Die Sachsen wollten nicht die "Nullen der Nation" sein

Die Einführung der fünfstelligen Postleitzahlen war eine der größten Kommunikationskampagnen, die ich jemals erlebt habe. Alle Deutschen sollten zum Stichtag 1. Juli 1993 ihre neue Postleitzahl kennen und diese auch anwenden. Unternehmen und Behörden hatten ihre Adressverzeichnisse zu aktualisieren. Für unsere zentrale Pressestelle in Bonn und einige regionale Kollegen in den Ballungsräumen war die Einführung der neuen Postleitzahlen eine monatelange Höchstbelastung. In den Medien wurde das Thema emotional behandelt, man prophezeite uns Chaos und Konfusion bei der Umstellung. Daher bestand unsere Aufgabe insbesondere darin, den Menschen zu erläutern, dass die Umstellung kein Grund zur Panik darstelle. Jeder sollte sich zunächst seine eigene Postleitzahl merken, alle anderen Zahlen konnten im Postleitzahlenbuch nachgeschlagen werden, das jeder Haushalt kostenlos erhielt.

Über 100 Radiointerviews

Wir hatten in unserer Pressestelle in Bonn zwei Sprecher, die sich mit diesem Thema befassten. Ich selbst war nicht nur mit den Postleitzahlen beschäftigt, da ich eine Fülle weiterer Aufgaben hatte. Dennoch hatte ich zu dem Thema unzählige Gespräche mit Journalisten und schätzungsweise 100 Radiointerviews. Eines blieb mir besonders in Erinnerung. Bei der Einteilung der Postbezirke war es scheinbar passiert, dass wir eine Stadt in ein anderes Bundesland verlegt hatten. In der betreffenden Region beherrschte das Thema tagelang die Schlagzeilen.

Eine ungeheure Aufmerksamkeit erhielt auch unsere Kampagne Fünf ist Trümpf, die bis zum Umstellungsdatum in den Medien um Akzeptanz für das neue System warb. Die Kampagne, die nach meiner Einschätzung eine der größten war, die jemals in Deutschland gelaufen ist, war ein Riesenerfolg. Das Maskottchen „Rolf“ erreichte bei Umfragen einen Bekanntheitsgrad von über neunzig Prozent. Das war auch notwendig, schließlich veränderten wir das weltweit älteste Postleitzahlensystem, das sehr gut funktionierte und von fast 100 Prozent der Bevölkerung genutzt und akzeptiert wurde. Interessant war, dass die Zeitungen zu dessen Einführung schon 1961 mit den gleichen Schreckensszenarien aufgemacht hatten, die alle nicht eingetreten waren. Das ergab unser Vergleich mit Zeitungen aus dem Archiv. Eine andere kommunikative Herausforderung war die Bekanntgabe der ersten beiden Ziffern der Postleitzahlen.

Empörung in Sachsen

Eine Welle der Entrüstung kam aus Großstädten, die künftig mehrere hundert Postleitzahlen haben sollten. In Sachsen, wo die Postleitzahlen mit „0“ beginnen, war die Aufregung groß: Man wollte nicht die „Nullen“ der Nation sein. Der Tag der Umstellung war nichts Außergewöhnliches. Es gab einige Pressetermine und wir hofften alle auf einen reibungslosen Start der neuen Postleitzahlen. Unternehmen und Behörden waren lange im Voraus über die Neuerungen informiert worden, von dieser Seite erwarteten wir kaum Probleme. Ungewisser war die Reaktion bei den Privatkunden, die für uns jedoch sehr erfreulich war. Einen Tag nach der Umstellung waren bereits 95 Prozent der Briefe richtig adressiert und eine Woche später verwendeten so gut wie alle Deutschen die neuen Postleitzahlen. Ein Erfolg, an dem die Kommunikation nicht ganz unbeteiligt war. (Protokolliert von Judith Schuldreich)

 

Dieser Beitrag erschien 2008 im pressesprecher. Was war Ihr größtes Erlebnis während Ihrer Karriere? Sagen Sie’s uns und vielleicht steht dann beim nächsten Mal Ihre Geschichte hier, wenn es wieder heißt “Wie war es eigentlich damals…?“.

 

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