Die Krise ist vorbei, die Veränderung geht weiter

Interview mit ADAC-Kommunikationschef Christian Garrels

Herr Garrels, Sie haben die Leitung der ADAC-Kommunikation inmitten der größten Krise zunächst inoffiziell übernommen. Wie sind Sie mit der neuen Position umgegangen, was war Ihre erste Handlung?

Christian Garrels: Ruhe und Struktur in das Kommunikationsteam bringen, das im Sturm der ADAC-Kritik stand. In einer Situation wie wir sie im Frühjahr 2014 erlebt haben, geht es nicht darum hierarchisch, sondern rein praktisch zu denken. Wie schaffen wir es, dieser Situation bestmöglich Herr zu werden? Wir haben damals versucht, so schnell wie möglich einen Plan zu entwickeln und uns organisiert: Wer recherchiert und besorgt Infos, wer spricht mit den Journalisten, wer kümmert sich um den Rest des noch vorhandenen Tagesgeschäfts? Das sind die ersten Fragen, die aber entscheidend sind. Einige Monate lang hatten wir auch Unterstützung von einer Agentur, die vor allem als Feedbackgeber und Türöffner in bestimmte Bereiche hinein sehr gute Arbeit geleistet hat. Wichtig war mir persönlich stets, das Heft des Handelns immer selbst in der Hand zu behalten. Wir wollten aber zusätzliche Rückmeldung von außen, ob wir uns auf der richtigen Spur befinden.

Vor seinem Rücktritt als Kommunikationsdirektor und Chefredakteur der „ADAC Motorwelt“ hat Michael Ramstetter alle Vorwürfe von sich gewiesen und die Medien zudem für ihr Verhalten kritisiert. Hätten Sie schon zu diesem Zeitpunkt gerne kommunikativ eingegriffen?

Hinterher ist es wahnsinnig leicht, schlau daherzureden. Aber ganz ehrlich: Anfang 2014 war natürlich auch ich – wie vermutlich alle Mitarbeiter des ADAC – der festen Überzeugung, an den erhobenen Vorwürfen sei nichts Substanzielles dran. Schließlich haben sich die seinerzeit Verantwortlichen bis zur Preisverleihung Mitte Januar hingestellt und gesagt „Alles falsch, es gab keine Manipulationen.“ Ich persönlich hatte keinen Anlass, daran zu zweifeln, da ich mit meinem damaligen Chef Michael Ramstetter bis dahin gut und vertrauensvoll zusammengearbeitet hatte.  Etwas anderes ist in der Tat die Frage, ob ich mich auf eine Show-Bühne stellen und  die anwesenden knapp 100 Journalisten heftig beleidigen muss. Das ist ein kommunikativer Stil, den ich für mich wahrscheinlich anders entschieden hätte.

Der ehemalige BMW-Kommunikationschef Richard Gaul forderte damals in einem Kommentar auf unserer Webseite: „Der ADAC muss in der Kommunikation endgültig Abschied nehmen von seinem Gebaren als „Club“ und sich auf allen seinen Geschäftsfeldern verhalten wie eine börsennotierte Aktiengesellschaft: mit Quartalsberichten und Bilanzen, mit einer offenen Kommunikation,  mit schneller und ausführlicher Beantwortung aller Fragen, die gestellt werden.“ Stimmen Sie zu?

Ich schätze Richard Gaul und im Prinzip hat er mit seiner Einschätzung Recht. In der ADAC-Kommunikation galt lange Zeit das Motto „Wir bestimmen die Spielregeln, suchen uns aus, mit wem wir reden und mit wem nicht.“ Das mag aus heutiger Sicht anachronistisch und rückwärtsgewandt wirken, war aber über Jahrzehnte hinweg extrem erfolgreich. Der ADAC war auch kommunikativ eine Institution mir unfassbaren Reichweiten- und Leistungswerten. Dass es so jetzt natürlich nicht mehr weitergeht, ist klar und auch gut so. Deswegen haben wir in den vergangenen zwölf Monaten einen gänzlich neuen Kommunikationsstil eingeführt, der von Journalisten  anerkannt wird. Im Kern geht es um einen offenen, ehrlichen und vertrauensvollen Dialog auf Augenhöhe. Das alte Sender-Empfänger-Modell hat endgültig ausgedient.

Der Dialog mit der Presse war im vergangenen Jahr nicht immer ganz einfach für Sie, ständig gab es neue Negativschlagzeilen, Tageszeitungen, Magazine und Online-Medien konnten von dem Thema nicht genug bekommen. Kann man als Kommunikationsabteilung ein durchgehendes Pferd stoppen?

Nein. Sie sollten eher im richtigen Moment in Deckung gehen … (lacht)

Gibt es denn eine Möglichkeit, die Journalisten zum Zuhören zu bewegen?

Ja, allerdings ist das ein langer, nicht ganz einfacher Weg. Unsere Maxime lautete von Anfang: wir antworten der Presse auf alle Fragen ehrlich und so offen wie möglich. Gerade zu Beginn sind wir  damit aber inhaltlich nicht durchgedrungen. Unsere Argumente und Punkte haben sich in der Berichterstattung so gut wie nicht wiedergefunden. Das war vor allem für meine Kollegen im Team unglaublich frustrierend. Durch dieses “Tal der Tränen” mussten wir aber einmal durch und sind dafür am Ende belohnt worden. Nur ein Mal haben wir den kommunikativen Rolladen komplett runtergelassen: Bei meinen ehemaligen Kollegen von „Bild“ war über Tage hinweg nichts zu holen – unsere Argumente und sachlichen Infos wurden in der Berichterstattung fast durchgängig ignoriert. Deswegen habe ich damals entschieden, gar nicht mehr zu antworten. Das war aber eine Ausnahme – hinter der auch ein Effizienzgedanke steckte: Ich kann nicht zwei oder mehr Personen Stunden lang damit beschäftigen, einen Fragenkatalog zu beantworten, wenn am Ende davon ohnehin nichts verwendet wird.

Was resümieren Sie aus diesen Erfahrungen?

Bleiben Sie dran, auch wenn es ziemlich weh tut und zunächst vermeintlich nichts bringt. Auf lange Sicht zahlt es sich aber aus. Heute stehen wir bei den allermeisten Journalisten besser da denn je – weil wir alle Fragen ehrlich beantwortet und uns eben nicht weggeduckt haben. Das haben sie positiv zur Kenntnis genommen. Das aus meiner Sicht einzig wirksame Rezept lautet also: Mach dir einen guten Plan, stell dich aufrecht hin und halte durch; es werden auch wieder bessere Zeiten kommen.

111 Jahre hat der ADAC weitgehend krisenfrei überstanden und hohes Vertrauen genossen, dann kam der Einbruch. Hat das intern eine Identitätskrise ausgelöst?

Für viele Mitarbeiter ist im Frühjahr 2014 eine Welt zusammengebrochen. Dass das bis dahin so heile Bild des Vereins heftige Risse bekommen hat, war für uns alle schwer zu verkraften. Hinzu kam, dass die Zentrale in München wochenlang von Journalisten und Kamerateams belagert wurde. Da wurden Mitarbeiter zum Feierabend auf dem Weg zur U-Bahn abgefangen und gefragt: „Wie können Sie bloß für diesen ADAC arbeiten?“ Das ist besonders brutal, weil wir hier von Menschen reden, die teilweise seit Jahrzehnten einen fantastischen Job für den ADAC machen und sich dabei nicht  das Geringste haben zu Schulden kommen lassen. Für diesen Fall braucht es eine sehr saubere und vertrauensvolle interne Kommunikation.

Welche konkreten Maßnahmen hat es hier gegeben?

Wichtig war, dass wir den Mitarbeitern unsere Kommunikationsstrategie vermittelt und erklärt haben, wie unsere Botschaften lauten – und zwar bevor diese an die Medien rausgehen. Nur so lässt sich ein Gefühl von Zusammenarbeit, Vertrauen und auch Stolz auf den Verein und die eigene Arbeit zurückgewinnen. Wir setzen in der internen Kommunikation dabei stark auf Bewegtbild-Formate. Ich glaube fest an die Kraft der Bilder, darüber lassen sich Emotionen deutlich besser transportieren als über Powerpoint-Charts oder Textwüsten. Wir haben im vergangenen Jahr beispielsweise wöchentlich ein Format „Reform für Vertrauen in 111 Sekunden“ umgesetzt, das der Idee der 100-Sekunden-Tagesschau nahekommt. Sehr kurze Erklärstücke und O-Töne zu aktuellen Themen, dabei immer mit Verweis auf andere Kanäle wie Intranet oder Events. In diesem Jahr setzen wir auf zwei weiterentwickelte Formate, die in Richtung längeres Magazin und moderierter Talk gehen. Beim letzteren stellt sich jemand aus Geschäftsführung oder Präsidium regelmäßig aktuellen Themen, zum Beispiel zu unserer neuen Compliance-Regelung. Was auf der Metaebene passiert, muss erklärbar gemacht werden, das ist die Aufgabe der internen Kommunikation.

Und was hat sich in der Kommunikationsabteilung verändert?

Wir haben uns neu erfunden. Heißt: wir haben gemeinsam unsere Prozessabläufe analysiert und gemerkt, dass diese nicht mehr zu den heutigen Anforderungen passen. Es wartet niemand mehr auf uns, wir müssen uns selbst in Bewegung setzen und unsere Geschichten so erzählen, dass sie relevant sind und auf möglichst vielen Kanälen funktionieren. Deshalb kommen wir heute ausschließlich über die Themen und deklinieren die Kanäle – von klassischer Pressearbeit über Social Media und Bewegtbild bis hin zu interner oder politischer Kommunikation – komplett durch. Heißt nicht, dass die Kollegen auf den einzelnen Themen auch alle Kanäle selbst bespielen müssen; aber jeder hat die Aufgabe, sich Gedanken zu machen, für welchen Kanal sich das Thema wie eignen könnte. Wir sind inzwischen weit weg davon, einfach Pressetexte zu verbreiten und zu hoffen, dass jemand sie aufnimmt. Für viele Themen gibt es einen speziellen Dreh. Bisher hat sich diese Herangehensweise bewährt, aber dieses Jahr ist für uns alle auch ein Lehrjahr.

Ist die Krise vorbei?

Die akute Krise ist vorbei, ja. Aber die Veränderung geht weiter und das ist auch gut so.

 

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