In der Krise souverän reagieren

Krisenkommunikation im Tourismus

Im April 2017 wurde noch kurz vor dem Abflug ein Passagier aus einer Maschine der Fluglinie United Airlines geworfen – wegen Überbuchung. Der Mann wehrte sich. Das Sicherheitsteam ging recht ruppig vor. Ein Video des Vorfalls kursierte im Netz. Der Mann trug Medienberichten zufolge eine Gehirner­schütterung und eine gebrochene Nase davon. Er ver­lor zwei Schneidezähne. Für die Airline war der Vor­fall ein PR-Desaster. Die Empörung in den Sozialen Netzwerken schlug hohe Wellen; Medien sprangen auf. Krisenkommunikation war gefragt.

Der Chef der Fluglinie bekundete zwar anschlie­ßend öffentlich sein Bedauern, nachdem er Aufnah­men des Vorfalls gesehen hatte. United Airlines gelobte Besserung. Der Imageschaden war dennoch da. Die negative Stimmung der Fluggesellschaft gegenüber ließ sich nicht einfangen.

Dieser Fall illustriert, wie Soziale Medien in der Krisenkommunikation das Tempo vorgeben und als Beschleuniger wirken. Dass die Komponente Zeit eine deutlich wichtigere Rolle als früher spielt – darin sind sich PR- und Kommunikationsfach­leute einig. Airlines, Bahnbetreiber und Urlaubsan­bieter sind besonders anfällig für Krisenszenarien. Neben Unfällen bedeuten auch Flugausfälle, Wald­brände, Epidemien und Streiks ein Reputationsrisiko. Hausgemachte Probleme wie schlechter Service, unfreundliche Mitarbeiter und Qualitätsmängel greifen Medien und Online-User besonders gern zu Urlaubszeiten auf.

Wie damit umgehen? Wie sich vorbereiten? Die erste Stunde nach Ausbruch einer Krise gilt mit Abstand als die kritischste, schreiben die Tourismusexperten Dr. Markus Pillmayer und Professor Nicolai Scherle in ihrem Beitrag „Krisen und Krisenmanagement im Tourismus – Eine konzeptionelle Einführung“ im Sammelband „Krisenkommunikation in Tourismusorganisationen“ von Silke Hahn und Zeljka Neuss. 60 Minuten? Ein kurzer Zeitraum, in dem schnelles Handeln und Entscheiden gefragt ist. Ein Foto geht in Sekunden um die Welt; ein Tweet ist schnell abgesetzt.

Die Macht der Bilder

Darauf gelte es zu reagieren und sich vorzubereiten, erklärt Johannes Winter, Head of Communicati­ons bei Thomas Cook Group Airlines. „In der Presse­stelle muss man mit einem bereits vorhandenen Bild argumentieren. Und wenn starke Bilder im Umlauf sind und die Pressestelle nichts dazu sagt, passt das nicht zusammen.“ Er hält es für eine Ausnahme, dass ein Unternehmen als Erstes die Medien über einen Vorfall informiere. Das Posting eines Mitreisenden, der direkt in das Geschehen involviert war, sei meist schneller im Umlauf.

Björn-Christian Hasse von der Agentur Bur­son Cohn & Wolfe (BCW) hält den Faktor Zeit in der Krisenkommunikation zwar für sehr wichtig. Doch noch wichtiger sei es, faktisch korrekt zu kommuni­zieren, Empathie zum Ausdruck zu bringen und den Blick auf die Lösung des Falls zu richten: Was wird getan, um die Krise zu entschärfen? Was wird getan, damit sie sich nicht wiederholt? Wie schnell man als Unternehmen im Krisenfall über die Medien kommu­niziere, müsse individuell entschieden werden. Die Faktenlage, der Druck der Öffentlichkeit und auch die Schwere und Komplexität einer Krisensituation gelten als wichtige Einflussfaktoren.

Dabei ist die Presse Hasse zufolge nur eine von mehreren Stakeholder-Gruppen, die in der Krise angesprochen werden müssten: Kunden, Angehörige, Politik und Dienstleister seien ebenfalls zu berück­sichtigen. „Oft vernachlässigt, aber mindestens genauso wichtig ist es, die eigenen Mitarbeiter pro­aktiv, direkt und vorab zu informieren“, betont Hasse.

Das stellt Kommunikationsverantwortliche in einer Krise vor einige Schwierigkeiten. „Je länger man wartet, desto eher findet eine Krisenlage ihre eigene Wahrheit“, sagt Thomas-Cook-Sprecher Win­ter. Bedeutet: Gerüchte und Halbwahrheiten tauchen in Sozialen Netzwerken auf. Manchmal Fake News.

Für die Reaktion eines Unternehmens sei es in einer Krise entscheidend, ob man mit Gegenwehr mehr Öffentlichkeit verursache und unter Umstän­den stärker auf ein Thema hinweise als ohne eine Reaktion, sagt Winter. „Ich wende lieber eine posi­tive Strategie an, um meine Botschaften in die Öffentlichkeit zu bringen, als falsche Botschaften zu verhindern. Aber es gibt Tatsachen, bei denen man eintreten muss.“

Social Media: Viel Reichweite in kurzer Zeit

Martin Leutke, Head of Media Relations und Digi­tal Communication bei der Lufthansa, sieht in der „Real Time“-Berichterstattung über Social Media eine Chance für die Unternehmenskommunika­tion. „Auch wir können mit unseren Informationen sehr schnell sehr viele Menschen weltweit errei­chen.“ Björn Hasse nennt einen weiteren Vorzug der Sozialen Netzwerke: „Unter den eigenen Social-Media-Followern sind in der Regel viele, die die eigenen Botschaften gerne teilen und somit direkt weiterverbreiten.“

Die Krisenintervention der Lufthansa nach dem Absturz einer Germanwings-Maschine im März 2015 mit 150 Toten gilt als Best Practice für eine adäquate Krisenkommunikation. Germanwings und Lufthansa setzten ihre Firmenlogos umgehend in Trauerfarben. Krisen-Hotlines wurden geschaltet. Es gab Presse­konferenzen mit dem Vorstandschef. Die Lufthansa zeigte sich zügig sprechfähig. Mutmaßungen hin­sichtlich Motiv und Ablauf gab es auch in dem Fall.

Wie reagiert man bei Lufthansa auf Gerüchte oder irreführende Neuigkeiten und Berichte? Indem man selbst keine Gerüchte anheizt, sondern fakten­orientierte Kommunikation betreibt, meint Leutke. Dabei gilt: „Dort, wo man Gerüchte widerlegen kann, sollte man es tun. Es ist aber unrealistisch zu glau­ben, dass in dieser schnelllebigen, manchmal auch hysterischen Welt Medien, Blogger oder Kommenta­toren nicht spekulieren.“ Der Druck in den Redakti­onen, umgehend Meldungen zu produzieren, Hintergründe und Erklärungen zu liefern, ist groß. „Wir als Unternehmenskommunikation können nach mei­ner Überzeugung darauf nur mit großer Sachlichkeit reagieren.“

Mit den richtigen Strukturen und Trainings spare man im Krisenfall Zeit, sagt Markus Schlichen­maier, Executive Director und Experte für Risiko-und Krisenkommunikation bei der auf Tourismus spezialisierten Agentur Wilde & Partner. Die Agen­tur unterhält eine 24-Stunden-Rufbereitschaft für ihre Kunden, zu denen Airlines, Reiseveranstalter, Busunternehmen, Destinationen und Hotelbetreiber gehören. Ob ein Busunfall eines mittelständischen Fahrunternehmers, bei dem ein Mädchen ums Leben kam, oder der Absturz der Germanwings-Maschine – bei derartigen Ereignissen kommt die Agentur zum Einsatz. Auch Burson-Marsteller, inzwischen Teil von BCW, unterstützte im Germanwings-Fall.

Unklare Faktenlage

„Die Öffentlichkeit und die Medien entscheiden oft, was als Krise wahrgenommen wird – und was nicht“, erklärt Schlichenmaier. „In einer Krise haben Sie nie ausreichend Zeit. In den ersten Stunden herrschen hoher Zeitdruck und oft noch eine unklare Fakten­lage. Wir dürfen aber auch die Kommunikationshoheit nicht verlieren. Daher ist die richtige Kom­munikation entscheidend.“

Bei Unternehmen und auf Krisenkommunika­tion spezialisierten Agenturen existieren deshalb Prozesse und Sofortmaßnahmen für Krisen, die häu­fig in „Manuals“ definiert sind. Zu Details halten sich Unternehmen und Agenturen bedeckt.

Schlichenmaier erläutert die Strategie seiner Agentur deshalb allgemein: Ist die Alarmierung über einen Vorfall erfolgt, setze sich das interne Krisenteam zusammen. Dieses bereite ein reaktives Erst­statement vor und im Anschluss eine proaktive Pressemitteilung. Dann werden Kernpositionen wie Medienmonitoring, Pressehotline und gegebenen­falls Texter besetzt und Social-Media-Updates gepos­tet. Die Mitarbeiter der Hotline werden gebrieft. Ein kontinuierlicher Austausch mit den Pressestellen anderer involvierter Stakeholder sowie regelmäßige interne Updates finden ebenfalls statt. Nach einer Stunde sollten eine Eilmeldung und eine erste Pres­semitteilung veröffentlicht werden. Bei großen Kri­sen könne eine persönliche Stellungnahme des CEOs oder Geschäftsführers per Video nach zwei bis drei Stunden geboten sein; eine Pressekonferenz nach vier bis acht Stunden.

Wichtig sei das „One-Voice-Prinzip“: Alle Beteiligten verwenden einheitliche Sprachregelungen. Konsistente Botschaften müssten von einem Unter­nehmen ausgehen.

 

 

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe ZEIT. Das Heft können Sie hier bestellen.

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