Chirurgie und Wahnsinn

Im ersten Teil unserer Kolumne “Alles was Recht ist” sah PR-Experte Armin Sieber den Fall des Kunstsammlers Cornelius Gurlitt als den Anstoß für eine konstruktive Debatte. Jetzt antwortet ihm Rechtsanwalt Thomas Klindt und findet die Geschehnisse mindestens zum Kopfschütteln:

Lieber Herr Sieber,

wo Sie Recht haben, haben Sie Recht: Zum juristischen Vorgehen der Staatsanwaltschaft in Sachen Gurlitt kenne ich kaum einen Juristen, der nicht lang und intensiv den Kopf geschüttelt hätte. Man muss sich ja – viele der Informationen sind dabei nur aus der Tagespresse bekannt – die Einzelteile des strafrechtlichen Vorwurfs mühsam zusammenpuzzeln und diese dann in Zeitlupe lesen, um das Kopfschütteln richtig zu genießen.

Und selbst dann feiert der Konjunktiv ein Hochfest: Selbst wenn Herr Gurlitt bestimmte Verkäufe von Kunstwerken steuerrechtlich nicht richtig deklariert hätte, wäre dies nur ein triviales Steuerstrafverfahren. Selbst wenn es ein Steuerstrafverfahren mit einem entsprechenden Anfangsverdacht gewesen wäre, fragt man sich, woher die Staatsanwaltschaft diesen Anfangsverdacht genommen hatte. Und selbst wenn dieser Anfangsverdacht eine Hausdurchsuchung gerechtfertigt hätte, dann doch wohl nur zum Auffinden der Beweise für vergangenes (!) Tun. Man hätte also vielleicht Quittungen, Dokumente, Reisebelege etc. über potentiell steuerrelevante Verkäufe der Vergangenheit beschlagnahmen können – aber warum bitte die vorhandenen Bilder im Besitz des Herrn Gurlitt?

Es gibt ja kein fröhliches Beschlagnahmerecht zur Verhütung vermeintlich zukünftig anstehender Steuerdelikte. Wo kämen wir dahin? Und selbst wenn die Staatsanwaltschaft noch zusätzlich den Verdacht einer Unterschlagung dieser Bilder aus fremden Eigentum behauptet hätte, woher hätte sie ohne eigene Provenienz-Forschungen und Eigentumsrügen Dritter diesen putzigen Anfangsverdacht hernehmen sollen? Und selbst wenn sie ihn gehabt hätte, wären die Unterschlagungsvorschriften schon lange verjährt… Wenn, wenn, wenn. Ich zitiere hier meinen Lieblings-Fastbundeskanzler: Hätte, hätte, Fahrradkette: Wir sind alle öffentliche Zeugen eines Vorgangs geworden, bei dem die Staatsanwaltschaft nolens volens fremdes Eigentum einfach mitgenommen hat, und das hundertfach. Der diffuse Kampfbegriff von „Raubkunst“ darf ja nicht den Blick darauf vernebeln, dass die Staatsanwaltschaft keinesfalls dazu berufen ist, Gegenstände in Arrest zu nehmen, um allenfalls möglicherweise vorhandene Herausgabeansprüche von (unbekannten) Erben zu erleichtern, die noch nicht einmal geltend gemacht worden sind. Verstehen Sie unser Kopfschütteln? Ich bin weder dezidierter Kunstrechtler noch Völkerrechtler; aber der Fall zeigt luzide auf, wie notwendige es oft ist, rechtliche Fragen chirurgisch und exakt zu klären. Es ist dabei das Verdienst des renommierten Juristen Uwe Wesel, der in der “Zeit” auf die Wirkung offenbar längst vergessener, alliierter Rückerstattungsgesetze aus der unmittelbaren Nachkriegszeit hingewiesen hat, die – noch heute bindend – Auswirkungen auf „klassische“ BGB-Rückerstattungsansprüche gehabt haben.

Und ihr Lob des Litigation-PR-Experten Stephan Holzinger teile ich voll und ganz: Ihm ist gelungen, was in der Sache dringend notwendig war, nämlich den Blick der Öffentlichkeit auf den Vorgang völlig neu zu justieren. Dies ist übrigens ein schönes Beispiel dafür, dass Litigation-PR vorrangig die Aufgabe hat, die berechtigten Interessen und Positionen eines rechtlich Betroffenen in der Öffentlichkeit zu artikulieren und zu schärfen. Wer mit ranghohen Vertretern der Justizverwaltung spricht, hört ja oft die Sorge, Litigation-PR sei dazu gedacht, Richter zu beeinflussen. Nichts wäre falscher; und es zeigt eine gewisse Selbstüberschätzung der Richter noch in diesem Missverständnis, dass sie Adressat von Litigation-PR seien. Adressaten sind vielmehr in einem weit verstandenen Sinne alle Shareholder und Stakeholder. Emanzipiert man dies vom Fall Gurlitt hin zu Wirtschaftsprozessen aller Art können dies etwa institutionelle Anleger sein, die eigene Belegschaft, die Nachbarschaft, die Branche oder auch die Azubis der Zukunft – immer geht es bei Litigation-PR um die Kommunikation eigener Positionen in komplexen Rechtsverfahren. Diese Komplexität zu reduzieren, ist eine große Kunst!

Ein verstecktes juristisches Problem bei Litigation-PR gibt es aber: Sie funktioniert nur, wenn die entsprechenden PR-Spezialisten ein detailliertes Briefing über den zu kommunizierenden Sachverhalt erhalten. Dummerweise sind sie damit informiert und wissen viel, gegebenenfalls. leider zu viel: Denn anders als etwa wir Rechtsanwälte hätten sie bei einer Befragung durch eine Staatsanwaltschaft kein Aussageverweigerungsrecht. Dieses Dilemma zu lösen, ist die eigentliche strukturelle Herausforderung der Litigation-PR für die Zukunft.

Mit herzlichen Grüßen,

Ihr Thomas Klindt

Alles was Recht ist – Streitfälle, die Pressesprecher bewegen
In unserer neuen Online-Kolumne widmen sich PR-Experte Armin Sieber (@absieber) und Rechtsanwalt Thomas Klindt (@TomKlindt) aus kommunikativer und juristischer Perspektive Rechtsfällen, die uns 2014 bewegten. 

 

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