„Fußball ist mehr als Entertainment"

Bundesliga-Kommunikationschef Christian Pfennig

Wie es ist, buchstäblich zwischen den Stühlen zu sitzen, erlebte Christian Pfennig schon zu Beginn seiner Karriere. Einer seiner ersten Einsätze als Reporter beim Sportinformationsdienst (SID) führte ihn 1997 aufs Trainingsgelände des TSV 1860 München. Als Praktikant der Nachrichtenagentur sollte der junge Schreiber über den damaligen Bundesligaklub berichten. Der Trainer hieß seinerzeit Werner Lorant, er trug den Spitznamen „Beinhart“ und war berüchtigt ob seiner Knurrigkeit („Was soll ich mit den Spielern reden, ich bin doch kein Pfarrer“). Im Pressegespräch nach dem Training ließ sich der SID-Novize in der Vereinsgaststätte „Löwenstüberl“ aus Versehen auf Lorants Stammplatz nieder. „Fand der nicht so lustig“, erinnert er sich.

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Gut 20 Jahre später ist die Konstellation eine völlig andere. 1860 München ist in die Niederungen der 3. Liga hinabgestiegen, Werner Lorants bislang letzte, erfolglose Station war ein österreichischer Viertligaklub – und Christian Pfennig? Ist nach seinem Wechsel vom Journalismus in die PR aufgestiegen zum Mitglied der Geschäftsleitung bei der Deutschen Fußball Liga (DFL). Als einer von fünf Direktoren ist er dort zuständig für die Unternehmens- und Markenkommunikation sowie für das weltweite Erscheinungsbild der Bundesliga und 2. Bundesliga plus des Ligaverbands (siehe Infokasten).

Ihm obliegt eine ebenso attraktive wie diffizile Aufgabe. Attraktiv, weil die Strahlkraft der Bundesliga immens ist. Pfennig kann die Zahlen aus dem Effeff herunterbeten: Etwa 44 Millionen Fußballinteressierte ab 14 Jahren gibt es hierzulande, rund 50.000 Arbeitsplätze hängen mit dem Profifußball zusammen, die Liga hat eine Markenbekanntheit von 99 Prozent (weswegen manche in der Branche hinter vorgehaltener Hand über „sektenähnliche Zustände“ witzeln). Und: „Der Fußball und die Bundesliga sind sicher einer der letzten verbindenden Gesprächsinhalte unserer Gesellschaft überhaupt. Schichten- und altersübergreifend“, meint Pfennig.

 

Florierende Geschäfte

Die Deutsche Fußball Liga (DFL) organisiert und vermarktet den Profifußball in Deutschland. Sie terminiert u.a. sämtliche 612 Saisonspiele der 1. und 2. Liga und ist für das Lizenzierungsverfahren zuständig. Im Auftrag der 36 Profiklubs vermarktet der Ligaverband die Medienrechte sowohl national als auch weltweit. Zuletzt verbuchte der Lizenzfußball in

Deutschland einen Gesamtumsatz von 4,01 Milliarden Euro für die Spielzeit 2016/17, was den 13. Umsatzrekord in Folge bedeutete. Allein die Bundesliga setzte 3,37 Milliarden Euro um – ein Zuwachs von rund vier Prozent im Vergleich zur Vorsaison.

 

Diffizil ist die Aufgabe des DFL-Kommunikationschefs, eben weil die Bühne so groß und zu jeder Zeit gleißend hell ausgeleuchtet ist. Euro (in Milliarden gerechnet) mag die eine Währung sein. Die andere Währung sind Emotionen. „Die extreme Emotionalität einerseits und die extreme Öffentlichkeit andererseits machen den Job zur Herausforderung“, sagt Pfennig. „Durch die große Popularität werden mehr Erwartungen denn je an den Profifußball gestellt.“

Das beginnt mit unterschiedlichen Fan-Interessen, „vom Familienblock, den Kurven mit ihren Choreographien und den Dauerkartenbesitzern auf der Gegengerade über die Auswärtsfahrer und den VIP-Bereich bis hin zum ,Sportschau‘- oder ,Sky‘-Zuschauer“. Es geht weiter über die teils sehr ungleichen Vorstellungen der 36 Profiklubs, und es endet bei der Vielzahl der Wünsche von Sponsoren und Medien, „national und international, mit und ohne Lizenzrechten“.

Inmitten dieser allgemeinen Aufgeregtheit wirkt Christian Pfennig wie ein Ruhepol. Besonnen, zurückhaltend, aber dennoch mit dem nötigen Biss, den es bedarf, um die Debatten in einem derart heterogenen Stakeholderfeld zu moderieren. Fußballjournalisten, die ihn seit mehr als einem Jahrzehnt kennen, schätzen seine sachliche Art, seine Fachkenntnis und seine Zuverlässigkeit. Pfennig, sagt einer von ihnen, sei niemand, der falsche Versprechungen mache oder ein Interview „kaputtredigiert“. Zwar könne er auf den ersten Blick etwas spröde wirken, fast wie ein Faktenverwalter. Er sei aber „einer der angenehmsten Ansprechpartner in dem überhitzten Business“.

Den Respekt als Wächter über eine über den Sport hinaus angesehene Premiummarke hat sich Pfennig erarbeitet. Seine überlegte, norddeutsch-zurückhaltende Art sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser Mann sehr genau weiß, was er will. Das fing im Grunde bereits mit dem Einstieg in den Sportjournalismus an. Eigentlich plante der gebürtige Osnabrücker – sein Elternhaus liegt einen Steinwurf entfernt vom Stadion des hiesigen VfL – ein Praktikum im Wirtschaftsressort einer großen Zeitung.

Als sich das zerschlug, bewarb er sich kurzentschlossen beim SID. Interesse für Sport hatte er, klar, und auch fürs Schreiben. „Aber eigentlich gab den Antrieb der Wunsch, Dinge mitgestalten zu können, egal ob in sportlichen, politischen oder gesellschaftlichen Fragen.“

Frühere Kollegen beschreiben Pfennig als zielstrebig und ehrgeizig. Parallel zum Studium an der Deutschen Journalistenschule und an der Ludwig-Maximilians- Universität München für eine Nachrichtenagentur zu arbeiten, ist ja schon nicht ohne. Alsbald die Verantwortung für die Berichterstattung über den Branchenprimus Bayern München plus die Nationalmannschaft zu erhalten, eine zusätzliche Herausforderung.

Pfennig arbeitete sich als Redakteur darüber hinaus in die Themen „Fußball und Medien“ sowie „TV-Rechte“ ein. Es erscheint im Rückblick fast logisch, dass der Diplom-Journalist das Interesse der DFL-Führung weckte. 2004 wechselte er als Pressesprecher zum Ligaverband, 2008 wurde er zum Direktor befördert, seit 2015 bestimmt er die Geschicke des Profifußballs als Mitglied der Geschäftsleitung mit. In der Zentrale in Frankfurt am Main führt er 14 Mitarbeiter und steuert von dort aus Tochterfirmen wie die DFL Digital Sport GmbH. Diese produziert digitale Inhalte über die Bundesliga und distribuiert sie weltweit. Kürzlich erst entstand in Köln die erste offizielle Bundesliga-Facebookseite auf Thai.

Pfennig führt also ein Leben mit Fußball und für den Fußball. Unter der Woche als Kommunikator, freitagabends als Freizeitkicker, und samstags fährt er seinen Sohn zu Fußballspielen. Es ist ein Leben im Rhythmus von Saisons.

Den Zirkus am Laufen halten

Jeden August komme der Zirkus wieder in die Stadt. So hat es der CEO der DFL, Christian Seifert, sinngemäß einmal gesagt. Und dass alle, die für diese wunderbare Institution Bundesliga arbeiten, nur temporäre Gastrollen in diesem großen Zirkus spielten.

Christian Pfennig gibt zu: „Sicher ist Fußball auch Entertainment. Aber es geht darüber hinaus. Das ist nicht wie ein Film, den ich mir ansehe, und dann geht das Leben weiter. Fußball dringt viel weiter in die Lebenswirklichkeit hinein.“ Sieben Millionen Menschen in Deutschland sind Mitglied in einem Fußballverein. Manche Fans richten ihr Leben nach den Spielplänen ihres Lieblingsklubs aus. Das mag für Nicht-Sportfans skurril wirken. Für Pfennig und all jene, die die Marke Bundesliga positionieren, ist es ein Segen.

Die Liga liefert verlässlich Geschichten über Sieger, Verlierer, Wiederauferstehungen, Wunder, Dramen. Man muss den Zirkus eigentlich nur am Laufen halten, ihm Leitplanken geben. Und gelegentlich muss die DFL – ob zu Recht oder zu Unrecht, liegt im Auge des Betrachters – ihn gegen die Kritik an seinen unübersehbaren Auswüchsen verteidigen. Stichwort: Kommerz.

Zur erstmaligen Einführung von insgesamt fünf Montagsspielen in der Bundesliga zur aktuellen Saison regte sich wieder lautstarker Protest. Die Filetierung des Premiumprodukts Fußball mundet längst nicht jedem Fan. „Letztlich“, behauptet Pfennig, „ist die DFL stets die erste Verteidigungslinie gegen die Überkommerzialisierung des Fußballs.“ Weder gebe es zehn verschiedene Anstoßzeiten wie in Spanien noch Hosenwerbung, dafür weiterhin Stehplätze in den Stadien und vergleichsweise erschwingliche Tickets.

Wenn dann doch irgendwo im Stadion „Scheiß DFL!“-Plakate gereckt werden, fällt das für den DFL-Kommunikationschef unter Meinungsfreiheit: „Wobei etwas Niveau nicht schadet und eine konkrete Nennung von Missständen bei der Lösung von Problemen hilft“, wie er lächelnd ergänzt. Im Ernst, sagt Pfennig: „Fußball lebt doch von der Diskussion – und auch davon, dass man sich mal aufregt. Die Bundesliga ist keine glatt geleckte Veranstaltung. Es gehört dazu, auch Kritik einstecken zu können.“

Enormer Medienumsatz

Angesprochen auf das Gefühl, im Ligaverband mitunter zwischen den Stühlen zu sitzen, antwortet Pfennig: „Die Wahrheit ist: Es jedem zu jedem Zeitpunkt recht zu machen, ist unmöglich. Gleichzeitig ist es aber gerade in der heutigen Zeit unabdingbar, im Sinne der Nachvollziehbarkeit die Gründe für bestimmte Entscheidungen immer wieder zu erklären. Die DFL bekennt sich dazu, dass sie arbeitet wie ein Medienunternehmen. Und dass sie auch dafür zuständig ist, im Auftrag der Klubs Geld zu verdienen.“

Und das gelingt dem Ligaverband. Etwa ein Drittel aller Einnahmen aus der 1. und 2. Liga stammt aus dem Bereich Medien. Pro Jahr generiert die DFL einen Medienumsatz von 1,4 bis 1,5 Milliarden Euro. Wünscht er sich manchmal dennoch die „guten alten Zeiten“ zurück? „Nein“, sagt Pfennig: „Heute haben wir riesige Chancen.“ Noch nie hätten sich so viele Menschen für die Bundesliga interessiert wie derzeit, von Amerika bis China. Eines dürfe der Profifußball aber nie vergessen: „Unsere Wurzeln.“

Er kennt sie.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe MUT. Das Heft können Sie hier bestellen.

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