The Fast & The Furious: Live-Tweets aus dem Gerichtssaal

Was waren das jüngst für Tage, in denen uns unter anderen Franz Nestler von der „FAZ“ permanent live mit den aktuellsten Entwicklungen im GDL-Prozess versorgt hat: direkt aus dem Gerichtssaal, direkt von der Zuhörerbank, manchmal mit Cliffhangern. Spannend, hochaktuell, und – ja, gestehen wir uns das ein – auch ein wenig voyeuristisch. Und er ist ja nicht einzige: eine ganze Riege professioneller, fachkundiger Journalisten haben in den letzten Monaten eine völlig neue Tradition von Gerichtsberichterstattung begründet. Ob etwa Marcus Rohwetter von der „Zeit“ , Frank Bräutigam aus der ARD-Rechtsredaktion, Massimo Bognanni vom „Handelsblatt“, Joachim Jahn von der „FAZ“, Phillip Vetter vom „Münchener Merkur“ oder gleich eine ganze Riege von Kollegen aus der „Juve“-Redaktion (unter anderen Volker Votsmeier oder  Marcus Jung – wir stehen vor einem umfassenden Umbruch der öffentlichen Wahrnehmung richterlicher Zeugeneinvernahmen, gerichtlicher Entscheidungsabläufe und prozessualer Anträge.

Bevor ich das bewerte, kurz zum juristischen background: Nach deutschem Verfahrensrecht ist die Verhandlung einschließlich der Verkündung aller Beschlüsse und Urteile strikt „öffentlich“, also jeder Öffentlichkeit zugänglich. Geregelt ist dieser – übrigens auch rechtsstaatliche – Grundsatz, dass es keine Geheimgerichte gibt, in § 169 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG). Mitgeschnittene Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen sind und bleiben dagegen verboten, sieht man von der sehr speziellen Sonderregelung in §17a BVerfGerichtsG für das Bundesverfassungsgericht einmal ab. Sprich: Live-Aufnahmen sind nicht drin, wohl aber eben das Live-Zuhören und die dann textliche Weitergabe. Hier schlägt die Stunde der Twitter-Technologie als neuer Transparenz-Hebel. Zu beobachten war dies nicht nur vergangene Woche beim erwähnten Middelhoff-Strafprozess, sondern zuvor zum Beispiel auch bei den Verfahren um Ecclestone oder um den GdL-Streik. Haben wir früher nachträgliche, oft nachdenklich-kommentierende Gerichtsreportagen in klassischen Printmedien gelesen, sind wir jetzt in der Ferne Zeitzeugen des Fortgangs eines Verfahrens via Twitter. Und das natürlich mit allen Twitter-typischen Möglichkeiten, von der schlichten Verbreitung der Nachricht via Retweet über den Beginn von #-Kampagnen bis zu Live-Kommentaren Dritter bereits Sekunden nach dem Tweet.

All das wird zum einen subkutan die Arbeit der Gerichte selbst verändern: Denn Richter (und zwar gerade der Erstinstanzen) waren es bisher gar nicht gewohnt, dass eine wirklich, so präsente Öffentlichkeit im GVG-Sinne existieren könne. Allzu gemütlich hatte man sich in den Spruchkörpern über Jahrzehnte, ja Jahrhunderte darauf eingestellt, dass der Richter sein Verfahren vor selten mehr als spärlich besetzten Zuhörerrängen nach seinem Gusto steuert. Unbekannt, dass er aus seinem Gerichtssaal trat und sich „draußen“ schon eine schillernde Meinungskaskade aufgebaut haben könnte. Unbekannt auch für Zeugen und anwaltliche Zeugenbeistände, dass ihre gerade getätigte Aussage (oder gar Aussageverweigerung) „draußen“ schon zu regen Diskussionen in der interessierten Fachöffentlichkeit geführt hatte. Paart man dies noch mit der parallelen Entwicklung, dass immer öfter der Vorsitzende Richter eines prominenten Verfahrens auch in Wirtschafts- oder gar Feuilletonartikeln portraitiert werden, so wird dies wohl zu einer manchmal behutsameren, jedenfalls bewußteren Verhandlungsführung führen. Und der Schulungsbedarf an richterlichen Kommunikations-Skills an den Richterakademien ist schon jetzt gestiegen…

Es wird aber auch ab sofort die Arbeit der Pressesprecher involvierter Unternehmen und Unternehmensvorständen wie auch betroffener Dritter drastisch verändern:  ich prognostiziere vor allem einen wachsenden Bedarf für ein paralleles #-Screening in den Corporate Communication-Abteilungen bei laufenden Gerichtsverfahren, um sofort kampagnenfähig zu sein: da bedarf es der unmittelbaren Vorbereitung richtigstellender Pressemitteilungen, da können ungeplante Telefonkonferenzen der Investor- Relations-Abteilung notwendig werden, gegebenenfalls sind auch noch mehr Medientrainings angebracht.

Wie sagte schon Bertold Brecht? „Wahrlich, wir leben in aufregenden Zeiten!“

 

Alles was Recht ist – Streitfälle, die Pressesprecher bewegen
In unserer neuen Online-Kolumne widmen sich PR-Experte Armin Sieber(@absieber) und Rechtsanwalt Thomas Klindt (@TomKlindt) aus kommunikativer und juristischer Perspektive Rechtsfällen, die uns 2014 bewegten. 
 
Update: In der Erstversion des Textes hieß es, Franz Nestler hätte Middelhoff-Prozess berichtet, er berichtete aber vom GDL-Prozess. Wir haben das korrigiert. 

Weitere Artikel