Kontrollierte Offensive

PR-Strategie der Pharmaindustrie

Vor der Coronakrise war es um das Image der Pharmabranche nicht zum Besten bestellt. Das im Februar 2020 veröffentlichte Healthcare-Barometer von Pricewaterhouse-Coopers ergab, dass 68 Prozent der 1.000 Befragten den Pharmakonzernen unterstellen, dass sie auf Gewinnmaximierung ausgerichtete Unternehmen seien, die zu Lasten der Sozialkassen wirtschaften. Lediglich 19 Prozent halten Pharmahersteller für innovative Unternehmen, die mit ihren Produkten im Krankheitsfall helfen können. Jüngere Befragte bewerten die Branche besser als ältere.

Den finanzstarken Pharmariesen ist es in den vergangenen Jahren offenbar nicht gelungen, ihre Forschungserfolge so zu kommunizieren, dass sie positiv auf die Reputation der Branche einzahlen. Die Vorwürfe gegen die Konzerne reichen von überhöhten Medikamentenpreisen, Lobbyismus bis hin zu Interessenkonflikten von Ärzten, weil die sich ihre Forschung von der Industrie bezahlen lassen. Einzelne Unternehmen nehmen die Branche immer wieder in Mithaftung. So will Novartis „das teuerste Medikament der Welt“ (tagesschau.de) zur Behandlung der neuromuskulären Erkrankung spinale Muskelatrophie kostenlos verteilen. Allerdings nur 100 Mal. Ein Hepatitis-C-Präparat von Gilead hatte es als „1.000-Dollar-Pille“ in die Medien geschafft. Johnson & Johnson musste sich wegen Opioid-Schmerzmitteln in den USA vor Gericht verantworten. Dazu wütet Donald Trump regelmäßig gegen „Big Pharma“.

Jetzt bedroht das Coronavirus das Leben von Millionen Menschen. Die Welt hofft, dass es den Konzernen gelingt, Medikamente gegen Covid-19 und einen Impfstoff gegen das Virus zu entwickeln, der idealerweise bald in großen Mengen zur Verfügung steht. Für die Pharmaunternehmen ist es die Chance, ihre Bedeutung für die Gesellschaft zu unterstreichen. Es gibt aber auch ein Reputationsrisiko: Was ist, wenn es nicht gelingt, einen Impfstoff zu finden? Der Virologe Hendrik Streeck betont immer wieder, dass es noch nie gelungen sei, gegen Coronaviren einen Impfstoff zu entwickeln.

Die Kommunikationsstrategie der Branche und der Unternehmen lässt sich als kontrollierte Offensive beschreiben. „Wir wollen als relevant wahrgenommen werden. Also als eine Branche, die für die Gestaltung der Zukunft unerlässlich ist und die dazu wichtige Beiträge leisten kann: nicht nur, aber auch im Kampf gegen Corona“, beschreibt Jochen Stemmler, Pressesprecher des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (VFA), das präferierte Image. „Unsere Branche hat in einer globalen Notlage in Rekordzeit weltweit über 100 Impfstoffprojekte anschieben können, acht davon in Deutschland“, betont Stemmler. Corona steht aktuell im Zentrum der Verbandskommunikation.

Curevac forscht an einem Impfstoff

Bis zur Coronakrise lediglich Insidern bekannt war Curevac aus Tübingen. Der Biotech-Spezialist mit etwa 470 Mitarbeitern wurde im Jahr 2000 gegründet, hat aber noch kein Produkt auf dem Markt. Curevac forscht an einem Impfstoff gegen Covid-19 und setzt dabei auf das innovative mRNA-Verfahren. Mit Hilfe der Technologie sollen dem Körper die Information gegeben werden, die er benötigt, um Krankheiten selbst bekämpfen zu können. Es ist einer von mehreren Ansätzen, die zu einem Impfstoff führen könnten.

Daniel Menichella – zu dem Zeitpunkt noch Curevac-Vorstandsvorsitzender – hatte Anfang März im Weißen Haus mit Donald Trump und Mitgliedern der Coronavirus-Task-Force über Möglichkeiten der Entwicklung eines Impfstoffes diskutiert. Kurze Zeit später erhielt Curevac globale Aufmerksamkeit, als Medien berichteten, Trump wolle das Unternehmen kaufen, um sich den Impfstoff für die USA zu sichern. Curevac lehnte ab, wurde aber plötzlich zu einem Akteur der Weltpolitik.

„Bis zu 200 Anfragen haben wir zu dieser Zeit täglich erhalten“, erklärt Thorsten Schüller. Er ist seit Ende August vergangenen Jahres Kommunikationschef des Unternehmens. Seit Januar unterstützt ihn eine Kollegin. „Alle Anfragen einzeln zu beantworten, war nicht mehr möglich. Wir haben dann kurzfristig einen Presse-Call organisiert, an dem alle interessierten Journalist:innen teilnehmen konnten“, sagt Schüller. An normalen Tagen erhalte Curevac etwa 15 Anfragen. Mehrere tausend Artikel und Erwähnungen konnte das Unternehmen in den vergangenen drei Monaten verzeichnen.

Das mediale Interesse an Forschungserfolgen ist gigantisch. Curevac will sich allerdings nicht auf Covid-19 beschränken. Die Corporate-Story ist eine größere. „Covid-19 wird abflachen“, so Schüller. „Uns geht es darum zu zeigen, dass die mRNA-Technologie anwendbar ist. Wenn es uns gelingt, einen Impfstoffkandidaten auf den Markt zu bringen, öffnen wir damit eine riesige Tür, weil wir die Technologie auch auf andere Therapien in der Onkologie oder bei Infektionskrankheiten anwenden können. mRNA hat das Potenzial, die Medizin zu revolutionieren.“ In den vergangenen Jahren habe es bei der Technologie enorme Fortschritte gegeben. So erzielte Curevac bereits gute klinische Daten bei Tests am Menschen – unter anderem mit einem Tollwut-Impfstoff. Auf dieses Vorwissen können die Forscher bei Covid-19 zurückgreifen.

Studien bestimmen Kommunikation

Die Kommunikation zur Impfstoffentwicklung gegen das Coronavirus wird durch den Verlauf der Studien bestimmt. Zuletzt berichtete Curevac, dass in der präklinischen Studie ein Impfstoffkandidat positive Ergebnisse erzielt habe und eine Immunantwort vorliege. Auch habe man bereits große Wirkstoffmengen für diesen Kandidaten hergestellt. Inzwischen hat das Unternehmen eine klinische Studie mit gesunden Freiwilligen gestartet.

„Die Studiendaten werden wir natürlich kommunizieren“, sagt Schüller. „Wir versuchen allerdings, die Erwartungen nicht zu hoch zu hängen.“ Ein Risiko in der Pharmakommunikation: Anfangs aussichtsreiche Forschungsansätze können auch kurz vor dem Ziel noch platzen. Aus dem Imagegewinn wird dann ein Imageschaden. Börsenkurse gehen in die Knie, wenn Studien nicht zu einer erfolgreichen Therapie führen.

Curevac hat bekannte Investoren. Zum einen den SAP-Gründer und 1899-Hoffenheim-Mäzen Dietmar Hopp, zum anderen die Bill & Melinda Gates Foundation, auf die sich zuletzt Verschwörungstheoretiker und Impfgegner eingeschossen hatten. In das Tagesgeschäft regieren beide nicht hinein. Anfragen zu ihnen gebe es selten, so Schüller, „und wenn, dann leiten wir diese an die Investmentgesellschaft von Dietmar Hopp oder an die Gates-Stiftung weiter.“ Zuletzt gab zudem die Bundesregierung bekannt, für 300 Millionen Euro Anteile zeichnen zu wollen.

Breiterer Fokus als Corona

Der Schweizer Gesundheitskonzern Roche gehört nicht zu den Impfstoffproduzenten. Das Unternehmen hat seinen Schwerpunkt in der Erforschung und Herstellung von Medikamenten für die Bereiche Onkologie, Neurologie und Virologie. Hinzu kommt die Diagnostik. So fokussiert sich Roche im Zuge der Corona-Pandemie auf die Entwicklung von Tests. Die Schweizer haben ein Verfahren zur Erkennung des Virustyps Sars-Cov-2 entwickelt. Der Test wurde im März von der US-amerikanischen Lebens- und Arzneimittelbehörde FDA zugelassen und kann auch in Deutschland eingesetzt werden. Roche führt zudem Studien durch, um für andere Indikationen vorgesehene Wirkstoffe hinsichtlich eines Einsatzes gegen Covid-19 zu testen.

Mediale Aufmerksamkeit erhielt Roche zusätzlich aufgrund der Präsentation eines Antikörpertests, mit dem sich feststellen lässt, ob sich Menschen bereits mit dem Virus infiziert haben. Diese dürften dann immun sein. Der Test war ein Grund, weshalb Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn Anfang Mai ein Roche-Forschungslabor im bayerischen Penzberg besuchten. Beide Politiker nutzten den Termin zur Eigen-PR. Fotos zeigen sie im Forscherkittel und mit Maske.


Hydroxychloroquin

Der amerikanische Präsident Donald Trump hat nach eigenen Angaben zumindest zeitweise ein Präparat auf Basis des Wirkstoffs Hydroxychloroquin zum prophylaktischen Schutz vor Covid-19 eingenommen. Studien konnten die Wirksamkeit bei dieser Indikation bisher nicht belegen. Hydroxychloroquin dient hauptsächlich der Malaria-Prophylaxe. Der Wirkstoff – ebenso wie das verwandte Chloroquin – spielte auch in der Unternehmenskommunikation eine Rolle. So hatte Bayer der Bundesregierung acht Millionen Tabletten Chloroquin kostenlos zur Verfügung gestellt. CEO Werner Baumann hatte angekündigt, weitere Produktionskapazitäten für das Medikament schaffen zu wollen, falls sich dessen Wirksamkeit in der Behandlung von Covid-19-Patienten in Studien nachweisen lasse. Inzwischen hat sich die Situation geändert. Die Regierung hat bereits Tabletten eines anderen Herstellers mit dem Wirkstoff Hydroxychloroquin zurückgegeben, weil das Medikament für die Behandlung von Covid-19 nicht geeignet sei. Grundlage dieser Entscheidung war eine im renommierten Fachmagazin The Lancet veröffentlichte Studie, die zu dem Ergebnis kam, dass Hydroxychloroquin bei Corona-Patienten nicht nur nicht wirken, sondern möglicherweise schwere Nebenwirkungen haben soll. Die Studie ist inzwischen für The Lancet selbst zu einem Problem geworden. Drei der vier Autoren zogen die Ergebnisse nach massiver Kritik zurück, weil sie die ihnen zugrunde liegenden Daten nicht verifizieren konnten. Die Aussagen der Studie könnten also nicht haltbar sein.


Barbara Schädler, Leiterin Group Communications bei Roche, betont, dass eine komplette Fokussierung auf ein Thema wie Corona für einen Konzern wie Roche nicht möglich ist. „Die Rolle der Industrie ist keine andere als sonst. Es ist unser Auftrag, das Leben der Menschen zu verbessern“, erklärt die 58-Jährige. Aktuell würden natürlich mehr Menschen eine erhöhte Betroffenheit fühlen, weil Corona fast alle Lebensbereiche berühre. „Die Aufmerksamkeit für unsere Themen ist dadurch größer. Die Erwartung an ein Pharmaunternehmen ist allerdings, dass die Versorgung schwerkranker Patienten mit Medikamenten beispielsweise zur Krebstherapie auch jetzt sichergestellt ist.“

Die PR-Maschinerie muss entsprechend weiterlaufen. Allerdings ist in den vergangenen drei Monaten die Kommunikation zum Beitrag von Roche zur Bekämpfung von Covid-19 hinzugekommen. Das Kommunikationsteam von Roche umfasst rund 130 Mitarbeiter in der Zentrale in Basel und 700 weltweit. Fast alle arbeiteten zuletzt im Homeoffice.

Die Pressearbeit von Roche dominieren Informationen zu Studien und zu Zulassungen von Wirkstoffen und Medikamenten. Wie die meisten Wettbewerber gehören die Schweizer nicht zu den Lautsprechern. Öffentlichkeitsarbeit zu verschreibungspflichtigen Medikamenten unterliegt strengen Regeln. Eine ausgeruhte Kommunikation ist Unternehmensphilosophie. „Wir wollen sicher sein, dass das, was wir bieten, von hervorragender Qualität ist“, betont Schädler. „Das Herz unseres Unternehmens ist die Forschung. Das ist unsere Stärke. Bei der Bedeutung unserer Produkte für Millionen von Menschen muss das, was wir sagen, immer einwandfrei sein.“

Die Aufgabe der Kommunikation bestehe angesichts der Coronakrise vor allem aus Erklären. „Was kann unser Antikörpertest? Was kann er nicht? Was bedeutet eine hohe Spezifität?“, so Schädler. Roche bietet jedem die Möglichkeit, mit Wissenschaftler:innen des Konzerns in Kontakt zu treten.

Das Interesse von Journalist:innen an Medizinthemen war wohl noch nie größer als aktuell. Wo wird die Pharmabranche nach der Krise stehen? Schädler: „Corona zeigt, wie wichtig Innovationen in der Medizin sind. Doch sie wollen natürlich auch bei anderen Erkrankungen Fortschritte sehen. Wie viele Millionen Menschen erkranken jedes Jahr weltweit an Krebs!“ Möglicherweise wird Corona auch über den aktuellen Ausnahmezustand hinaus die Pharmakommunikation verändern.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe CORONA UND DIE ZUKUNFT. Das Heft können Sie hier bestellen.

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