Die Kirche hat ihren Kommunikator verloren

Zum Tod von Karl Kardinal Lehmann

Jede Institution hat ihre Kommunikationswege und Kommunikationsweisen. Auch die Kirche. Dumm nur, dass viele Menschen kirchliche Kommunikation mit Halbwahrheiten und Salamitaktik („Missbrauchsskandal“), mit sprachlichem Krawall (der frühere Kölner Kardinal Meisner) oder vielerorts mit ritualem Singsang oder langweiligen Predigten in Verbindung bringen.

Karl Lehmann war nicht nur Theologe, er war nicht irgendein Bischof und nicht irgendein Seelsorger – er war alles drei gleichermaßen herausragend. Und das hat ihn so einmalig gemacht. Kommunikation und Argumentation seien „für die heutige gesellschaftliche Situation der Kirche unersetzlich“, soll er einmal gesagt haben.

Vermitteln möchte heute niemand mehr

Die Kirche hat viele bedeutende Wissenschaftler und theologische Forscher hervorgebracht. Doch sie taten sich manchmal schwer im persönlichen Kontakt zu ihren Gemeinden, geschweige denn als Seelsorger in wahrlich persönlichen Gesprächen. Die Gemeinde in den Kirchenbänken und die Prediger vorne am Ambo führen nicht selten ein Paralleldasein: ohne echte Kommunikation (Sender-Empfänger-Prinzip), ohne Austausch.

Es gibt auf der anderen Seite viele sehr gute Seelsorger, die mit ihrer Sprache ihre Gemeinden erreichen, die aber schwach sind in der Führung ihrer Institution oder in der Auseinandersetzung – sowohl innerhalb der Kirchenhierarchien als auch innerhalb der Gemeinden.

Der Tod von Karl Lehmann und die Würdigungen seiner Person als „Brückenbauer“ und „sprachliches Schwergewicht“ lassen einmal mehr die Frage aufkommen: Was ist der Kirche eigentlich wichtig? Seelsorger zu sein oder die eigenen theologisch-wissenschaftlichen und kirchenrechtlichen Statuten zu setzen und auf deren Einhaltung und Akzeptanz zu dringen?

Wer sich mit Sprache von Kirche befasst, dem kommt spätestens an dieser Stelle die Rede des damaligen Kardinal Jorge Bergoglio – heute Papst Franziskus – in Erinnerung, in der er vor einer Kirche warnte, die nur um sich selbst kreise. „Binnenreferenzialität“ haben das der katholische Kardinal Marx und sein evangelischer Kollege Heinrich Bedford-Strohm in einem Artikel für die Wochenzeitung Die Zeit genannt. Naja – klares Deutsch wäre auch schön gewesen.

Die Sprache von Karl Lehmann war klar und verständlich. Ihm ging es nicht um Kirche ihrer selbst willen. Es ging ihm immer um die Menschen. In seinem ersten Hirtenbrief als Bischof von Mainz schrieb Lehmann im Jahr 1983 über das Rezept für einen dauerhaften gesellschaftlichen Frieden: „Die Überwindung der eigenen nackten Interessen und das Teilen der Lebenschancen sind der Preis des Friedens.“

35 Jahre später regieren die Trumps, Putins und Konsorten, und vom Überwinden der eigenen Interessen redet derzeit niemand – geschweige denn vom Teilen der Lebenschancen. Ein neuer Egoismus beherrscht die öffentliche Debatte: in der internationalen und nationalen Politik, bei parteiinternen Machtspielchen, beim Sondieren und Koalieren.

Die Kirche braucht neue Lehmanns

In vielen Nachrufen der letzten Tage hieß es, Kardinal Lehmann sei sprachgewaltig gewesen. Ja, das ist gewiss richtig. Er vermochte eine unglaubliche Sprachvielfalt und zugleich Deutlichkeit zu pflegen, seine Beiträge in theologischen Diskussionen – so berichten viele – seien sprachlich auf den Punkt und wissenschaftlich fundiert. Aber: er konnte zugleich eben auch mit Oma Erna, Klein Lieschen und Opa Wilhelm auf der Straße sprechen. „Unsern Karl“ sollen die Mainzer ihren Kardinal genannt haben – einer von ihnen, weil er so sprach, wie sie sprechen, weil er das verstand, was sie ihm sagten. Er verkünde „die frohe Botschaft mit Herzenswärme, nicht mit ideologischem Eifer“, stand in der Laudatio, als er 2005 in Aachen den „Orden wider den tierischen Ernst“ erhielt.

Theologen, die wissenschaftlich auf der Höhe sind, alles andere als verbohrt, die als geweihte Priester liturgische Vollkraft sind, als Bischöfe skandalfrei Bistümer leiten und zugleich als Seelsorger ganz nah bei den Menschen sind – deren Kommunikation all diesen Ansprüchen genügt: solche Personalunionen sind selten. Das ist eines der großen Probleme der Kirche von heute.

Die Kirche braucht dringend Menschen, die nicht nur qua Weihe oder Prüfung in einen Leitungszirkel aufgenommen werden – sie braucht solche, die theologisch fundiert, in der Sache undogmatisch und menschlich verständlich sprechen können, und die zwischen den natürlicherweise vorhandenen Antipoden gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Meinungsspielräume vermitteln.

 

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