Profis für die Provinz

Employer Branding

Die TV-Serie „Babylon Berlin“ dürfte einen weiteren minimalen Beitrag leisten, die Strahlkraft der Hauptstadt zu erhöhen. Dabei drängt es schon jetzt viele junge Menschen in die Metropole – auch zum Arbeiten oder für Firmengründungen. Die Start-up-Szene boomt, hat allerdings inzwischen ein Problem: Es finden sich kaum noch ausreichend Bewerber, weil zu wenig Gehalt gezahlt wird.

Mittelständische Weltmarktführer, die in oft wenig bekannten Branchennischen agieren, haben ganz andere Sorgen. Häufig ist nicht nur ihr Welterfolg unbekannt. Sie seien im doppelten Sinne versteckt, sagt Tobias Grewe, Employer-Branding-Experte der Kommunikationsagentur Serviceplan. Denn schon ihre Standorte seien möglichen Bewerbern oft kaum geläufig.

In Abwandlung einer alten Regel aus dem ländlichen Raum ließe sich ergänzen: Was der Bewerber nicht kennt, interessiert ihn nicht. Für die sogenannten „Hidden Champions“ eine echte Bedrohung, da die richtigen Fachkräfte für sie im selben Maße Innovationsmotor wie für die großen bekannten Konzernmarken seien, sagt Grewe.

Als Beleg zitiert er das Mittelstandsbarometer von Ernst & Young 2018, wonach 57 Prozent der befragten mittelständischen Unternehmen spürbare Umsatzeinbußen aufgrund des Fachkräftemangels beklagen. Grewe hält eine gezielte Strategie zur Mitarbeiteranwerbung für „absolut nötig“ – und gar nicht so schwer zu entwickeln. Zumindest theoretisch.

Wie im wahren Leben gehe es darum, sich vernünftig vorzustellen: „Ehrlich und differenzierend mit der richtigen Positionierung, um die richtigen Bewerber anzusprechen, natürlich in den richtigen Kanälen und mit den richtigen Geschichten.“ Das heißt mit echten Beispielen, die ein treffendes Bild des Arbeitgebers vermitteln.

Nichts trage dazu besser bei, als die angestammten Mitarbeiter in die Kampagnen – die international ein wenig anders ausgerichtet sein sollten als national – einzubeziehen. Im Übrigen verweist Tobias Grewe auf Studien, denen zufolge Bewerber auch an entlegenere Standorte gingen, „wenn der Arbeitgeber viel zu bieten hat“.

Das Beste aus zwei Welten

„Ich wollte weiterhin ambitioniert und international arbeiten, aber mit weniger Alltagsstress“, sagt Kira Limbrock, die vor wenigen Monaten vom Bochumer Dax-Konzern Vonovia, wo sie in leitender Position in der Unternehmenskommunikation gearbeitet hatte, zur Firma Wago nach Minden in Ostwestfalen wechselte. Nach fünf Jahren Leben in Köln und täglichem Pendelstress sehnte sie sich statt nach PS in Blech auf verstopften Autobahnen nach Pferden auf grünen Wiesen und Garten vorm Haus zum Jobausgleich. Nun wohnt sie auf einem Bauernhof, mit Tieren und Blick aufs Feld.

Bei Wago, einem führenden Anbieter von Verbindungs- und Automatisierungstechnik mit fast 8.500 Beschäftigten weltweit, leitet Limbrock die 25-köpfige Abteilung Communication and Design. Zur besonderen Herausforderung ihres familiengeführten Arbeitgebers gehört, dass alle großen Wettbewerber im Umkreis von 50 Kilometern konzentriert sind. Das macht die notwendige Mitarbeitergewinnung noch anspruchsvoller. Die deutschlandweite Employer-Branding-Kampagne, die gerade anläuft, stelle deshalb als USP heraus: „Das Beste aus zwei Welten vereint“. Das heißt international anspruchsvoll arbeiten und ländlich wohnen in Kombination – eben das, was Limbrock jetzt lebt.

Bei Wago versucht man, auf allgemeine (in Großstädten besonders gravierende) gesellschaftliche Probleme praktische Antworten vor Ort zu finden. Neue Mitarbeiter werden bei der Wohnungssuche unterstützt, bei der Kinderbetreuung und dank günstiger Arbeitszeitgestaltung bei der Angehörigenpflege. Jüngst ist das Unternehmen zudem von der Zeitschrift Brigitte als besonders frauenfreundliches Unternehmen ausgezeichnet worden.

„Gerade in der Technikbranche werden wir den War for Talents nicht meistern, wenn wir Frauen nicht gute Angebote zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie und natürlich Karrierechancen offerieren“, sagt Kira Limbrock. Es gibt mit „women@wago“ ein Frauennetzwerk in der Firma und darüber hinaus diverse Kommunikationsformate, um alle Mitarbeiter zu vernetzen, so zum Beispiel das „Community Collage“ als Fortbildungsforum oder das von jungen Führungskräften initiierte „Culture Café“.

Das nützt natürlich alles nichts, wenn der potenzielle neue Mitarbeiter von den Vorzügen nichts ahnt. „Der prinzipiell sympathische Verzicht auf laute Selbstdarstellung des Mittelstands ist heute nicht mehr ideal“, findet Kira Limbrock. Nicht als schrill, aber als glaubwürdig wahrgenommen zu werden, sei der Balanceakt gerade in inhabergeführten Unternehmen. Die Chefs, die mit ihrer traditionellen Zurückhaltung oft gut gefahren seien, müssten sich schließlich mit der komplexer werdenden Art von Kommunikation und Recruiting identifizieren können. Dazu gehöre, dass Produkt- und Arbeitgebermarke viel enger verknüpft werden müssten, auch in Kampagnen.

Wettbewerb um Talente auf einem ausgedünnten Arbeitsmarkt

Bei der Würth-Gruppe, einem erfolgsverwöhnten „Hidden Champion“ mit mehr als 440 Gesellschaften weltweit von Handel bis Produktion und Dienstleistung, haben Mitarbeiter und Führungskräfte vor Jahren ein umfassendes Modell entwickelt, ihre Markenwerte zu kommunizieren und zu leben. Daraus ist eine Arbeitgebermarke entstanden, die im Kern von drei Pfeilern getragen wird: „Bindung – Gesundheit – Förderung“. Sie sollen zur Gemeinschaftsstärkung, zu positivem Betriebsklima und letztlich der Attraktivität als Arbeitgeber beitragen.

„Im Wettbewerb um Talente auf dem ausgedünnten Arbeitsmarkt spielt natürlich die Außenwirkung eine große Rolle“, sagt Ralph Herrmann, Leiter Unternehmenskommunikation. Damit sich vorbildliche Unternehmenskultur, die über materielle Anreize hinausgeht, herumsprechen kann, muss sie natürlich erst einmal vorhanden sein.

Das sei bei Würth der Fall – angefangen vom freundlichen Umgang miteinander auf allen Hierarchieebenen bis zum kulturellen Angebot. In Künzelsau müsse niemand aufkreuzen, um von coolen Trends bei der Mitarbeiterpflege im Silicon Valley zu schwärmen, diese werde schon seit Jahrzehnten gelebt. „Es geht um Haltung und Nachhaltigkeit“, sagt Herrmann. „Und die ist eben nicht nur eine Frage des Bewusstseins für die ökologische, sondern auch für die soziale Umwelt.“

Da das Familiäre in der Unternehmenskultur schon lange selbstverständlich sei, könne es glaubwürdig in die Öffentlichkeit kommuniziert werden. „Allerdings vergessen wir schon mal, diese Erzählung über die Region hinaus publik zu machen.“

Arbeitgebermarke basiert auf Haltung

Dabei gibt es mit Marbet sogar eine eigene Kommunikationsagentur und jede Menge Erzählenswertes. Beispielsweise dank Events wie dem „Würth Open Air“ mit seiner Bandbreite von Klassik bis Sting, das Publikumsschichten erreicht, die so divers sind wie die Mitarbeiterzusammensetzung. Dass der Firmenname via Konzert bis in überregionale Kulturmedien getragen wird, ist ein positiver Nebeneffekt.

Auch beim Thema Ausbildung von Flüchtlingen – man bietet Sprach- und Leistungskurse an – verknüpft man unternehmerische Vorsorge und gemeinschaftliche Verantwortung: „Generell setzen wir auf sehr offene Kommunikation. Mit Integration fällt die Angst der Mitarbeiter, dass ihnen was weggenommen wird.“

Auch Kira Limbrock hält es für enorm wichtig, an der Marke ihres Unternehmens zu arbeiten und intern das Bewusstsein zu stärken, dass Marke nicht nur das schön designte Produkt mit Logo ist, sondern viel mit Haltung zu tun hat. Kürzlich hat die Geschäftsführung der Wago-Gruppe eine Stellungnahme gegen Fremdenhass veröffentlicht. „In der Mitarbeiterschaft ist sie sensationell angekommen. Es lohnt sich, in der Kommunikation mutiger und klarer zu werden“, sagt Limbrock. „Das Spannende an der PR-Arbeit bei einem ‚Hidden Champion‘: Wenn man hier etwas Neues bewegen kann, spürt man sofort den positiven Effekt.“

Ähnlich sieht es Elif Tunc, die nach elf Jahren bei der Unternehmensberatung Capgemini als Senior Recruiter zum „Hidden Champion“ Micronova, einem Software- und Systemhaus, wechselte: „Ich sehe direkt Ergebnisse meiner Arbeit und erhalte viel mehr Wertschätzung. Ich kann Dinge besser bewegen und vorantreiben.“

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe KONKURRENZ. Das Heft können Sie hier bestellen.

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