"Entscheidend ist es, eine Community aufzubauen"

Online-Wahlkampf in Brandenburg und Sachsen

Linke und CDU in Sachsen punkten beim Online-Wahlkampf. In Brandenburg kämpfen die Parteien dagegen noch überwiegend analog um Wähler, beobachtet Politikberater Martin Fuchs. Im Interview mit pressesprecher analysiert der Experte den Online-Wahlkampf im Vorfeld der Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen am 1. September.

 

Wie versuchen die Parteien in Brandenburg und Sachsen zu mobilisieren? Gibt es Unterschiede zur letzten Landtagswahl?

Martin Fuchs: Ganz prinzipiell sind Landtagswahlen nicht unbedingt der Hort für Innovationen. Was ich aber beurteilen kann und seit vielen Jahren kritisiere ist, dass sich Wahlkampf und die Ressourcen dafür sehr oft auf die letzten sechs Wochen konzentrieren. Da werden viele schöne bunte Bildchen gebaut, Videos produziert, die einiges kosten und dann teilweise mit viel Online-Werbebudget ausgespielt. Gegen Ende des Wahlkampfs ist das unbedeutend. Entscheidend ist, dass man in den fünf Jahren zwischen den Wahlen eine digitale Community aufgebaut hat, die dann mobilisiert werden kann und die dabei hilft, die eigenen Inhalte in Wahlkämpfen in die Breite zu tragen. Wähler vertrauen Freunden und Bekannten zum Beispiel viel mehr als wenn eine Partei bestimmte Sachen in die Timeline trägt, deshalb braucht es die aktiven Personen die die Partei unterstützen. Da habe ich das Gefühl, dass da etwas passiert ist, auch durch die AfD, die gezeigt hat, was so eine Community für eine Partei leisten kann. In dem Fall bei Facebook. Das hat man unter anderem dann auch bei der Linken und der CDU gemerkt.

Was genau hat sich da getan?

Die CDU hat in Sachsen viele Monate vor der Wahl angefangen deutschlandweit Facebook-Anzeigen zu schalten, um ihre Community zu vergrößern. Das habe ich kritisiert, weil ich mich gewundert habe, warum sie Werbung in Schleswig-Holstein machen und dort beispielsweise bei FDP-Wählern für die CDU Sachsen und Michael Kretschmer wirbt. Sie haben mir erklärt, dass sie das machen, weil sie hoffen, dass es außerhalb von Sachsen Unterstützer für die dortige CDU gibt. Diese Unterstützer können dann wiederum Inhalte der CDU Sachsen in die Breite tragen, und die Hoffnung ist dann, dass unter deren Freunden wiederum Sachsen sind, die damit erreicht werden können. Das zeigt, dass der Communitygedanke gelebt wird, und das sehr breit. Ob das funktioniert, weiß ich nicht.

Ein anderes Beispiel ist die Connect-App, die die CDU für den Haustürwahlkampf nutzt. Die wird immer weiter aufgebohrt. Sie unterstützt die Wahlkämpfer nicht nur dabei, die richtigen Leute an den Haustüren anzusprechen. Es gibt dort viele weitere für mich sehr smarte Features wie zum Beispiel einen Rückkanal in die Parteizentrale. Die Partei kann sowohl selbst aktuelle Kommentierungen und Positionierungen direkt an die Wahlkämpfer verschicken, die den Leuten auf der Straße helfen. Man kann sich als Nutzer aber auch direkt an die Wahlkampfzentrale wenden und hat so einen direkten Rückkanal von Stimmungen und Ereignissen an die Planer der Kampagne. Mit ihr kann die Partei sehr gut arbeiten. Das sieht man an einem Beispiel. Die CDU hat wie andere Parteien auch das Problem, dass immer wieder Plakate heruntergerissen werden. Natürlich wissen sie nicht immer, wo welche ausgetauscht werden müssen. Dafür gibt es eine neue Funktion in der Connect-App, die es ermöglicht, mit wenigen Klicks heruntergerissene Plakate zu melden. Das ist eine sehr starke Community, die seit einigen Wahlkämpfen gepflegt wird. Vor allem ist sie von den ganzen klassischen Social-Media-Plattformen unabhängig.

Sie meinten, der Wahlkampf konzentriere sich immer auf die letzten sechs Wochen vor der Wahl. Warum? Müssten die Parteien nicht genügend Experten haben, die ihnen sagen, dass sie früher damit anfangen sollten?

Die Parteien haben eine ganze Menge toller Experten. Aber zum einen ist das traditionell begründet, unter anderem durch die Gesetze, die festlegen, dass man erst sechs Wochen vor der Wahl Plakate aufhängen darf. Das ist der klassische Startpunkt. Für viele ist das eingeübte Praxis. Das zeigt, dass viele das Netz immer noch nicht verstanden haben. Es gibt ein paar wenige, die wissen, wie das geht. Aber gerade, wenn ich mir die Landesparteien anschaue, sehe ich auch keine großen Kampagnenorganisatoren. Bei den Grünen, der FDP oder auch den Linken gibt es sehr gute Leute in Sachsen. Aber wenn ich sehe, wie in Brandenburg Wahlkampf gemacht wird, zweifle ich sehr oft an ganz grundlegenden Kompetenzen. Ein anderer Punkt ist, dass die Ressourcen fehlen. Geld, Manpower, Zeit. Gerade um auch zwischen den Wahlkämpfen ähnlich hohen Buzz zu erzeugen. Natürlich unterstützen auch die Bundespartei und Wahlkämpfer aus anderen Bundesländern. Es ist schwierig, diese Leute außerhalb von Wahlkämpfen zu mobilisieren.

Sie kritisieren den Wahlkampf in Brandenburg. Was läuft dort nicht optimal?

Ich habe das Gefühl, dass der Online-Wahlkampf komplett vernachlässigt wird. Wenn ich nachfrage, wird mir gesagt, viele unserer Bürgerinnen und Bürger sind gar nicht online, das Netz ist so schlecht, wir kriegen unsere Inhalte nicht transportiert. Es wird gar nicht überlegt, wie man Leute online besser erreichen kann. Ich kriege deshalb von diesem Brandenburger Wahlkampf gefühlt nur die Hälfte mit im Vergleich zu dem, was in Sachsen abgeht. Denn die Parteien dort sind wesentlich aktiver, denken sich neue Formate aus, sowohl online als auch offline. Die CDU Sachsen nutzt beispielsweise Augmented Reality für ihre Plakate. Dafür installiert man eine App, hält das Smartphone aufs Plakat, und dann spricht Ministerpräsident Kretschmer vom Plakat zu mir. Das sind zwar nur kleine Gimmicks, die keine große Breitenwirkung haben werden, aber über die gesprochen wird. Sowas gibt es in Brandenburg gar nicht. Dort ist es eher so, dass schlecht gemachte Plakate online viral gehen oder man sich über bestimmte Aussagen der RBB-Wahlarena online unterhält und damit Themen gesetzt werden. Ich sehe dort leider weniger den Versuch, das Netz stärker integriert einzubinden und darüber Leute zu mobilisieren.

Woran könnte das liegen?

Das Land Brandenburg empfindet sich aufgrund der demographischen Struktur und der Struktur der Wahlkreise nicht gerade als digitale Speerspitze. Von der Demographie ausgehend, nimmt man an, dass man mehr Menschen hat, die sich noch klassisch über Zeitungen und weniger über das Netz informieren. Das ist ein Trugschluss. Denn gerade auch die über 50-Jährigen informieren sich ganz massiv auch online. Da verschenkt man Potenzial. Die machen viel, fahren durchs Land. Woidke besucht die Dörfer. Aber in einem Flächenland wie Brandenburg kann es nicht funktionieren, in der Breite als Kandidat sichtbar zu sein. Allgemein würde ich sagen: Es fehlt die Kompetenz, das Verständnis, der Mut für die Priorisierung, also Ressourcen umzuschichten. Und es fehlt an Erfahrung. Das sorgt letztlich dafür, dass es nicht gemacht wird.

Welchen zweifelhaften Content produzieren die Parteien, unter anderem mit Blick auf schlechte Wahlplakate? Welchen Hintergrund hat dieser?

Es gab immer schon Plakate, die aus dem Rahmen gefallen sind oder provoziert haben. Neu ist aber, dass solche Plakate heute sehr bewusst in sehr kleiner Auflage produziert werden. Die Linke in Sachsen hat ein Plakat aufgehängt, auf dem ganz groß steht, „Sachsen ist das Letzte“. Im Kleingedruckten war die Erklärung versteckt, dass man den sozialen Wohnungsbau der Staatsregierung kritisiert und nicht das Bundesland. Das wurde nur einmal in Leipzig Connewitz, einer sehr linken Hood aufgehängt. Man war sich sicher, dass das in die Breite getragen wird, natürlich aber mit einem Kontrollverlust. Die CDU hat es aufgegriffen und skandalisiert. Somit fühlen sich sicher auch einige von der Linken vor den Kopf gestoßen, die nicht wollen, dass die Linkspartei auch noch auf Sachsen draufhaut, wenn es schon ganz Deutschland tut. Das zeigt, dass dieses Plakat nur produziert wurde, um in der linken Blase viral zu gehen. Mein Gefühl ist, dass mittlerweile viele auf den ersten Blick verunglückt wirkende Plakate bewusst so gestaltet werden.

Gibt es noch andere Formate, bei denen die Parteien darauf abzielen?

Das wichtigste sind Plakate. Diese kontextspezifisch aufzuhängen, ist vielleicht eine Unterkategorie. Die Grünen aus Sachsen haben zum Beispiel ein Plakat in Wien aufgehängt. Da steht drauf „Servus Österreich. Wie erfolgreich sind eigentlich Koalitionen mit Rechtspopulisten. #FragefüreinenFreund“. Dort sind Michael Kretschmer und Sebastian Kurz abgebildet. Das ist sehr smart. So spielen die Grünen das Narrativ, dass auch Kretschmer mit den Rechtspopulisten zusammengehen könnte über Bande aus, und über das Netz kommt es zurück nach Sachsen, wo dann viele über diese insgesamt nur drei aufgehängten Plakate reden.

Die CDU Sachsen haben sie als positives Beispiel genannt. Dabei ist die CDU vor allem bei den über 60-Jährigen stark. Müssten da beispielsweise die Grünen online nicht viel besser aufgestellt sein?

Das ist ein Trugschluss. Eine Volkspartei muss alle Zielgruppen möglichst gut ansprechen, um als Volkspartei auch weiterhin Bedeutung zu haben. Es ist eine Pflicht von CDU und SPD, Dinge zu tun, die für junge Menschen relevant sind. Die Grünen machen das auch gar nicht schlecht. Zumal sie der Hype in Umfragehöhen in Ostdeutschland trägt, die vor gefühlt sechs Monaten noch undenkbar waren – auch wenn es da zuletzt in der Prognose für Brandenburg einen Dämpfer gab. Das Verständnis der Grünen für das Netz ist in beiden Ländern größer. Aber es fehlt an Ressourcen. Die Mitgliederstrukturen sind überhaupt nicht vergleichbar. Ich schätze mal die Grünen haben circa 200, 300 aktive Leute, die für sie Wahlkampf in Sachsen machen, bei der CDU ist das natürlich ein Vielfaches. Der Buzz und die Sichtbarkeit, die die Grünen erzeugen können, ist also wesentlich geringer, auch wenn sie das Netz grundsätzlich besser verstehen.

Wo unterscheiden sich die Parteien in ihren Online-Wahlkämpfen?

Der inhaltliche Fokus, welche Themen die Parteien triggern wollen, ist unterschiedlich. Bei der Linken in Brandenburg, sind es die Hohenzollern, die ihre Schlösser zurückhaben wollen. Gegen die wird polemisiert. Das soll das große mobilisierende Thema sein, mit dem man die Brandenburger an die Wahlurne bringt. Das ist etwas ganz Anderes, als das, was die CDU in den Fokus rückt. Sie hat versucht, die schlechte Digitalabdeckung und Sicherheitspolitik darzustellen. Die Parteien unterscheiden sich aber auch bei der Fokussierung auf bestimmte Netzwerke. Die AfD hat seit Jahren ganz klar Facebook als wichtigstes Netzwerk. Das ist ihre Heimat. Die Linke in Sachsen investiert sehr viel in Twitter. Das ist aber von Land zu Land unterschiedlich. Ich kenne auch Wahlkämpfe aus anderen Ländern, wo die Linke auf Twitter gar nicht vorgekommen ist.

Die AfD ist in Sachen Social Media sehr gut aufgestellt. Holen die anderen Parteien auf?

Die Parteien schauen sich an, wie die AfD arbeitet. Viele haben sich glücklicherweise dagegen entschieden, viele Dinge nachzumachen. Für eine Partei, die nicht in Regierungsverantwortung steht, ist es viel einfacher, diese populistische Facbook-Kommunikation zu betreiben. Viele wollen sich die Finger nicht schmutzig machen, indem sie selber den Populismus fördern. Handwerklich aber macht man Sachen ähnlich. Sharepics werden genauso produziert wie es die AfD seit 2013 macht. Die Community wird stärker angesprochen und eingebunden. Auch das hat die AfD in der Breite als erste gemacht. Ich beobachte schon, dass man sich da stärker inspirieren lässt. Aber man hätte die AfD nicht gebraucht, um irgendwann auf den Trichter zu kommen, dass man die Social-Media-Kommunikation anders gestalten muss.

Gibt es Tendenzen, dass sich Deutschland beim digitalen Wahlkampf an die USA annähert?

Die These höre ich immer wieder. Das ist aber Quatsch. Natürlich gibt es den Transfer. Man lässt sich bei Bundes- und Europawahlen inspirieren, was Tools und neue Strategien angeht. Aber die Übertragbarkeit, das haben viele Versuche gezeigt, ist extrem schwierig. Die Hoffnung der AfD war extrem groß, als man sich Harris Media eingekauft hat, die Trump zum Präsidenten gemacht haben wollen. Mit ihrer Kampagne für die AfD sind sie in meinen Augen gescheitert. Ähnlich war es auch bei der SPD, die Jim Messina eingekauft hat, der schon für Obama arbeitete. Der hat hohe Tagessätze abgerechnet, konnte aber im Grunde nicht helfen. Das kulturelle und politische Verständnis ist extrem wichtig, um in Deutschland Wahlkämpfe zu machen. Da ist es sehr schwer etwas zu übertragen, ganz abgesehen davon, dass wir Gesetze haben, die glücklicherweise vieles von dem verhindern, was in den USA passiert. Es gibt zwar viele Versuche. Doch das meiste ist originär nach deutschem Verständnis entwickelt, und das ist auch gut so. Natürlich gab es eine Haustürwahlkampf-App, wie die CDU sie hat, auch in den USA. Da kann man sagen, es gab einen Transfer. Doch sie ist mit den amerikanischen Apps nicht vergleichbar. Das fängt bei der Menüführung an und geht bei Texten und Funktionen weiter.