Facebook – eine Gefahr für die Demokratie?

Social Media

In der PR-Branche wird momentan viel über das Thema Burnout gesprochen. Ausufernde Arbeitszeiten, permanente Erreichbarkeit und kaum Freiräume, um einmal abzuschalten. Ich möchte der Debatte einen weiteren Aspekt hinzufügen: Verantwortung. Die Verantwortung für mein Handeln als Kommunikator und Berater. Auch die kann einen zerreißen. Ich habe das Gefühl, ich berate meine Kunden richtig, tue aber als Verfechter unserer liberal-demokratischen Verfassung das Falsche.

Damit wären wir bei Facebook, einem Unternehmen, das mir schlaflose Nächte bereitet. Einem Unternehmen, das ich Werbekunden eigentlich nicht mehr empfehlen möchte. Facebook, das von einem bekannten Medienmacher zuletzt als „Nuklearangriff auf die Demokratie“ bezeichnet wurde. Dem Satz stimme ich grundsätzlich zu.

„Der Spiegel“ deckte zuletzt Fake-Account-Netzwerke bei Facebook auf. Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet über eine Clearview-Gesichtserkennungssoftware, die mit Facebook-Daten arbeitet. Brittany Kaiser enthüllt, dass sie mit ihrem ehemaligen Arbeitgeber Cambridge Analytica auch in Deutschland auf Kundenfang war. Dazu der ekelerregende Hass in AfD-Facebook-Gruppen rund um den Auschwitz-Gedenktag am 27. Januar. Zynisch könnte man sagen: „Für jeden gibt es eine Facebook-Gruppe“, wie uns die aktuelle Kampagne des Unternehmens vorheuchelt. Irgendwann muss aber das Stoppschild unserer Branche kommen.

Nicht länger wegschauen

Denn Facebook weiß das alles – und wir auch. Deswegen können wir als Kommunikatoren nicht länger wegschauen. Vor allem wenn man diese Entwicklung mit der jüngsten Shell-Studie in Verbindung bringt. Der beispiellose Vertrauensverlust junger Menschen in Nachrichten bei einer gleichzeitig steigenden Neigung zu Verschwörungstheorien muss uns alarmieren. Wo werden Letztere konsumiert? Bei Facebook, Whatsapp, Youtube & Co. Erodiert erst einmal das Vertrauen in Medien und Nachrichten, erodiert irgendwann auch das Vertrauen in die Demokratie. Auch das macht die Shell-Studie deutlich.

Wie lange wollen wir das noch schweigend akzeptieren? Wollen wir Facebook weiter mit Werbegeldern zuschütten? Für das letzte Prozent Umsatzsteigerung? Ja, Facebook handelt 5,4 Milliarden gelöschte Fake-Profile, Abmahnungen gegen Clearview. Mit dem ehemaligen britischen Politiker Nick Clegg scheint das Unternehmen endlich auch ein Gewissen und ein Verständnis für die Gefährdung der Demokratie entwickelt zu haben: „Reguliert uns“, forderte Clegg zuletzt in der „SZ“. Ja, bitte! Unbedingt! Aber reicht das? Wie schnell geht das? Und was ist mit Whatsapp, das ebenfalls zu Facebook gehört?

Denn der Blick auf den kommenden und vermutlich schmutzigsten US-Wahlkampf aller Zeiten zeigt: „Texting will be at the center of Trump’s reelection strategy“, so dessen Wahlkampf-Chef Brad Parscale. Warum ist das so? Eine Regulierung wird erst nach dem Wahlkampf kommen.

Wenn wir uns das in Europa ersparen wollen, müssen wir schnell sein. Facebook muss gezwungen werden, zum Publisher zu werden, damit es endlich Verantwortung für die Inhalte auf seinen Kanälen übernimmt. Braucht es also ein europäisches Facebook? Hat Grünen-Chef Robert Habeck mit seinem Vorstoß Recht? Darüber müssen wir als Branche endlich anfangen zu diskutieren.

Viel Zeit haben wir nicht mehr. Sonst wachen wir alle eines Tages mit einem gewaltigen gesamtgesellschaftlichen Burnout auf, von dem sich dann unsere Demokratie so schnell nicht erholen wird.

 

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe CEO-KOMMUNIKATION. Das Heft können Sie hier bestellen.

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