Die Swiss-Kampagne für mehr Achtsamkeit

Augen auf!

Herr Kaminski, was war die Idee hinter der Kampagne „Attentive Eyes“?

Mirko Kaminski: Im Rahmen der Strategieentwicklung ging es zunächst um den unverwechselbaren Kern der Marke Swiss, die ja auf den ersten Blick wie andere Airlines auch ist: Sie bringt Menschen von A nach B. Alle stellen fliegende Röhren mit Plätzen, die man mieten kann. Neben der Tatsache, dass unser Kunde innerhalb Europas Menschen und Staaten verbindet, hat diese Airline aber eigene Coaches, die das Kabinenpersonal zu mehr Achtsamkeit anleiten. Es geht ihnen darum, Blickkontakt zu suchen, den Gast wirklich zu sehen und ihm das Gefühl zu geben: Es geht allein um ihn. Wir haben das Thema Achtsamkeit, also Attentiveness, besonders herausgeschält.

Und dann?

Haben wir uns gefragt: Wo ist der human insight, also das große Bedürfnis, das alle Menschen bewegt? Innerhalb Europas fehlt es an Achtsamkeit. Wir sehen jeden Tag 150-mal aufs Smartphone – aber nur zehnmal dem eigenen Partner in die Augen. Ähnliches gilt für Staaten: Es gibt Vorwürfe und Streit, aber kaum noch Versuche, den anderen tatsächlich zu verstehen. Als Symbol für Achtsamkeit haben wir Augen gewählt. Der Schweizer Lichtkünstler Gerry Hofstetter hat die von Flugbegleitern auf Gebäude projiziert, die monumentaler Teil europäischer Geschichte sind: die Staatsoper in Wien, die Cité Internationale Universitaire in Paris, die Kirche Sagrat Cor über Barcelona, das Royal Observatory in London, das Hotel Vier Jahreszeiten in Hamburg und das Nationalmuseum Leonardo da Vinci in Mailand.

Gab es da ein unternehmensweites Augen-Casting?

(lacht) Nein, es gab kein Extra-Event, wir haben auch nicht ausgesiebt.

Von Deutschland aus eine internationale Kampagne zu steuern, erscheint nicht leicht. Wollten viele mitreden?

Als wir den Etat 2014 gewonnen haben, hat das schon viele überrascht. Schließlich denkt man bei einer solchen Aufgabe ja erstmal reflexartig an eines dieser internationalen Networks. Wir aber haben extra für Swiss aus Deutschland heraus ein europäisches Netzwerk aus handverlesenen Inhaber-Agenturen geformt. Und dieses ist weit homogener als so ein internationales Network irgendeiner Agenturmarke. Schließlich performt so ein Network nicht in jedem Markt und in jeder Branche gleich gut. Da haben die Kollegen in Italien vielleicht den Schwerpunkt Consumer Electronics, die britischen setzen womöglich auf Health Care … also haben wir in jedem Land die genau passende Agentur gesucht und ein homogenes Netzwerk maßgeschneidert. Alle Agenturen haben Airline-Erfahrung, ohne gerade einen Wettbewerber zu betreuen. Alle sind inhabergeführt und für alle hat der Etat eine große Bedeutung. Bei der Netzwerkbildung haben wir außerdem von Kolle Rebbe gelernt. Die hatten dasselbe schon im Bereich Werbung für die Lufthansa gemacht.

Am Ende haben wir von Hamburg aus Synergien genutzt, Ideen, Kampagne und Strategie entwickelt. Unsere Agenturen-Partner realisieren die Ideen dann unter unserer Supervision in den verschiedenen Märkten. Das hat gut funktioniert. Es haben nicht zu viele Köche im selben Brei gerührt.

Aber?

Es war eher ein Problem, die Genehmigungen für die Aktion an so exponierten Gebäuden zu bekommen.

Hat es bei allen geklappt?

Nein. Bei der Tower Bridge war leider nichts zu machen. Das wäre natürlich besonders spektakulär gewesen. Wir wichen dann aus ins London Observatory, was durch den Bezug des Gebäudes zum Sehen auch ein sehr schöner Auftakt war.

Abgesehen vom Wetter, oder?

Ja, es gab Schneeregen, aber damit muss man im November und gerade in London natürlich rechnen. Wir haben uns für den Auftakt im Winter London und Hamburg auch deswegen ausgesucht, weil wir besonders in der hektischen Vorweihnachtszeit den Fokus auf Achtsamkeit lenken wollten. Vor dem Hamburger Hotel „Vier Jahreszeiten“ war es bitterkalt, aber für die Bilder hatten gerade die Schneeflocken im Projektionslicht einen zusätzlichen Reiz.

Besseres Wetter gab es bei der Illumoinierung in Paris. (c) Frank Schwarzbach AG

Besseres Wetter gab es bei der Illuminierung in Paris. (c) Frank Schwarzbach AG

Am Ende konnten Interessierte ihr eigenes Eye-Selfie hochladen und sollten Teil der Abschlusspräsentation in der Schweiz werden.

Ja, es sollte eine Abschlussaktion geben, die wir nach dem Germanwings-Drama aber nicht mehr machen wollten.

Wie kamen Sie auf Gerry Hofstetter?

Er ist weltweit der bedeutendste Lichtkünstler und hat schon die Titanic wieder auftauchen und auf einen Eisberg projizieren lassen oder die Pyramiden von Gizeh illuminiert. Außerdem ist er Schweizer.

Wie lange dauerte die Umsetzung?

Wir haben mit der Konzeption im Sommer 2014 begonnen und die Umsetzung im November gestartet. Ende März diesen Jahres gab es die letzte Veranstaltung.

Und wie war der Outcome am Ende?

Wir hatben eine dann doch überraschende Reichweite von mehr als einer Milliarde erreicht und rund 2.000 Medienberichte in ganz Europa gezählt. Allein in Mailand waren 100 Journalisten und 150 Blogger vor Ort. Dazu kamen unzählige Instagram-Fotos, Postings, Tweets und Blogbeiträge, die Bilder verbreiteten sich ohne Mediabudget in ganz Europa.

Bei der Neuausschreibung hatte Swiss klar gebrieft, dass sie nicht mehr diese herkömmliche Medienarbeit, also zum Beispiel zwei Pressemitteilungen pro Monat und drei Pressereisen pro Jahr machen wollten. Stattdessen sollten es ein bis zwei europaweite Kommunikationsleuchttürme pro Jahr werden. Statt ein mittleres Media-Budget zu verteilen und jede Menge kleinere Meldungen zu veröffentlichen, haben wir zeitlich und inhaltlich alle Kräfte gebündelt. Das hat sich gelohnt. „Attentive Eyes“ ist das erfolgreichste Kommunikationsprojekt in der Geschichte von Swiss. Aber am wichtigsten war vielleicht, dass Millionen Menschen in Europa mal einen Moment lang innegehalten haben.

Wem würden Sie gerne mal persönlich in die Augen schauen?

Puuuuh… (Kaminski überlegt eine Weile). Dem Autor meines Horoskops vor vielen Jahren. Ich bin Skorpion und mit 18 oder 19 las ich darin: „Sie eignen sich nicht zum Unternehmer“. Ich weiß, diese Dinger werden gerne mal erfunden, aber ich habe dieses Horoskop jahrelang mit mir herumgetragen. Erst hat mich der Satz mental gebremst, aber irgendwann entschied ich mich, den Gegenbeweis anzutreten. Ob negativ oder positiv – ich würde dem Autor gerne zeigen, was seine Sätze bei Menschen auslösen können.

 

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