Die wunderbare Welt der Worte: Ein Interview mit der Duden-Sprecherin

Frau Weiffen, wie entstand der Duden?

Nicole Weiffen: Der Gymnasialdirektor Dr. Konrad Duden hat 1880 erstmals ein „Vollständiges Orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache“ herausgegeben. Das Buch mit 27.000 Wörtern kostete damals eine Mark.

Und wie viele Wörter stehen heute im Duden?

In der aktuellen 26. Auflage hat sich der Bestand seit dem „Urduden“ mehr als verfünffacht: Wir listen inzwischen über 140.000 Wörter. Im Zeitraum seit der 25. Auflage kamen innerhalb von fünf Jahren mehr als 5.000 neue Wörter hinzu, darunter zum Beispiel „Abwrackprämie“, „Hybridauto“ und „twittern“. In unserem „Dudenkorpus“ haben wir inzwischen mehr als zwei Milliarden Wortformen gespeichert.

Woher kommen denn die vielen neuen Wörter?

Sprache ist dynamisch. Wegen der Aufnahme von Anglizismen wie „Shitstorm“ und „Flashmob“ wurden wir zwar schon als „Sprachpanscher“ tituliert. Aber grundsätzlich prägen wir nicht die Sprache – wir dokumentieren sie nur. Der Anteil der Begriffe, die vom Englischen abstammen, liegt seit Jahren konstant bei rund 3,5 Prozent an unserem Gesamtumfang. Grundsätzlich standen die meisten neuen und oft nachgefragten Wörter im Zusammenhang mit dem Internet, sozialen Medien, Wirtschaft oder Politik.

Welche Wörter sind derzeit besonders gefragt?

Aktuell sind es Wörter rund um den Fußball. Im Rahmen der WM haben viele nach der Bedeutung von „Schland“ gesucht oder dem „Freistoßspray“. Aber ob die es am Ende auch in den Duden schaffen, wissen wir noch nicht.

Wie kommt ein Wort in den Duden – kann ich eins vorschlagen, gibt es eine Jury?

Wir bekommen täglich Post von Menschen, die ein Wort für den Duden vorschlagen und freuen uns über den Austausch. Der Großteil der neuen Wörter wird jedoch in zwei Schritten ermittelt: Das Herzstück sind die Computerprogramme, die vollautomatisch Zeitungen, Zeitschriften, das Internet, Bücher, Blogs und Portale nach neuen Begriffen durchkämmen. Wenn einer besonders häufig vorkommt wie zum Beispiel „Vollpfosten“ oder „Schuldenbremse“, kommt der Mensch erneut ins Spiel: Unsere Redakteure, die alle Sprachwissenschaftler sind, prüfen dann einzeln, ob der Begriff nicht nur besonders oft vorkommt, sondern auch, ob er das nachhaltig längerfristig und über verschiedene Kanäle hinweg tut.

Wir schauen jedoch nicht nur, ob Wörter neu sind, sondern auch, ob sich ihre Konnotation positiv oder negativ ändert. Das Wort „geil“ ist zum Beispiel über die Jahre immer weniger sexuell geprägt und heute längst Teil der Umgangssprache.

Und wann fliegt ein Wort wieder raus?

Wir sind sehr konservativ: Dazu muss ein Wort schon sehr lange aus dem Sprachgebrauch verschwunden sein. Bei der letzten Neuauflage haben wir gerade einmal hundert Wörter gestrichen wie „Buschklepper“ für einen sich im Gebüsch versteckenden Dieb, „Stickhusten“ für Keuchhusten oder „Füsilade“ für die standrechtliche Erschießung von Soldaten.

Der Verlag bietet auch eine telefonische Sprachberatung an. Was wollen die Anrufer dort wissen?

Die Klassiker sind auch hier Recht-, Groß- und Kleinschreibung und Zeichensetzung. Aber viele der 200 Anrufer pro Tag von der Sekretärin bis zum Student suchen auch Synonyme oder wollen die Herkunft eines Wortes wissen.

Vielfach wurde der Sprachverfall der Jugend angeprangert. Merkt den auch die Duden-Redaktion?

Das können wir so nicht bestätigen. Bei unseren Schreibwettbewerben sehen wir das Interesse der Jugend an den Wörtern genauso wie in zahlreichen Facebook-Gruppen. Vielleicht verstehen ältere Menschen heute Jugendliche in der U-Bahn kaum, wenn die mit Gleichaltrigen kommunizieren. Doch Jugendliche passen ihre Sprache der Gelegenheit individuell an, je nachdem, ob sie mit Freunden sprechen, der Familie oder in einem Bewerbungsgespräch sitzen. Sie sind sozusagen kontextabhängig mehrsprachig, auch wenn sie nur Deutsch sprechen.

Was ist Ihr persönliches Lieblingswort?

Mein Lieblingswort steht für etwas, das ich mir im Alltag öfter wünsche und das für die Fähigkeit steht, mit der Anspannung in unklaren Situationen umgehen zu können: Ambiguitätstoleranz.

 

 

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