"Das Darknet hat ein Imageproblem"

Die Chancen der Technologie

Drogen, Kinderpornographie, Menschenhandel: Beim Darknet denken die meisten Menschen sofort an den dunklen Sumpf der Cyberkriminalität. Dass die Technologie aber auch Gutes mit sich bringt, wissen die wenigsten. Stefan Mey, Darknet-Experte und Buchautor, erklärt im Interview mit pressesprecher, welche Chancen die Kommunikationstechnologie bietet. 


Warum ist das Darknet mehr als nur ein Ort für Kriminelle?

Stefan Mey: Das Darknet ist ein Gegenmodell zum sonstigen Internet. Das Problem des Internets ist, dass sämtliche Kommunikation ziemlich leicht zu überwachen ist, weil die Überwachbarkeit Teil der DNA der Technologie ist. Die Daten der halben westlichen Welt landen in den Datenbanken von fünf großen Unternehmen – Google, Apple, Amazon, Facebook, Microsoft. Die haben in ganz vielen wichtigen Bereichen der digitalen Welt ein Oligopol. Das bedeutet, dass Dinge wie Menschenrechte, Privatsphäre, der Schutz von Minderheitenrechten stark gefährdet sind, weil man völlig transparent wird. Das Darknet ist ein Gegenmodell dazu. Überwachung ist nicht unmöglich, aber sehr viel schwieriger.

Wie funktioniert das?

Das Darknet basiert auf der Anonymisierungstechnologie Tor. Tor verschleiert IP-Adressen. Es gibt ein Netzwerk von mehreren Tausend Knoten, die von Ehrenamtlichen betrieben werden. Verwende ich Tor, wird mein Datenverkehr über drei dieser Knoten geleitet. Das bedeutet, dass mein Internetanbieter nicht mehr sieht, welche Webseite ich aufrufe, die Webseite meine IP-Adresse nicht mehr sieht und dass alle, die zwischendurch auf diese Kommunikation schauen, auch nicht schlau werden, wer da was macht.

Es gibt einen Browser auf Basis von Tor. Mit dem kann ich anonym im normalen Internet surfen oder ins Darknet gehen. Dann gibt es das Darknet auf Basis von Tor. Beim Tor-Browser bin ich als Nutzer anonym. Im Darknet wird auch die IP-Adresse von Webseiten verschleiert, so dass man nicht weiß, wo die technisch liegen.

Welche Medien nutzen das in Deutschland bisher?

Die TAZ hat schon vor einigen Jahren eine Art alternative Zugangstür ins Darknet gestellt. Die gesamten Inhalte der TAZ lassen sich unter einer Darknet-Adresse abrufen. Dann hat die TAZ noch ein türkischsprachiges Exilmedium im Darknet. Solche alternativen Darknet-Adressen haben ein paar größere Medien, zum Beispiel die New York Times. Facebook hat einen parallelen Darknet-Auftritt, die CIA auch seit einer Weile. Das hat verschiedene Gründe.

Welche sind das?

Man zwingt die Nutzer dazu, den Tor-Browser zu nutzen und sich so zu schützen. Oft ist es auch der Versuch, sich als Avantgarde darzustellen, wie bei Facebook. Das ist das eine Modell.

Linke IT-Kollektive haben parallele Darknet-Auftritte, zum Beispiel Riseup und Systemly. Die stellen Kommunikationswerkzeuge für Menschenrechtsaktivisten bereit. Indymedia ist eine globale linke Medienplattform. Da haben einige Regionalausgaben auch einen Darknet-Auftritt. Der Sinn dahinter ist, dass man die Leute dazu bewegt, den Tor-Browser zu nutzen, damit sie schwerer überwacht und damit ihre Nutzung nicht protokolliert werden kann.

Neben diesen Darknet-Geheimtüren ins normale Internet, wo die kompletten Inhalte verfügbar sind, haben einige Medien noch eine ganz bestimmte Funktion ins Darknet gestellt, nämlich ein Postfach für Whistleblower. Das macht die New York Times, die Washington Post, AP, Bloomberg, The Guardian, Vice und in Deutschland machen es die Süddeutsche, die TAZ, der IT-Verlag Heise und der Sportjournalist Hajo Seppel mit SportsLeaks.

Facebook ist als Datenkrake bekannt und nicht als Datenschützer. Wieso hat das Unternehmen dann einen Darknet-Auftritt?

Deren Begründung war, mit dem alternativen Darknet-Auftritt auf Leute in repressiven Ländern zuzugehen, die Facebook sowieso mit Tor verwenden müssen, weil es dort zensiert ist. Mit eigener Darknet-Adresse geht das etwas eleganter und schneller. Ist eine Seite auch im Darknet, bewegt sich die ganze Kommunikation im Tornetzwerk, man muss also nicht erst ins normale Internet. Das schont die Ressourcen den Tornetzwerks.

Ein bisschen war das aber auch Arbeit am Image. Das hat tatsächlich funktioniert. Viele IT-Aktivisten verachten Facebook. Es gilt nicht unbedingt als Verfechter von Privatsphäre und Datenschutz, eher im Gegenteil. Dieser Move hat dazu geführt, dass sie Facebook etwas Respekt entgegenbringen mussten. Denn es war der erste größere Akteur überhaupt, der sich so eine Darknet-Adresse eingerichtet hat.

Inwiefern schützt ein Darknet-Postfach Whistleblower?

Wenn das Postfach im Darknet steht, müssen die Whistleblower den Tor-Browser nutzen, das heißt, sie werden zu ihrem Anonymisierungsglück gezwungen. Damit genießt er ein hohes Anonymitäts- und IT-Sicherheitsniveau, ohne dass er vielleicht weiß, was er da macht und was es vielleicht bringt. Die Medien können also ihrer Verantwortung gegenüber dem Whistleblower nachkommen.

Edward Snowden ist ein Computergenie. Der wusste ganz genau, wie er sich schützen konnte. Vielleicht ist der Whistleblower aber nicht Edward Snowden, sondern ein 63-jähriger Familienvater, der in einem Bundesministerium arbeitet und das Gefühl hat, er muss etwas an die Öffentlichkeit bringen. Eventuell hat er keine Ahnung, wie leicht er sich enttarnen kann, sich um seinen Job oder sogar ins Gefängnis bringt, wenn er mit normaler Internettechnologie  Dokumente an Medien bringt.

Welche Rolle spielt das Darknet in autokratischen Staaten im Vergleich zu westlichen Demokratien?

Da muss man unterscheiden zwischen dem Darknet, dem Ort, den versteckten Webseiten, die sich alle unter der Endung .onion befinden, und dem Tor-Browser. Dieser Browser wird tatsächlich in autoritären Ländern mit Internetzensur eingesetzt, um das normale Internet anonym und zensurfrei zu nutzen. Verwende ich ihn, weiß mein Internetanbieter nicht, welche Webseite ich aufrufe. Er kann das auch nicht verhindern. Das funktioniert leider nicht in allen Ländern, in China beispielsweise nur  mit sehr vielen Tricks, in anderen dafür aber recht gut. Und in diesen Ländern wird der Tor-Browser tatsächlich stark verwendet. Das Darknet ist noch sehr in den Kinderschuhen.

Hierzulande ist der Einsatzzweck dann ein anderer?

Ja, bei uns ist das Internet ziemlich frei, wobei der Tor-Browser auch in westlichen Rechtsstaaten sinnvoll sein kann, um zum Beispiel Überwachung und auch um Zensur zu umgehen. Befindet man sich im Intranet einer Firma oder im WLAN eines Hotels, können bestimmte Webseiten gesperrt sein.

Sie haben in einem Seminar des DPRG gesprochen. Warum sollten PRler aus ihrer Sicht über das Darknet Bescheid wissen?

Das Darknet ist nicht unmittelbar relevant für Pressearbeit. Das ist noch zu weit entfernt. Es gibt aber ein relativ breites Interesse daran, über unterschiedliche Medien- und Kommunikationsphänomene Bescheid zu wissen. Das Darknet ist sehr groß in den Medien. Für Leute, die mit Kommunikation zu tun haben, kann es immer interessant sein, sich damit zu beschäftigen.

Einige Tools könnten auch interessant sein. Es gibt ein Programm namens OnionShare, mit dem man anonym Dateien tauschen kann. Zieht man eine Datei rein, erzeugt das Programm eine Darknet-Adresse. Die kann man dem Empfänger geben, der Dateien aus diesem Postfach herunter- oder hochladen kann. Damit hat man keine Dienste wie einen Email-Anbieter oder Dropbox zwischengeschaltet, die diese Daten zwischenspeichern und theoretisch anschauen könnten. Pressesprecher ist auch ein normaler Wissensarbeiterjob, in dem man viel mit digitalen Technologien arbeitet und in dem man auch mit Informationen zu tun hat, die durchaus sensibel sind. Da könnten solche Technologien interessant sein.

Inwieweit verändert das Darknet als Kommunikationstool digitale Kommunikation?

Das Darknet ermöglicht es, Kommunikation grundlegend anonymer zu gestalten. Wenn ich als Akteur aus der normalen Welt, meinen Auftritt aus dem normalen Internet auch ins Darknet stelle, dann zwinge ich die Nutzer, den Tor-Browser zu verwenden, der dann dafür sorgt, dass die IP-Adresse verschleiert wird und so vor Überwachungsszenarien schützt. Als das Internet erfunden wurde, hat sich niemand darüber Gedanken gemacht, dass es mal ein Problem mit Massenüberwachung geben könnte. Man hat das gar nicht mitgedacht. Das System der IP-Adressen sorgt dafür, dass Kommunikation immer überwachbar ist. Wenn ich Datenpakete hin und herschicke, steht wie auf einem Brief der Absender und Empfänger drauf. Alle, die dieses Datenpaket weiterleiten oder vermitteln, können mitbekommen, wer mit wem kommuniziert. So funktioniert das Internet. Das Darknet verändert etwas an diesem Prinzip.

Wie sind Sie Experte für das Darknet geworden? Worin liegt für Sie der Reiz dieses Themas?

Ich arbeite schon seit einigen Jahren als freischaffender Technologiejournalist und habe über alle möglichen Themen geschrieben. Ich bin kein Informatiker, sondern schaue mit einem gesellschaftspolitischen Blick darauf. Mich haben immer schon diese digitalen Gegenwelten interessiert. Es gibt ja diese Machtverhältnisse im Internet, die großen Internetkonzerne mit ihren Datenballungen. Und dann gibt es Gegentechnologien wie Open-Source-Programme, also Thunderbird, Firefox, Wikipedia und so weiter. Das Darknet ist einfach eine Gegentechnologie. Sie ist Open-Source, also nicht kommerziell und geht anders mit Daten um. Da war es ein naheliegendes Thema.

Und es war auch für mich als Journalist spannend, zum einen weil es so widersprüchlich ist und zum anderen weil es sehr viele Mythen, aber sehr wenig gesichertes Wissen gab. Für mich hatte es auch ein komisches Image. Ich habe mich gefragt, warum ich mich nicht schon viel früher damit beschäftigt habe und gemerkt, dass ich die gleichen Hemmungen hatte wie die meisten Leute. Ich dachte, es ist unglaublich kompliziert, da rein zu kommen, und wenn ich da rein komme, kann ich eine Woche lang nicht schlafen, weil es irgendwie alles ganz grauenvoll ist.

Das Darknet hat ein Imageproblem. Medien interessieren sich vor allem für diese Cybercrime-Aspekte. In Artikeln wird dann meist nur in einem Satz angedeutet, dass das Darknet auch ein politisch spannender Ort ist.

 

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