für beide gibt, spricht das eher das Paargefühl an. Für mich sind Düfte selten wirklich unisex.

Also zählt das Storytelling?

Das ist das A und O heutzutage in der Gestaltung, sogar in Räumen.

Welche Geschichte erzählt dieser Raum?

Dieser Raum ist ein relativ abgeschiedener Arbeitsraum, ich lade hierher nur wenige Menschen ein. Kaum Kunden, keine Meetings. Hierher will mich hier zurückziehen. Bei der Gestaltung von Räumen frage ich zuerst: Warum muss man her kommen? Gestaltung ist auch Antwort auf die Frage „warum sollen sich die Menschen in diesen Raum begeben – und nicht in einen anderen?“

Haben Sie sich diese Frage auch im Museum Albertinum gestellt?

Ja, ich habe dort das Wegeleitsystem gestaltet. Bei dem Hochwasser in Dresden wurde das Gebäude überflutet, später durch Staab Architekten saniert und ausgebaut. Das Museum beherbergt sowohl zeitgenössische Kunst als auch Werke aus der Antike – das ist ein sehr großer Spagat. Ich habe versucht, auf historischem Bauuntergrund mit dem Entwurf der Neoninstallation als Wegeleitsystem eine Brücke zwischen der Antike und der Gegenwart zu bauen.

War die Reduktion ein bewusstes Stilmittel?

Vielleicht ist das das Asiatische in mir. In der chinesischen Malerei ist Reduktion die höchste Kunst. Viele Meisterwerke bestehen oft nur aus ein, zwei Strichen. Die Arbeiten der intellektuellen Chinesischen Kunst sind sehr konzeptionell: Wenn man zum Beispiel einen Vogel mit einem Bein auf einem Ast sieht, steht das für eine Geschichte um die damalige politische Umgebung, die ganze Geschichte wird mit einem Symbol zusammengefasst. Je komplizierter und realistischer das Bildmotiv, desto weniger wird es geschätzt. Durch die Addition und Überladung der Technik wird es zu Handwerk, versenkt zu Kitsch und nicht mehr als Kunstwerk wahrgenommen.

Kann das ein Europäer lesen?

Das ist eine ähnliche Denkart wie konzeptionelle Kunst heute – nur eben einige hunderte Jahre zuvor – und erschließt die damaligen politischen Umstände. Sie heißt auch „intellektuelle Kunst“. Es gibt für das normale Volk kunsthandwerkliche Gemälde, die eher illustrativ und gestalterisch sind, aber die intellektuelle Kunst wird nur unter selbigen kommuniziert. Da spielt das Gedicht daneben eine größere Rolle als das Bild.

Die männlichen Seiten in Ihrem Buch sind grün. In Deutschland assoziieren wir eher Blau mit Männern.

Das Blau für Männer ist eher aus der Neuzeit, das kommt von der Marine und vom Blaumann. Früher haben männliche Adelige Rot, Rosa oder Violett getragen und blau war für Mädchen reserviert. Grün ist in China durchaus eine Farbe für Jungen.

Kam das vom Purpur für Herrscher?

Das Blau für Männer gibt es erst seit den 20-er oder 30-er Jahren. So wie es ja auch Schuluniformen in der Neuzeit gibt. Zumindest auch in Asien überall dort, wo es eine Ableitung des britischen Schulsystems gibt.

Vom Brauchen und Kaufen von Männern und Frauen (c) Taschen

Vom Brauchen und Kaufen von Männern und Frauen (c) Taschen

Welche Rolle spielte bei Ihrer Buchgestaltung die Farbe Pink?

Ich habe bewusst Pink gewählt: Frauen sollten dazu stehen, weil viele diese Farbe einfach mögen. Wenn Sie sie in der Geschäftswelt vordergründig präsentieren, wird man das allerdings oft als unprofessionell ansehen. Wenn ein Mann eine pinke Visitenkarte präsentiert, ist das eher cool. Bei einer Frau kann es anders gedeutet werden. Das finde ich schade. Also: Mut zu Pink.

Und welche Rolle spielten die Maße bei der Gestaltung?

Meine beiden Bücher haben die Maße 13 mal 13 Zentimeter, weil ich bei der Konzeption 26 Jahre alt war und genau je 13 Jahre in China und in Deutschland gelebt hatte. Die Bücher sind bewusst sehr klein. Denn die Unterschiede, die ich darin zeige, sind nur ein kleiner Teil unseres Lebens. Die Gemeinsamkeiten der Menschen sind deutlich größer als die Unterschiede. Das Format des Buches sollte im Einklang mit der Bedeutung der Thematik stehen.

Inzwischen gibt es ja typisch männliche Produkte auch in Pink für Frauen, wie zum Beispiel Gewehre oder Bohrer. Ist das eine schlaue Provokation?

Gewehre sollen meiner Meinung nach komplett verbannt werden, egal in welcher Farbe. Bohrer müssen nicht in Rosa oder anderen Farben sein. Im Baumarkt will ich einen Bohrer, der funktioniert. Bestimmte Leute würden den pinken oder auch einen grünen vielleicht kaufen, weil sie es lustig finden. Aber niemand kauft einen Bohrer, weil er eine bestimmte Farbe hat.

Welches ist Ihr aktuelles Projekt?

Das Wegeleitsystem in der Berliner Barenboim-Said-Akademie: Dort werden Musiker aus Israel und Palästina zusammen studieren, es entsteht Verständigung durch gemeinsames Musizieren.

Und was würden Sie gerne mal gestalten?

Ich würde sehr gern Bühnenbilder für Theaterstücke oder Musicals gestalten.

Das sind alles eher flüchtige Räume. Sie werden die Menschen, auf die diese Räume Einfluss haben, nie kennen lernen.

Man kann kaum alle kennenlernen, die sich hier einmal aufgehalten haben. Man lernt schon die Menschen kennen, die diese Räume errichten und inszenieren.

Kommt die Gestaltung dann aus Ihnen heraus, folgt sie der Funktion des Raumes oder den Vorgaben des Kunden?

Wenn ich überhaupt ein Hotel gestalte, waren es bislang nur Art Hotels. Bei einem Projekt in Peking hatten die Räume einzelne Themen, die man als Gestalter definieren konnte. Die Kunden, die mich bislang beauftragten, haben selten versucht, Einfluss auf die Gestaltung zu nehmen. Ich habe das Glück, dass die meisten Kunden mir ein großes Vertrauen entgegenbrachten, was auch ein wichtiger Teil von guten Ergebnissen sind. Anders würde ein Projekt weniger gut verlaufen und das Ergebnis daran leiden. Solche Aufträge sollte man möglichst vermeiden.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Liebe – Wie viel Passion braucht die Profession?. Das Heft können Sie hier bestellen.

Weitere Artikel