„Der Mensch ist kein Homo oeconomicus“

Peter Walschburger ist Professor für Psychologie mit dem Schwerpunkt Biopsychologie an der Freien Universität Berlin.

pressesprecher: Man hat das Gefühl, es wird nur über Geld geredet. Was bedeutet Geld?

Walschburger: Geld ist in unserer Gesellschaft mit Geltung verknüpft, hat aber auch mit dem Wertbegriff zu tun. In der Antike war der Wert des Geldes eng auf das konkrete Gut bezogen, das damit erworben werden konnte. In unserer Zeit herrscht ein davon abgelöster, abstrakterer Wertbegriff vor: Jemand, der Geld hat, gilt meistens auch etwas und erntet dafür den „Applaus der Gesellschaft“. Geld ist quasi die Währung für eine bestimmte Leistung, die jemand erbracht hat. Man nimmt an, wer viel Geld hat, der hat auch viel geleistet. Allerdings spiegeln die Einkommensunterschiede nicht immer die Leistungsunterschiede zwischen den Menschen wider. Man denke nur an hoch bezahlte Manager, an prominente Künstler oder Spitzensportler. In einzelnen Berufen klaffen die erbrachte Leistung und der Geldwert extrem auseinander.

Hat also Peer Steinbrück, der durch seine Vorträge viel Geld verdient hat, ein besonders hohes Geltungsbedürfnis?

Das hat Herr Steinbrück mit Sicherheit. Wobei dies per se nichts Negatives darstellt. Es geht dabei nicht nur um Eitelkeit. Bei einigen ist das Bedürfnis nach Geltung mehr, bei anderen weniger ausgeprägt. Schließlich benötigen wir alle die Anerkennung unserer Sozialpartner. Wir möchten wahrgenommen und gewürdigt werden. Das Recht auf Würde ist deshalb auch im Grundgesetz verankert: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Den Menschen, die kein Geld haben, fehlen meist das Ansehen, die Anerkennung der anderen, die gesellschaftlichen Kontakte. Sie laufen quasi wie Schatten durch die Welt. Das verursacht bei den Betroffenen massiven Stress und einen Selbstwertverlust, weil sie glauben, nicht akzeptiert und nicht gebraucht zu werden.

Welche Rolle spielt Geld in unserer Gesellschaft?

Geld mag einen großen Platz einnehmen in unserer Welt, aber der Mensch ist kein Homo oeconomicus, sondern ein soziales Wesen – das darf man nicht vergessen. Glück und Zufriedenheit finden wir erwiesenermaßen eher in liebe- und vertrauensvollen Beziehungen zu unseren Mitmenschen. Glücklich macht ein „entschleunigter“ Lebensrhythmus, der einem erlaubt, sich nach getaner Arbeit auszuruhen, auf sein Tagwerk zurückzublicken und soziale Beziehungen zu pflegen. Der Mensch ist ein extrem sozial veranlagtes Wesen. Das Erste, was der Mensch braucht, wenn er auf die Welt kommt, ist eine Sicherheit spendende soziale Bindung. Erst im Laufe einer beschützten Kindheit wachsen die Unternehmungslust, die Risikobereitschaft und der Wunsch, aus der Sicherheit des Elternhauses auszubrechen. Das Ganze wird geleitet von einem wachsenden Bedürfnis nach autonomer Entfaltung, nach Freiheit, das mit dem Geltungsbedürfnis eng verbunden ist.

Aber nur von sozialen Beziehungen, Luft und Liebe kann ja auch keiner leben.

Natürlich nicht. Das ist alles eine Frage der Balance. Die Freiheit ist der höchste aller Werte. Freiheit lässt sich heutzutage ausdrücken in Zeit oder in Geld. Habe ich aber nur noch die Geldvermehrung im Blick, gerate ich schnell in ein Hamsterrad, habe weniger Zeit zur freien Verfügung. Damit schwinden Glück und Zufriedenheit. Die Dreiecksbeziehung – Geld, Zeit, Freiheit – muss ausgeglichen sein, um insgesamt zufrieden zu sein.

Also stimmt der Spruch „Geld allein macht nicht glücklich“.

Ja. Ein Beispiel: Sie kaufen sich ein neues, teures Auto, sind zunächst superglücklich mit Ihrer Anschaffung. Aber nach einiger Zeit haben Sie sich an das neue Gefährt gewöhnt. Außerdem fahren jetzt vielleicht viele andere Leute das gleiche Auto. Das Besondere ist weg. Ihr Glücksempfinden ist nach einiger Zeit längst nicht mehr so hoch wie am Anfang. Selbst im günstigsten Fall sind Sie höchstens noch zufrieden mit dem Wagen. Ein anderes Beispiel: Sie bekommen eine saftige Gehaltserhöhung. Dafür müssen Sie aber akzeptieren, jeden Tag eine halbe Stunde länger zur Arbeit zu fahren. In den ersten paar Tagen freuen Sie sich über das Geld, das Sie jetzt mehr verdienen, Sie sind stolz und glücklich. Nach einigen Wochen sind Sie aber nur noch genervt, weil Sie sich jeden Tag durch den Stadtverkehr quälen müssen, im Stau stehen und weniger Zeit haben. Das anfängliche Glücksgefühl über die Gehaltserhöhung ist da schon längst verflogen. Sie erleben nur noch das Negative – die verlorene Freizeit und die Belastung.

Aber eine gewisse Zufriedenheit stellt sich doch schon ein, wenn man viel Geld verdient.

Für die meisten lohnt es sich nicht, ein intaktes Sozialleben aufzugeben, in der Fremde zu arbeiten, weit weg von zuhause, nur um mehr Geld zu verdienen. Damit werden wir nicht glücklich, sondern oft geradezu unglücklich. Ein intaktes soziales Leben können Sie mit allem Geld der Welt nicht wettmachen. Viel Geld zu haben, aber kaum Zeit, macht höchstens insoweit zufrieden, wie man dann Macht ausüben und auf diese Weise versuchen kann, eine Welt zu schaffen, die sich den eigenen Vorstellungen und Wünschen fügt. Mit Geld werden Sie aber nicht die Liebe der Mitmenschen erwerben, höchstens ihre Ehrfurcht und Achtung.

Mehr Geld heißt also nicht immer mehr Lebensqualität?

Die Lebensqualität wurde lange Zeit mit dem Bruttosozial- oder Bruttoinlandsprodukt identifiziert. Eine Gesellschaft hat höhere Chancen auf Lebensqualität, wenn sie mehr erwirtschaftet – so die klassische ökonomische Sicht. Umfragen unter verschiedenen Völkern belegen aber, dass dies nicht stimmt: Die Menschen der mediterranen Länder haben ein geringeres Bruttoinlandsprodukt, fühlen sich aber – wenn man von aktuellen Krisenherden absieht – glücklicher als die Deutschen. Wir Deutschen funktionieren zwar besonders gut und erwirtschaften ein hohes Bruttoinlandsprodukt, aber die Glücklichsten sind wir nicht. Oder fragen Sie mal einen Lottogewinner, ob ihn sein Geldsegen nachhaltig glücklich gemacht hat. Für viele gilt das nicht, sie sind schnell wieder pleite.

Können Sie das näher erklären? Ist doch toll, wenn jemand, der wenig Geld hat, den Jackpot knackt.

Sicher, aber wenn ein armer Schlucker von jetzt auf gleich ein paar Millionen Euro gewinnt, ist er überhaupt nicht vorbereitet darauf, dieses Geld richtig zu verwalten. Er freut sich mit Sicherheit, erzählt es überall herum, dann kommen die Freunde und feiern ihn. Er denkt natürlich, er muss denen jetzt etwas abgeben. Dabei verpasst er leicht die Möglichkeit, sein Geld nachhaltig zu verwalten, und hat nach zwei Jahren womöglich ausgewirtschaftet, ist also wieder arm. Lottogewinnern werden genau aus diesen Gründen Berater zur Seite gestellt. Natürlich freut man sich im ersten Moment über den Gewinn. Aber man darf nicht vergessen, dass man sich auf jeder Stufe seines Vermögens mit denjenigen vergleicht, die ähnlich vermögend sind. Das heißt, der Lottogewinner blickt plötzlich nicht mehr in sein altes Umfeld, sondern vergleicht sich eher mit anderen Millionären. Der Mensch passt sich schnell an neue Bezugssysteme an. In dieser neuen Vergleichsgruppe aber ist der Lottomillionär nichts Besonderes, und das Gefühl von Glück ist schnell verflogen.

Welches Volk ist denn das glücklichste?

Ethnologen beschreiben vor allem arme Völker als besonders glücklich; Völker, die heute noch so leben, wie es den „natürlichen Lebensformen“ nahekommt: etwa die letzten noch unberührten Indianervölker Brasiliens, die fernab der Zivilisation als Jäger und Sammler in einer einfachen Sozialordnung, relativ frei von den Sorgen um die Zukunft und von den Belastungen der Geschichte im „Hier und Jetzt“ zusammenleben. Als besonders glücklich beschreiben sich auch die Menschen in dem armen, buddhistisch geprägten, asiatischen Königreich Bhutan. Hier ist das „Bruttosozialglück“ statt des Bruttoinlandsprodukts und des reinen Wirtschaftswachstums als wichtiges Ziel der Wirtschaftspolitik von Staats wegen formuliert. Auch für die europäischen Völker wird das Glück der Bürger ein zunehmend wichtiger Faktor neben dem Bruttoinlandsprodukt.

Wer ist in Europa am glücklichsten?

Hier zeigten aktuelle Umfragen zu Glück und Zufriedenheit – wie diejenigen im Rahmen des Sozio-ökonomischen Panels des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung –, dass die Dänen an der Spitze lagen. Die Deutschen waren nur im Mittelfeld oder in der unteren Hälfte zu finden. Inzwischen wurde in Deutschland aber eine Enquetekommission zum Thema „Lebensqualität“ eingerichtet.

Haben die Deutschen eine besondere Beziehung zum Geld?

1923 und 1948 gab es bei uns jeweils eine katastrophale Wirtschaftskrise; fast alles Geld war verloren. Daher rührt die spezifische deutsche Angst vor Inflation. Die Amerikaner spüren diese Inflationsangst kaum. Zu den „Sekundärtugenden“ der Deutschen gehört auch, dass sie einen sparsamen Lebensstil eher schätzen als etwa die mediterranen Völker. Der Umgang mit Geld ist sehr stark von kollektiven Erfahrungen und Lebensstilen der einzelnen Völker geprägt.

Glauben Sie, dass sich diese Werte – Freiheit, Geld, Zeit – verschieben werden?

Die haben sich schon verschoben. Sehr knapp und allgemein formuliert, haben sowohl unsere Freiheit als auch unser verfügbares Geld und die verfügbare Zeit zugenommen. Dazu passend erleben wir eine massive Ökonomisierung unserer gesamten Lebens- und Wertewelt. Es nimmt die Tendenz zu, alles über das Geldmaß zu beurteilen: „Geld regiert die Welt.“ Alles in Geld umzurechnen hat sicher Vorteile, weil Geld einfach und universell einsetzbar ist. Die Nachteile der Abkopplung des Tauschmittels Geld von Gütern und Dienstleistungen erleben wir dramatisch in den aktuellen Finanz- und Verschuldungskrisen. Oder den enormen Bonitätszahlungen für Manager der Geldwirtschaft und in den kaum kontrollierbaren Dynamismen einer globalen Finanzwirtschaft.

Sie sagen: „Geld regiert die Welt.“ Warum fällt es trotzdem so schwer, über Geld zu sprechen, wenn wir zum Beispiel unser Gehalt aushandeln?

Es wird zwar viel über allgemeine Normen, Standards und Vorstellungen zur Verteilungs- und Leistungsgerechtigkeit diskutiert, aber im konkreten Fall wissen oder ahnen die Verhandlungspartner – also zum Beispiel ein Arbeitnehmer und ein Arbeitgeber –, dass sie unterschiedliche Interessen und Ziele verfolgen, unterschiedliche Vergleiche vornehmen. Und dass viele weitere unterschiedliche Bedingungen für die Beurteilung des Geldwertes einer persönlichen Leistung eine Rolle spielen. Es ist aber durchaus lohnenswert, sich über die eigenen Vorstellungen Klarheit zu verschaffen und sie freundlich und bestimmt in eine Gehaltsverhandlung einzubringen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Geld. Das Heft können Sie hier bestellen.

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