„Desinformation ist die neue Realität“

Katharina Nachbar im Interview

Echte Nachrichten von bewussten Falsch- und Desinformationen zu unterscheiden wird schwerer, selbst für Experten. Nicht nur Unternehmen, sondern auch die Gesellschaft steht vor der Frage: Wie umgehen mit Manipulation, Desinformation und Filterblasen? Und welche Verantwortung haben Social Media? Darüber hat pressesprecher mit Katharina Nachbar, Speakerin beim Kommunikationskongress 2019 und Head Of Communication beim Global Public Policy Institute, gesprochen. 

 

Kommunikationskongress 2019 BerlinFalschinformationen hat es schon immer gegeben. Was ist an der Situation heute anders als früher?

Katharina Nachbar: Falschinformationen, Propaganda und Lügen sind natürlich nicht neu. Durch das Internet und Social Media im Speziellen haben sich aber unser Informationskonsum, unsere Kommunikation und damit auch die Schnelligkeit und Art der Verbreitung von Falschinformationen radikal geändert. Gleichzeitig lassen sich bestimmte Zielgruppen über die sozialen Netzwerke heute sehr viel präziser erreichen und ansprechen, als das früher möglich war.

Welche Rolle spielen die sozialen Medien, wenn es um das Verbreiten von Fake News geht, aber auch beim Verbreiten von richtigen Nachrichten?

Zunächst: Es ist wichtig, den Begriff Fake News zu hinterfragen beziehungsweise ihn zu problematisieren. Wir haben ihn als den einen Begriff adaptiert, unter dem wir alles subsumieren, was unter falschen oder gefälschten Inhalten im Netz läuft. Er hat aber mindestens zwei Leben. Zum einen bezeichnet er bewusst fabrizierte Meldungen oder Nachrichten, aber natürlich hat er sich spätestens seit der US-Wahl 2016 auch zu einem politischen Kampfbegriff entwickelt, der denen entgegen geschleudert wird, die eine andere Meinung vertreten. Deshalb versuche ich, ihn zu vermeiden. 

Natürlich ist es so, dass soziale Netzwerke in der Verbreitung von Falschinformationen und Lügen eine ganz entscheidende Rolle spielen. Wir sind heute auf eine Art und Weise vernetzt, die beispiellos ist und haben Zugang zu sehr viel mehr Informationen. Gleichzeitig gibt nicht mehr die Gatekeeper, die wir früher bei den klassischen Medien gesehen haben. Wenn ich möchte, kann ich mir meine Informationsquellen über die sozialen Netzwerke so kuratieren, dass mich nur noch bestimmte Informationen erreichen. Das macht es leicht, in kurzer Zeit, aber mit weitreichenden Folgen, Falschmeldungen, Lügen und manipulierten Content zu verbreiten. Dazu kommt der soziale Aspekt. Ich bin in der Regel mit Leuten verbunden, die zu meinem Freundes- und Bekanntenkreis zählen. Wir haben als Menschen die Tendenz, dem unmittelbaren Umfeld mehr Vertrauen zu schenken als Medien oder anderen Plattformen. Auch das trägt dazu bei, dass sich Falschmeldungen schnell verbreiten.  

Müsste es dann nicht genauso einfach sein, eine Falschmeldung wieder einzufangen?

Studien haben gezeigt, dass sich Falschmeldungen und Lügen in den sozialen Netzwerken schneller und weiter verbreiten als Fakten. Das hat auch damit zu tun, dass wir als Menschen die Tendenz haben, Informationen konsumieren zu wollen, die unserem Weltbild entsprechen. Wir suchen unbewusst oder bewusst die Art von Information, die unsere Meinung bestätigt. Deshalb haben es Fakten relativ schwer, dagegen anzukommen. Der Faktor, der dazu führt, dass sich Falschmeldungen oder Lügen in bestimmten Zirkeln sehr schnell verbreiten, ist auch der, der verhindert, dass Richtigstellungen durchdringen können. Hinzu kommt, dass die sozialen Netzwerke so konzipiert sind, dass Inhalte, die sehr viel Reaktion und Interaktion erzeugen, bevorzugt werden – und das sind eben häufig falsche, verzerrte oder bewusst aus dem Kontext gerissene Inhalte, die uns empören oder Angst machen.   

Fakten sprechen Menschen also weniger an als zu deren Weltbild passende Falschnachrichten. Deshalb dringen sie nicht zu den Menschen durch, die eine Falschmeldung rezipiert haben, die nun richtig gestellt werden soll?

Genau. Es gibt das Phänomen des Bestätigungsfehlers. Wenn wir uns eine Meinung gebildet haben, dann sind wir meist sehr viel schneller dabei, vermeintliche Fakten zu akzeptieren, die diese Meinung untermauern als diejenigen, die unserer Meinung widersprechen. Wenn es aber darum geht, falsche Informationen im Netz und in den sozialen Netzwerken zu korrigieren, führen Kommunikatoren deshalb häufig einen Kampf David gegen Goliath. Hinzu kommt, dass wir es im Netz nicht nur mit realen Personen und organischen Interaktionen zu tun haben, sondern auch mit künstlich generierter Aufmerksamkeit durch Bots oder orchestrierte Kampagnen. Die Reichweiten, die bewusst gestreute Falschinformationen, manipulierte Inhalte und Lügen erhalten, werden auch so gesteigert.

Was können Kommunikatoren tun, wenn sie mit Fakten nicht gegen Lügen ankommen?

Grundsätzlich ist es entscheidend, dass Kommunikatoren ein gutes Verständnis von den Dynamiken im Netz haben. Darüber wie sich Informationen – vor allem Falschinformationen und Desinformation – verbreiten und wie man sich darauf vorbereiten kann. Ich glaube, es gibt nach wie vor die Tendenz, das Thema als Randnotiz zu behandeln. In vielerlei Hinsicht macht die Vorbereitung aber den Unterschied. Es ist wichtig, das zu einem Teil der Kommunikationsarbeit zu machen, vielleicht auch schon konkrete Szenarien durchzuspielen und Strategien zu entwickeln, die einen im Fall des Falles schneller reagieren lassen. 

Was letztlich zu tun ist, wenn man gegen eine Lüge nicht mit Fakten ankommt, hängt sehr stark von der Situation ab. Man sollte sich genau ansehen, was die Art der Falschinformation ist, woher sie kommt, wer sie teilt. Es kann weise sein, bewusst nichts zu tun, um einer Lüge nicht zu noch mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen. Wenn man sich dazu entschließt, zu reagieren, ist es wichtig, strategisch vorzugehen. Da reicht es wahrscheinlich nicht, einfach eine Pressemitteilung zu verschicken und zu hoffen, dass sie durchdringt. Deshalb braucht es eine gute Vorstellung davon, wie die Kanäle funktionieren und wo die Nutzer sind. Jeder, der in diesem Bereich unterwegs ist, muss sich aber auch damit abfinden, dass das die neue Realität ist. Auch deshalb ist es wichtig, das Thema in Kommunikationsabteilungen nicht mehr stiefmütterlich zu behandeln. 

Sich damit abfinden, heißt das auch, sich damit abzufinden, überhaupt nicht dagegen anzukommen?

Teilweise ja. Das Problem betrifft ja nicht nur die Kommunikation als Berufsgruppe, sondern uns alle als Bürgerinnen und Bürger. Und wichtige Stellschrauben liegen dabei außerhalb unserer Kontrolle. Ich kann als einzelner Kommunikator oder einzelne Kommunikatorin nicht unmittelbar kontrollieren, wie Plattformen mit gewissen Inhalten umgehen. Ich kann auch nicht kontrollieren, wie hoch die Medienkompetenz einzelner User ist. Hier findet ein Umbruch statt, über den wir insgesamt als Gesellschaft sprechen müssen. Natürlich ist es wichtig, Lügen nicht einfach so stehen zu lassen – und trotzdem kann es sein, dass man gegen eine Falschinformation nicht effektiv ankommt. Man kann sich als Unternehmen oder Organisation aber langfristig eine Glaubwürdigkeit aufbauen, von der man zehren kann. Durch ehrliche Kommunikation, klare Sprache und Transparenz. Das sind Pfründe, mit denen man in einer Situation, in der man mit Falschinformationen oder sogar Desinformation konfrontiert ist, wuchern kann.

Von welchen Faktoren hängt eine Strategie ab? 

Es gibt sicher mehrere Faktoren und keine Blaupause. Wichtig ist, wie eingangs gesagt, ein Verständnis davon zu haben, wie Informationen sich verbreiten, wie die Dynamiken in den sozialen Netzwerken aussehen. Dann ist das richtige Vorgehen auch von der Art der Falschinformation abhängig. Ist sie direkt gegen die eigene Organisation gerichtet? Oder wird beispielsweise im wissenschaftlichen Bereich eine Studie aus dem Kontext gerissen oder bewusst falsch zitiert? Und dann hängt Erfolg bei der Bekämpfung von Falschinformationen natürlich davon ab, dass man schnell reagiert. Deshalb ist ein gutes Monitoring sinnvoll und man sollte überlegen, andere mit ins Boot zu holen, beispielsweise Mitarbeiter einzubinden, um einer Richtigstellung zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen. 

Welche Ausprägungen von Falschinformationen sind besonders häufig und besonders gefährlich?

Einen großen Teil machen Informationen aus, die falsch, verzerrt oder aus dem Kontext gerissen sind und hohe Reichweiten erzielen, aber von Nutzern nicht notwendigerweise mit dem Hintergedanken geteilt werden, andere zu täuschen, zu verwirren oder zu manipulieren. Als besonders gefährlich sehe ich Desinformationskampagnen an, also gesteuerte Kampagnen, die Zweifel und Misstrauen säen, gewisse Gruppen gegeneinander aufhetzen oder eine Reputation zerstören sollen. Hier kommen zwar oft Bots zum Einsatz, aber organische Reichweiten spielen ebenso eine Rolle. Das Resultat solcher Kampagnen ist ein massiver Vertrauensverlust. Viele Bürgerinnen und Bürger sind verunsichert, welchen Informationsquellen sie noch vertrauen können. 

An welche Desinformationskampagnen denken Sie?

Das Phänomen hat sich nach der Brexit-Kampagne und den US-Wahlen 2016 ins öffentliche Bewusstsein gespielt. Das sind die großen und teilweise öffentlich aufgearbeiteten Beispiele, wie soziale Netzwerke genutzt wurden, um gezielt Misstrauen zu säen und Gruppen gegeneinander auszuspielen, um zu polarisieren. Aber natürlich gibt es auch andere Beispiele, die hierzulande weniger Aufmerksamkeit erhalten haben – beispielsweise in Syrien, wo neben einem realen auch ein Informationskrieg tobt. Und die technologische Entwicklung steht ja nicht still. In Zukunft werden sich Kommunikationsverantwortliche vermehrt mit sogenannten Deep Fakes konfrontiert sehen, also mit Hilfe von künstlicher Intelligenz erzeugte Bilder oder Videos, die zwar täuschend echt aussehen, aber eben nicht echt sind. Wir sehen Video gerne noch als die letzte Instanz an, die verschont geblieben ist vom Manipulationsverdacht. Aber es dauert nicht mehr lange, bis wir uns auch damit auseinandersetzen müssen. 

Wie ist es zu bewerten, wenn PRler Kampagnen starten, die sie auf Lügen aufbauen? Die norwegische Tourismusbehörde hat das getan, indem sie behauptete, auf der Insel Sommarøy werde die Zeit abgeschafft.

Natürlich ist so eine Aktion harmloser als eine orchestrierte Desinformationskampagne, aber trotzdem sehe ich das ziemlich kritisch. Die Versuchung mag groß sein, die Medien- und Aufmerksamkeitsökonomie so für sich zu nutzen – man sollte sich aber klar machen, auf welchen Zug man damit aufspringt. Und natürlich kann man die Frage stellen, ob sich Unternehmen oder Organisationen damit langfristig einen Gefallen tun. Letztlich geht es um Vertrauen. Vertrauen als Währung ist wichtiger denn je. Man muss schon abwägen, ob es sich lohnt mit so einem Stunt kurzfristig Aufmerksamkeit zu generieren und dafür langfristig Vertrauen zu verspielen. Da sehe ich auch Kommunikatoren in der Pflicht, sich ihrer Verantwortung bewusst zu sein. Wenn wir anerkennen, dass der Vertrauensverlust in Medien und Politik groß ist, auch vor dem Hintergrund von Falschinformationen und Desinformationskampagnen, sollte es doch unser Anspruch sein, dass wir Vertrauen wiederherstellen oder erhalten. Und es geht auch anders. 

Bei der Verbreitung von Falschinformation sind auch Plattformbetreiber wie Facebook indirekt beteiligt. Tun diese bereits genug dagegen oder sollten sie mehr tun?

Die großen Plattformen wie Facebook, Google und Twitter haben sich zu lange gegen die Diskussion gesperrt, welche Verantwortung sie als Betreiber haben, wenn es um die Verbreitung von Falschinformationen, Lügen und auch Hassrede geht. Wir haben jetzt eine konstruktivere Debatte darüber, müssen aber noch mehr tun. Natürlich stellen sich da heikle Fragen. Wer soll Content moderieren und wer entscheidet wie darüber, was gelöscht wird? Wie kann verhindert werden, dass sich Lügen, Propaganda und falsche Informationen gegenüber anderen Inhalten durchsetzen? Die großen Plattformen sind da absolut in der Pflicht, können das Problem aber auch nicht alleine lösen. Wenn es beispielsweise um rechtswidrige Inhalte geht, ist auch der Gesetzgeber gefragt. Und nicht jede vermeintliche Lösung hat auch wirklich die gewünschte Wirkung. Facebooks zeitweise Kennzeichnung von Inhalten, die von Fact Checkern als „umstritten“ eingestuft wurden, hatte teilweise sogar einen gegenteiligen Effekt. Da muss also noch mehr passieren.

 

Mit der Frage, was zu tun ist, wenn Fakten ins Leere laufen, wird sich Katharina Nachbar auch auf dem diesjährigen Kommunikationskongress beschäftigen. Der Titel der Veranstaltung ist: „Fakten kommunizieren – in einer postfaktischen Welt?“.