Der unsichtbare Mann im Business

Karriere nach Geschlecht

Frau Seven, Sie beschäftigen sich mit dem unsichtbaren Mann im Geschäftsleben. Haben Sie ein Beispiel für uns?

Karin Seven: Ich erinnere mich an einen Teilnehmer, der auf den ersten Blick wirkte, als sei er seit 15 Jahren arbeitslos, völlig verunsichert, ohne soziales Leben und Zutrauen in seine fachlichen und menschlichen Kompetenzen. Er strahlte eine enorme Inkompetenz über sich selber aus und es war für mich unvorstellbar, wie dieser Mann im Job agiert. Dabei arbeitete er im Verkauf. Seine Firma hatte ihn ins Seminar geschickt. Ich bin im Coaching immer wieder erstaunt, wie unsicher und zum Teil unbeholfen Männer mit wichtigen Posten wirken.

Woran haben Sie den ersten Eindruck festgemacht?

Hauptsächlich an der Körpersprache. Wir alle sind visuelle Wesen und die Haltung eines Menschen ist das erste, was bei uns ankommt. Ich stelle die Teilnehmer in meinen Seminaren gerne zu Beginn einfach mal hin, damit ich sie in ihrer Gesamtheit, Größe und Körperlichkeit sehe und analysiere schnell: Wo sind Blockaden? Wo lässt der los? Was macht der mit seinem Körper? Stehen ist immer wichtig, weil wir ja meistens nicht im Rollstuhl auftreten sondern einen Raum mit unseren eigenen Füßen betreten – auch wenn wir später die meiste Zeit sitzen. Wir kommen immer zunächst aus dem Gehen an und bleiben bei einem Vortrag oder einer Rede auch stehen. Wenn ich in einem Meeting dann die meiste Zeit sitze, habe ich nur noch etwas mehr als die Hälfte meines Körpers als Ausdrucksmöglichkeit meiner selbst.

Haben Sie ein Schema, wonach sie in der Analyse gehen?

Körperspannung ist das erste, im Sinne von Energiezuständen – das ist das A und O. Den Begriff Energie finden zwar viele erst esoterisch, aber Energie hat immer auch eine Richtung, die kommuniziert sich nach außen und ist eine Summe von Vitalkraft, Begeisterung und Selbstvertrauen.

Braucht man das als gute Führungskraft?

Ja, absolut. Viele Menschen wollen und müssen geführt werden und (darin) Vertrauen haben in die Person, die führt. Eine Führungskompetenz spricht man demjenigen zu, der das auch nach außen vermittelt. Dem Kandidaten aus meinem Seminar hätte ich gar keine Führungskompetenz zugetraut – egal, wie schlau der vielleicht ist. Der braucht ja auch Mut, Entscheidungen zu treffen, selbst wenn er Fehler macht. Aber die Kraft und Entschiedenheit kommt aus einer gewissen Haltung sich selbst gegenüber. Und diese Haltung zeigt sich im Körper.

Also war dieser Mann gar nicht unsichtbar.

Stimmt, der fiel durch das Gegenteil auf. Es war sichtbar durch seine Defizite. Sichtbar zu sein, heißt kongruent, authentisch und kraftvoll in seinem Körper zu sein; mit Ausstrahlung zu sein und deswegen sichtbar.

Mitleid möchte man mit einer Führungskraft nicht haben müssen, oder?

Nein. Egal welche Rolle du spielst und wie traurig oder katastrophal alles ist – du darfst niemals Mitleid erregen. Das ist deshalb problematisch, da das Gegenüber automatisch mit dieser Situation überfordert ist und sich meist abwendet.

Warum werden Männer im Berufsleben Ihrer Meinung nach unsichtbar?

Dafür gibt es ein ganzes Konglomerat an Gründen: Die Identifikation des Mannes anhand von Vorbildern wird immer schwieriger. Die Kraft und das „typisch Männliche – Verantwortung zu übernehmen, Entscheidungen zu treffen und ins Physische zu gehen über das Machen – ist in der heutigen Zeit immer mehr im Hintergrund. Die Identifikation des Mannes über Fragen wie „Worüber definiere ich mich?“, „Was will ich?“ oder „Was sind meine Ideale?“ ist momentan für viele sehr unklar.

Bisher waren Männer im Arbeitsumfeld vorwiegend von anderen Männern umgeben, ob als Arbeiter, Angestellter und vor allem in Führungsetagen. Die Männer haben eine eigene Sprache und wissen, wie sie ticken. Kommunikation unter Männern ist eine andere und einfachere als mit Frauen, die schafft Verunsicherung.

Außerdem haben Frauen eine größere und buntere Palette der Kommunikationsmöglichkeiten. Wir haben andere Sprachebenen, einen anderen Humor, andere Werte und Ziele hinter unserer Kommunikation. Da ist die Übersetzung beiderseits nicht einfach.

Was machen Frauen denn heute anders als Männer im Business?

Frauen haben seit etwa 30-40 Jahren mehr und mehr Möglichkeiten, nach vorne zu treten. Sie hatten zwar immer schon die Power dazu. Doch eine geschlechterspezifische Kraft wird nur beim Mann vorausgesetzt, der aufgrund von Status und Herkunft als Archetyp kraftvoll besetzt ist. Die Frau galt immer als das zarte, sensible, weiche Geschlecht. Wir haben uns Jahrtausende lang untergeordnet und im Familienbereich bewegt – das ist ein so geschützter Raum, da sah niemand das kraftvolle Handeln.

Seit den 70er Jahren haben wir mehr Rechte auf Bildung, sind viel sichtbarer an Unis, im Job und in Führungsetagen. Doch das allgemeine Frauenbild ist immer noch überlagert vom traditionellen Setting.

Und wie reagierten die Männer auf die sichtbaren Frauen?

Mit Überraschung, Verunsicherung und Abwehr. Nicht mehr bei der jungen Männergeneration, die wuchs ja inzwischen schon in der neuen Gesinnung auf. Aber ein 50 oder 60 Jahre alter Mann findet es heute schwierig, wenn plötzlich eine 35-jährige Chefin vor ihm steht.

Ist das Phänomen der unsichtbaren Männer also auch eine Frage der Generation?

Ja, vermutlich wird sich das in 20 Jahren wieder anders zeigen.

Inwiefern?

Mein Wunsch ist, dass Männer wieder in ihre Kraft kommen, denn ich wünsche mir starke Männer um mich herum. Ich finde es spannend, sich auf einem Level der Herausforderung zu begegnen, die Einteilung von stark und schwach ist für mich überholt. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern wird es weiter geben, das ist ja nur gut so! Aber beide sollten auf Augenhöhe und im Schulterschluss ihre unterschiedlichen Qualitäten vereinen und gemeinsam nach vorne gehen.

Meine Prophezeiung ist: Das wird noch eine Weile dauern, wir müssen da noch mindestens eine halbe Generation lang durch die Veränderung gehen. Die Männer müssen neu definieren, was sie wollen und wo ihr Platz ist.

Sollten sie das allein herausfinden oder brauchen sie dafür die Frauen als Spiegel?

Beides. Aber alle inneren Prozesse beginnen immer bei sich selbst und in der Wertekonfrontation. Ich muss hineinfühlen in mich, wie geht’s mir damit, was will ich? Ich muss ja erst einmal ein Selbstbild haben und mich selbst erfahren, bevor ich erkennen kann, wie mich das Gegenüber erkennt. Ich brauche ein Momentum, in dem ich mich messen und vergleichen kann. Wenn ich mich nicht kenne und im Nebel hänge, kann ich das niemals erkennen. Alles beginnt bei einem selbst.

In der Kommunikation und der PR sind Frauen inzwischen in der Überzahl, außer in der Führungsetage. Wie lange bleibt das noch so?

Das dauert noch maximal fünf Jahre und wird sich drehen.

In der Kommunikation geht es dauernd um Authentizität. Finden Sie als Schauspielerin, dass man sich als Führungskraft eine bestimmte Haltung antrainieren sollte?

Oh, da will ich erst einmal aufräumen mit einem falschen Bild des Schauspielers in den Köpfen. Ein guter wird sich immer bemühen, einen echten Menschen zu kreieren, und nicht, ihn darzustellen. Schauspiel ist niemals, so zu tun als ob. Ein Schauspieler versucht also, einen echten Menschen zu entwickeln mit allem, was er in sich selbst findet oder recherchieren kann. Dustin Hoffmann hat vor dem Dreh von „Rain Man“ lange in einem Heim für Autisten gelebt und die Bewohner beobachtet. Er hat recherchiert, wie Sie auch vor diesem Interview. Es geht also nicht darum, so zu tun als ob. Sondern um das Finden von.

Daher auch meine Kritik an vielen Unternehmen, der Wirtschaft und Politik: Das Entwickeln und Finden von Etwas braucht Zeit. Imitieren und Drüberstülpen geht natürlich schneller, aber das ist nicht nachhaltig und die falsche Haltung, weil wir immer den Menschen außen vor lassen. Schließlich muss der das in sich finden und füllen. Ohne Füllung ist das Gefäß leer oder die Fassade bröckelt. Authentizität entsteht immer nur im Einklang mit dem, was ich bin und will.

Bevor der Mann also in Interaktion mit „der neuen Frau“ geht, braucht er erst einmal eine Selbstverortung?

Richtig. Es gilt für ihn, den Status Quo zu erkennen: Wie geht es mir mit diesen ganzen Frauen um mich herum? Und warum geht es mir so? So viele Männer sind schon super in dieser Art der Introspektion. Aber die andere Hälfte antwortet auf die Frage „Was fühlst Du?“ mit „Darüber muss ich erstmal nachdenken.“ Für sie gibt es keinen Unterschied zwischen Denken und Fühlen. Dabei müssen sie hin fühlen, weil sie die Antwort auf diese Fragen nicht im Hirn finden werden. Sie haben diese tiefere Ebene zwar in sich – nur eben nicht den Zugang dafür.

Brauchen wir bald eine Männerquote?

(Lacht) Ich finde, wir richten mit der Frauenquote und dem Gendern, den Millionen Euros für Ampelfrauen und Bücher mit Innen-Form die Aufmerksamkeit in die falschen Richtungen. Vermutlich brauchen wir die Frauenquote deshalb, weil Männer lieber Männer einstellen und den Frauen weniger zutrauen. Aber vielleicht brauchen Männer unsere Unterstützung darin, ihre ganzkörperlichen Qualitäten wieder in Erfahrung zu bringen. Frauen wollen Männer nicht verdrängen. Ihnen ist aber wichtig, dass die wieder in ihre Kraft gehen.

 

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