Eine Frage der Werte

Bayern-Präsident Uli Hoeneß hat Steuern hinterzogen und Deutschland fragt sich: Warum ausgerechnet er? Der Ex-Chef der Deutschen Bank, Hilmar Kopper, sprach von Peanuts, als es um offene Handwerker-Rechnungen in Millionenhöhe ging. Die Öffentlichkeit hatte daraufhin nur Schimpf und Schande für ihn übrig. Josef Ackermann posierte im Gerichtssaal siegessicher mit zum Victory-Zeichen ausgestreckten Fingern und wird das Image des raffgierigen Finanzhais, der nur den eigenen Gesetzen folgt, seitdem nicht mehr los. Zum Fall Ackermann schrieb das „Manager Magazin“ seinerzeit: „Einen solchen Kommunikations-Gau hat die Bank nicht mehr erlebt, seit […] Hilmar Kopper den 50-Millionen-Mark-Schaden, den die Pleite des Baulöwen Jürgen Schneider zahlreichen Handwerkern zufügte, als ‚Peanuts‘ bezeichnete.“

In der Kommunikationsarbeit von Unternehmen sind derartige unbedachte Äußerungen und Fehltritte von Chefs immer auch ein Risiko für die Glaubwürdigkeit und die Reputation des Unternehmens, das dahinter steht. Das gilt für Unternehmen und Konzerne, nun auch für den Fußball und für die Politik sowieso. Warum mehren sich die Fälle? Oder sind wir nur empfindlicher geworden? Warum werden die einen abgestraft und andere unverändert anerkannt? Und was heißt das für die Kommunikationsarbeit, insbesondere für die Krisenkommunikation?

Immerhin erfreut sich der Bayern-Manager (bei Redaktionsschluss) trotz seiner offensichtlichen Straftat einer erstaunlich positiven Meinung in den Medien und in der Öffentlichkeit. Selbst die Kanzlerin, die „enttäuscht“ von ihm sei, wird wohl wieder mit dem Würstchenfabrikanten sprechen. Es gab in der jüngsten Zeit Beispiele, die zeigen, wie man es nicht machen sollte. Sie betreffen Menschen, mit denen längst nicht mehr jeder spricht. Allenfalls über sie. Zum Beispiel Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, Bundespräsident a.D. Christian Wulff oder Ex-Post-Chef Klaus Zumwinkel.

Was unterscheidet sie von Uli Hoeneß? Sie alle haben versucht zu täuschen oder zu vertuschen – oftmals nach ähnlichem Muster:

1.    Stufe: Verleugnen des Themas
2.    Stufe: Herunterspielen des Themas
3.    Stufe: Alles wird geklärt werden
4.    Stufe: Ablenkungsmanöver, Schuld haben andere
5.    Stufe: Eingestehen der Untat; Rücktritt, um Schaden von der Partei/dem Unternehmen/der Familie/der Person abzuwenden

Die Formulierungen sind fast immer gleich. Es ist ohnehin egal, denn zu diesem Zeitpunkt haben Partei, Unternehmen, Familie und Person bereits Schaden genommen. Die Ex-Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann, hatte es anders gemacht: Sie sprang direkt zur fünften Stufe und damit nicht in den Absturz, sondern in einen erfolgreichen Neustart. Karl-Theodor zu Guttenberg hätte von ihr lernen können.

Erfolgsfaktor Timing

Wenn Personen des öffentlichen Lebens etwas geheim halten wollen, dann werden die Deutschen hellhörig, sei es nun die Entwicklungsgeschichte der Doktorarbeit oder der von einem Unternehmer gewährte Privatkredit. Wenn gleichsam öffentliche Personen ebenso öffentlich einräumen, dass sie etwas Verbotenes getan haben, dabei gleichzeitig betonen, dass sie sich über sich selbst wundern, weil sie ja im übrigen Leben sehr sozial engagiert waren, ist die Kuh zwar nicht gleich vom Eis. Aber: Die öffentliche Entrüstung flacht relativ schnell ab. Erstaunlich schnell, wie der Fall Hoeneß zeigt.

Solche Fälle bedeuten für PR-Manager: 1. Besonders aufmerksam verfolgen, was der Chef macht und sagt. 2. Permanente Pflege von Image und persönlichen Medienkontakten. 3. Vorbereitet sein für den Notfall, für die Krise. Es ist bekannt, dass sich gute Krisenkommunikation schon lange vor dem Krisenfall entscheidet. 4. Im Fall des Falles schnell handeln.

Zwischen dem öffentlichen Eingeständnis von Uli Hoeneß und seiner auf mehreren Seiten ausgebreiteten Beichte in der Wochenzeitung „Die Zeit“ lagen keine zwei Wochen. Im Interview mit „Deutschlandradio Kultur“ hat die Journalistin Christiane Florin dieses Vorgehen dann auch als „medienstrategisch sehr versiert“ bezeichnet. Gleichwohl: Wäre Hoeneß früher an die Öffentlichkeit gegangen, hätte er sich und seinem Ansehen weniger geschadet. Über Erfolg oder Misserfolg aller Aktionen entscheidet immer auch das Timing. Wann ist der richtige Zeitpunkt? Wie verhalte ich mich? Konzernmanager, die beispielsweise einen Gewinnzuwachs von 1,5 Milliarden Euro verkünden und zur gleichen Zeit erklären, 11.000 Mitarbeiter zu entlassen, verhalten sich nicht nur respektlos gegenüber ihren Beschäftigten. Es ist schlicht falsches Timing. Das schadet dem Image der Person und immer auch dem Unternehmen.

Erfolgsfaktor Stil

Manager, die allein oder in kleinem Kreis Entscheidungsfehler begehen und dann kollektives Zusammenstehen einfordern, verlieren ihre Glaubwürdigkeit. Es sei denn, sie besitzen die Fähigkeit, Fehler einzugestehen, Selbstkritik zu üben, die notwendigen Entscheidungen zu treffen und Konsequenzen zu ziehen.

Wer glaubt – oder sich selbst einredet, immer richtig zu liegen und nur zu gewinnen, der erkennt nicht, wo die Verlustzone beginnt. Die Business-Diplomatie beschäftigt sich neben dem Timing mit drei weiteren Aspekten des Führungsverhaltens: Werte, Stil und Intuition. Faktoren für einen Geschäftserfolg, der ohne Ellbogenmentalität auskommt. Ob persönliches Auftreten, Erscheinung, Kommunikation oder zwischenmenschliches Verhalten, all das prägt den Stil. Wichtig: Der eigene Stil entsteht immer erst im Kopf des anderen.

Erfolgsfaktor Intuition

Intuition entsteht nur durch Empathie und das Wahrnehmen von Veränderungs- und Gestaltungsmöglichkeiten. Intuition braucht Erfahrung. Berufserfahrung, vor allem aber Lebenserfahrung. Wirtschaftsminister Philipp Rösler und Familienministerin Kristina Schröder beispielsweise fehlt eine relevante Erfahrung. Als Küken im Kabinett werden sie regelmäßig von Satire und Kommentatoren auf die Schippe genommen. Der Ex-Chef der Deutschen Bahn, Hartmut Mehdorn, hingegen wurde mit 70 Jahren zum Flughafen-Chef bestellt, Rainer Brüderle mit 67 Jahren zum Spitzenkandidaten der FDP gemacht. Ist das Alter entscheidend für eine gewisse Deutungshoheit? Auf diese Frage von „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo antwortete Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt vor ungefähr einem Monat: „Aus Mangel an Führungspersonen halten sich die Leute an einen alten Mann.“

Der Mangel an Führungspersonen ist der Mangel an Vorbildern. Hoeneß, Wulff, Guttenberg und viele mehr: Menschen, die erfolgreich und gleichzeitig ehrlich und rundum anständig sind, scheint es kaum noch zu geben. In den meisten Fällen führen die Verfehlungen zu folgendem Konstrukt: Die im direkten Umfeld des Geschehens Stehenden halten zumindest öffentlich dem, der die Verfehlung begangen hat, noch lange die Treue. Zumindest so lange, bis der Druck in Medien und Gesellschaft so stark oder Beweise unumkehrbar geworden sind, dass ein Rückzug unausweichlich ist.

Eine Frage der Werte

Je mehr sich die Mächtigen anscheinend die Taschen vollstopfen, je häufiger Fehltritte bekannt werden, umso intensiver diskutiert die Öffentlichkeit wieder traditionelle Werte: Ehrlichkeit, Glaubwürdigkeit, Gerechtigkeit. Je mehr diese Werte an Bedeutung gewinnen, desto stärker misst die Öffentlichkeit natürlich auch Prominente daran.

Wer Kommunikationsarbeit erfolgreich gestalten will, kommt also um diese Werte nicht herum. Wer öffentlich auftritt, muss wissen, dass sich der persönliche Wert durch Aktionen und Reaktionen, die man selbst auslöst oder zu denen man genötigt wird, verändern kann. In den Protokollabteilungen großer Unternehmen haben wir uns immer an einen wichtigen Grundsatz gehalten: Jeder Eingeladene ist zunächst einmal Gast. Unabhängig davon, ob Kunde, Partner oder Mitarbeiter. Wert, Selbsteinschätzung und Fremdbild bei gelebten Werten müssen in jeder Situation wieder mehr Gewicht bekommen.

Wenn uns das gelingt, haben wir weniger Fälle von Krisenkommunikation – dafür aber vielleicht wieder mehr Vorbilder, nach denen sich Medien und Gesellschaft sehnen. Mehr neue Führungskräfte, die Wert, Stil, Timing und Intuition auf sich vereinen und damit mindestens ebenso erfolgreich wirtschaften können wie Fußball-Manager und Wurstfabrikanten mit einem Schweizer Konto.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Employer Branding. Das Heft können Sie hier bestellen.

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