Der Pressesprecher, mein Psychiater?

Kolumne

Ich wurde vor Kurzem gefragt, ob ich einen Fachbeitrag zur Frage beisteuern könne, was die wichtigsten PR-Baustellen des Jahres seien. Ich musste nachdenken. Bei Baustellen denke ich an die momentane Lage bei der Bundesregierung, an die Deutsche Bahn und ihren Versuch, bei Rastatt einen Schienenstrang zu untertunneln, an den noch immer nicht eröffneten neuen Berliner Großflughafen, an das Bahn-Projekt Stuttgart 21 oder an den Versuch, in Bonn eine Beethovenhalle oder eine Oper zu sanieren (was ähnlich desaströs ist wie die Sache mit der Bahn und dem Flughafen).

Wenn das der Maßstab ist, was sind dann PR-Baustellen? Dinge, die nie fertig werden? Die nie besser werden, obwohl wir seit Jahren daran arbeiten?

Ich habe meine Seminarteilnehmer gefragt. Was sind wohl die größten PR-Baustellen des Jahres 2018? – Es war sofort klar: Die Abstimmung und Freigabe von Texten!

Noch immer.

Obwohl alle wissen, dass wir a) Texte empfängerorientiert schreiben, b) Pressemitteilungen das Interesse der Redakteure und nicht das Ego der Absender befriedigen sollen, c) Reden für Botschaften an Zuhörer gedacht sind und nicht nur für das Rampenlichtfeeling der Redner – obwohl wir das wissen und seit Jahren in unseren Seminaren vermitteln, wird die Textabstimmung immer wieder zur Dauerbaustelle. Pressesprecher und PR-Mitarbeiter versuchen zu vermitteln, was für den Empfänger wichtig ist. Doch Auftraggeber und Chefs – häufiger vielleicht sogar noch übernatürlich selbstbewusste Zwischeninstanzen im Hierarchiegewebe – entscheiden oft anders.

Man muss beide Seiten happy machen

Eine meiner Seminarteilnehmerinnen drückte es so aus: „Man muss beide Seiten happy machen“ – die Auftraggeber oder das eigene Unternehmen auf der einen, die Medien auf der anderen Seite. Sie selbst verstehe ihre Arbeit als die einer Mediatorin und sich selbst als „Psychiaterin für Chefs und Journalisten“. Sich als PR-Schaffender hinter der Couch wiederzufinden, so weit ist es bei vielen hoffentlich noch nicht gekommen. Aber das Bild hat was.

Chef oder Chefin möchten ihre Sicht der Dinge und ihren Wortlaut wiederfinden (auch wenn ihn kein anderer versteht). Der Journalist auf der anderen Seite verlangt nach thematischen Streicheleinheiten, die ihm dabei helfen, Leserinteressen zu bedienen und Auflagenzahlen zu halten. Beide Dinge übereinzubringen und beiderlei Bedürfnisse zu befriedigen – noch dazu effizient, effektiv und eloquent –, das ist in der Tat nicht zu verachten. Die PR-Baustelle des Jahres. Dagegen ist der Berliner Flughafen ein Klacks.

Der Chef ist für das Was zuständig, der Sprecher für das Wie

Obwohl: Der Flughafen wird ohnehin nie fertig – zumindest nicht so, wie er geplant war. Bei der PR sollten wir die Hoffnung nicht aufgeben. Es gibt eine Reihe guter Beispiele für gelungene PR: inhaltlich informativ, sprachlich verständlich und zügig  in der Abstimmung. Das Rezept ist einfach.

Allem voran steht ein sinnvolles und korrektes Briefing (Status quo, Ziele definieren, Fragen stellen und so weiter). Die inhaltliche Kompetenz (das Was) liegt beim Kunden, Auftraggeber oder Chef, die journalistisch-sprachliche (das Wie) beim Pressesprecher oder PR-Berater. Dann wird sondiert. Wir kennen das aus der Politik und wissen seit dem Ende der Jamaika-Träume: Man fasse sich kurz, stelle fest, wo auf der einen oder anderen Seite der Schuh drückt, spreche dies offen an und finde rasch eine Lösung, die die oben skizzierten Kompetenzen auf beiden Seiten (!) anerkennt.

So schwer ist das nicht, dass man jahrelang daran herumbauen muss.

Weitere Artikel