Die Kunst des Scheiterns – der Fall Gurlitt

Es kann der frömmste Manne nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Staatsanwalte nicht gefällt. Als die bayerischen Zollfahnder im Frühjahr 2011 an der Tür von Cornelius Gurlitts Münchner Wohnung klingelten, bahnt sich der letzte tragische Akt im Leben des menschenscheuen Kunstsammlers an.  Sechs Jahrzehnte hindurch hatte es der zurückgezogen lebende Sonderling geschafft, allein und von der Öffentlichkeit unerkannt mit sich und der von seinem Vater hinterlassenen Kunstsammlung zu leben: 1500 verschollen geglaubte Bilder, unter anderem von Dutzenden Meistern der klassischen Moderne, befanden sich in seinem Besitz – ein Leben von und mit der Kunst.

Das Lebenskonzept wäre fast aufgegangen – bis zu jenem schicksalhaften Tag  im September 2010 als Gurlitt während einer Zugreise von der Schweiz nach München bei einer zufälligen Zollkontrolle mit zu viel Bargeld aufgefallen war. Dabei war er bis dahin stets geschickt vorgegangen: Gelegentlich wurden, um den Lebensunterhalt zu bestreiten, kleinere Werke an nicht allzu bekannten Handelsorten verkauft. Gier und Großmannsucht waren dem bescheidenen Mann, der ein Kunst-Milliardär hätte sein können, fremd. Vielleicht spielte dabei schon die Furcht vor einer drohenden Auseinandersetzung um nationalsozialistische Beutekunst eine Rolle.

Nun nahm das Drama seinen Lauf: Die Staatsanwaltschaft Augsburg beschlagnahmte im Frühjahr 2012 den Kunstschatz. Ein Bericht des Nachrichtenmagazins „Focus“ im November 2013 zerrte den alten, inzwischen schwer erkrankten Mann vor die Weltöffentlichkeit. Gurlitt fand sich in einem Medienorkan wieder, durch den er schnell in die Nähe von Nazi-Profiteuren gerückt wurde. Dabei hatte sich die Staatsanwaltschaft vergaloppiert. Der Anfangsverdacht auf Steuerhinterziehung und Unterschlagung reichte kaum aus und so wurde die Rechtmäßigkeit der Beschlagnahmung von vielen Experten schnell bestritten. Die Staatsanwaltschaft geriet unter Druck, die „FAZ“ sprach sogar von „einem politischem Mißbrauch der Strafjustiz“.

Die Diskussion über den “Nazi-Profiteur” Gurlitt war aber in der Welt. Schweigen war jetzt für Gurlitt keine Option mehr. Um im Gerichtssaal der Öffentlichkeit bestehen zu können, musste eine professionelle Litigation-PR-Strategie her: Eine umfassende Website deckte in kurzer Zeit die komplexen Hintergründe des Falles auf. Bis zum Frühjahr 2014 hatte Gurlitt-Sprecher Stephan Holzinger über 500 Medienanfragen aus aller Welt abgearbeitet. Mit Erfolg – die Öffentlichkeit begann sich konstruktiv mit dem Frage um Nazi-Beutekunst auseinander zu setzen. Dadurch wurde der Fall Gurlitt auch zu einem Beispiel herausragender PR-Arbeit: Die öffentliche Diskussion brachte letztendlich mehr Klarheit als die vorschnelle Entscheidung der Staatsanwälte.

Cornelius Gurlitt hatte das nicht mehr viel geholfen. Er starb am 6. Mai diesen Jahres in seiner Münchner Wohnung – ohne die Sammlung, mit der er sein Leben verbracht hatte. Die Debatte um den heiklen Nachlass konnte allerdings unbelastet geführt werden. „Der zunächst als NS-Profiteur verschriene Kunstsammler Cornelius Gurlitt ist“, so kommentiert Stefan Koldehoff im Deutschlandfunk, „zum unfreiwilligen Anwalt der NS-Opfer geworden, denn er hat sich zu mehr Transparenz und Offenheit bekannt als die meisten öffentlichen Museen oder der Kunsthandel.“ Juristisch lässt sich der Streit um die Beutekunst wohl nicht mehr klären. Dass Museen, Sammler und Erben sich auf eine konstruktive Debatte eingelassen haben, ist letztlich Gurlitts kluger PR-Strategie zu verdanken. Die Staatsanwaltschaft ist mit ihrer unbeholfenen Vorgehensweise jedenfalls eher gescheitert.

Alles was Recht ist – Streitfälle, die Pressesprecher bewegen
In unserer neuen Online-Kolumne widmen sich PR-Experte Armin Sieber (@absieber) und Rechtsanwalt Thomas Klindt (@TomKlindt) aus kommunikativer und juristischer Perspektive Rechtsfällen, die uns 2014 bewegten. 

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