„Ein CEO ist kein Politiker“

Staffbase-CEO Martin Böhringer

Herr Böhringer, Sie sind Chef eines noch recht jungen Unternehmens in Chemnitz, das eine Mitarbeiter-App bietet. Kürzlich haben Sie – ohne Zwang – bemerkenswerte Haltung gezeigt. Erklären Sie bitte kurz, wie es dazu kam.

Martin Böhringer: Am 26. August, einem Sonntagabend, kamen die ersten Eilmeldungen, dass in der Stadt etwas passiert sei. Montagfrüh kamen wir in die Firma und es war eine allgemeine Orientierungslosigkeit zu spüren. Bin ich in Chemnitz sicher? Sind meine Kinder noch sicher? In dem Moment habe ich in den Gesichtern der Mitarbeiter im Büro und in der Kaffeeküche die Verunsicherung gesehen. Da war mir klar: Ich als CEO muss Orientierung bieten. Und das habe ich in den weiteren Stunden versucht und letztlich gemacht.

Sie haben sich zunächst in einem Blogbeitrag zu den Ereignissen positioniert …

Genau. Ich habe noch am Montag in meinem CEO-Blog unter der Überschrift „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ einen Beitrag zu den Grundsätzen unserer Unternehmenskultur verfasst, sprich, dass wir die gewaltsamen Ereignisse in Chemnitz und Gewalt als solche ablehnen. Über den Beitrag habe ich dann mittels Push-Nachricht in unserer Mitarbeiter-App alle Kollegen informiert. Die Resonanz war überwältigend: In unserer dreieinhalbjährigen Firmengeschichte hat es keinen Blogbeitrag gegeben, der mehr Kommentare oder Engagement erhalten hat. Innerhalb von wenigen Stunden stellte sich das gesamte Unternehmen hinter die Aussage dieses Artikels.

Wie haben sich die Mitarbeiter konkret geäußert?

Ein indischer Mitarbeiter beispielsweise schrieb von Bekannten, die sich in Chemnitz nicht alleine nach Hause trauten. Wir haben unseren Mitarbeitern dann ein Taxi auf Firmenkosten zur Verfügung gestellt. Andere schrieben, sie seien stolz darauf, für unser Unternehmen zu arbeiten, das sich so deutlich positioniert. Und für unsere US-Kollegen kam das Statement genau zur richtigen Zeit. Kurz bevor sie für ein Mitarbeiter-Event nach Chemnitz fliegen sollten, sahen sie Fernsehbilder von den Ausschreitungen auf CNN und fragten sich besorgt: In was für einem Unternehmen arbeite ich da? Sind das alles Nazis? Der Blogpost hat sehr zur Aufklärung und Beruhigung beigetragen.

Am 26. und 27. August 2018 kam es in Chemnitz zu gewalttätigen Ausschreitungen rechter und rechtsextremer Gruppierungen. Dabei kam es auch zu Übergriffen auf Menschen mit Migrationshintergrund. Auslöser war der gewaltsame Tod eines Mannes infolge einer Auseinandersetzung mit Geflüchteten. 

Dann hat sich Ihr Unternehmen der gegen Rechts gerichteten Initiative „Chemnitz ist weder grau noch braun“ angeschlossen, die für ein „buntes Chemnitz“ und Werte wie Demokratie, Vielfalt und Toleranz eintritt. Haben Sie damit ein bestimmtes kommunikatives Ziel verfolgt?

Als sich abzeichnete, dass eine große Mehrheit der Wirtschaft, Institutionen und Menschen in Chemnitz sich ebenfalls gegen Hass und Gewalt ausspricht, haben wir den Zusammenschluss in der neu gegründeten Initiative gesucht. Unsere Motivation war vor allem, unseren Mitarbeitern zu zeigen: Der Blogpost war nicht alles, wir lassen jetzt nicht nach.

Die Entscheidung, Haltung zu zeigen und sich in der Initiative zu engagieren, ist also nicht dem Impuls entsprungen, die mediale Aufmerksamkeit, die der Stadt in diesen Tagen zuteilwurde, für sich zu nutzen?

Ganz und gar nicht. Es ging uns primär um den Schutz unserer Mitarbeiter. Unter unseren 70 Angestellten am Chemnitzer Standort sind 14 Nationalitäten vertreten, und die Ereignisse in der Stadt hatten uns alle erschüttert – sowohl die Alteingesessenen als auch die Zugezogenen. Meine Top-Priorität war, klarzustellen, wofür wir als Unternehmen stehen: gegen Gewalt, gegen jegliche Art der Ausgrenzung von Menschen.

Um externe Kommunikation ging es Ihnen also letztlich nicht?

Richtig. Unser Image nach außen hin zu optimieren, war für uns in diesem kritischen Moment nicht vorrangig …

Und dennoch hatte ein Foto von Ihren Mitarbeitern mit den Flaggen ihrer Herkunftsländer, das Sie auf Facebook gepostet haben, ja eine positive Wirkung für Ihr Unternehmen.

Stimmt, wir haben unsere Vielfalt etwas später auch in den sozialen Netzwerken betont. Der Beitrag wurde von unseren Mitarbeitern geteilt, weil sie stolz sind, bei uns zu arbeiten. Die Folge war, dass wir viele Jobbewerbungen erhalten haben, darunter viele von Menschen mit Migrationshintergrund. Das ist toll, aber doch nur ein positiver Nebeneffekt.

Was meinen Sie damit?

Das Entscheidende für uns ist Substanz. Wir als Unternehmen brauchen ein Umfeld, in dem die klare Mehrheit Gewalt und Hass ablehnt. Daran wirken wir mit, indem wir ein erfolgreiches und tolerantes Unternehmen aufbauen. Statt lauter PR-Kampagnen machen wir leise Aktionen, die einen nachhaltigen lokalen Effekt haben. Zum Beispiel haben wir im vergangenen Jahr auf eine Weihnachtsfeier verzichtet. Unsere Mitarbeiter haben das Geld stattdessen für gute Zwecke genutzt, beispielsweise sind einige mit Geflüchteten ins Kino gegangen, andere waren zum Spielenachmittag im Kinderheim.

In einer Talkshow aufzutreten und sich zu politischen Themen zu äußern, wie es kürzlich der Journalist Karl-Heinz Büschemann in der Süddeutschen Zeitung von CEOs eingefordert hat, wäre für Sie demnach der falsche Weg?

(lacht) Ich glaube, hier muss man unterscheiden. Wenn es um grundlegende Werte geht, so wie das bei uns der Fall gewesen ist, dann hat er durchaus Recht. Aber man darf einen CEO nicht mit einem Politiker verwechseln.

Wenn Unternehmenschefs wie Joe Kaeser oder Dieter Zetsche eine politische Partei wie die Alternative für Deutschland (AfD) attackieren, dann ist das aus Ihrer Sicht also nicht richtig?

Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit. Ob ich mich als CEO zu den Entwicklungen in Chemnitz äußere, die ja mehr waren als rein politische Entwicklungen, oder speziell zur AfD, ist ein Unterschied. Ich würde es natürlich für einen großen Fehler halten, sich als Chef oder Unternehmen zurückzulehnen und zu sagen, wir arbeiten mit jedem zusammen. Aber die Verengung auf eine bestimmte Partei wäre zum damaligen Zeitpunkt in Chemnitz nicht der richtige Weg gewesen.

Eine politische Positionierung von Unternehmen ist laut einer aktuellen Umfrage der Kommunikationsberatung JP Kom von knapp 60 Prozent der Deutschen ja auch eigentlich gar nicht gewünscht.

Das finde ich nicht richtig. Verstehen Sie mich nicht falsch, als CEO kann man sich grundsätzlich auch politisch positionieren. Ich selbst schließe das für mich in Zukunft nicht aus. Aber sich konkret zu politischen Themen oder Parteien zu äußern, erfordert Zeit zur Vorbereitung. Dieter Zetsche hat ja auch nicht sofort reagiert, sondern sich erst Wochen später zu dem Einfluss von AfD-nahen Listen bei Betriebsratsversammlungen geäußert.

Welchen Weg halten Sie für den glaubwürdigsten, um als Unternehmenschef die eigene Haltung deutlich zu machen?

Wenn es um die interne Kommunikation geht, dann muss das persönlich geschehen. Ich habe zuerst den Blogbeitrag in der Mitarbeiter-App geschrieben und dann meine Botschaften in einem Townhall-Meeting vertieft. Wichtig war, zu zeigen, dass es sich nicht um ein Statement von Staffbase handelte, sondern von mir. Ich glaube, als Person authentisch zu sein, ist intern sehr wichtig. Wenn es um externe Kommunikation geht, dann geht es darum zu zeigen: Da steht nicht nur der Herr Böhringer, sondern das ganze Unternehmen. Das zu zeigen durch Bilder und authentische Geschichten, das ist wichtig.

 

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