Berufsbezeichnung "Pressesprecher" – ein Anachronismus?

Herr Professor Szyszka, Storytelling, Transparenz, Dialogkommunikation – werden in der PR viele Phänomene und Schlagworte als etwas Neues verkauft, obwohl sie eigentlich Urbestandteile der Kommunikation sind?

Peter Szyszka: Bei genauerer Betrachtung erscheint mir das wenigste wirklich neu. Im neuen Deutschen Kommunikationskodex etwa rangiert die Frage nach Transparenz als Frage nach Quellentransparenz ganz weit oben. In der Fachliteratur lässt sich diese Debatte bis in die Jahre der Weimarer Republik zurückverfolgen, nur sprach dabei noch niemand in Deutschland von PR-Arbeit. PR-Arbeit hat sich seither immer wandelnden Rahmenbedingungen angepasst und sich neu aufstellen, aber nicht neu erfinden müssen. Ihre jüngere Entwicklungsgeschichte setzt mit dem Ende des Wirtschaftswunders und einer gegenüber Unternehmen zunehmend kritischeren Medienöffentlichkeit ein. Der Expansion und Ausdifferenzierung des Mediensystems mit Privatisierung, Digitalisierung und partizipativer Kommunikation folgte PR-Arbeit mit Expansion und Ausdifferenzierung des Berufsfeldes, weil immer höhere Ansprüche an ihr Leistungsvermögen gestellt wurden. Im Kern geht es dabei aber immer um Integration und Akzeptanz eines Unternehmens in Umfeld und Gesellschaft.

Was ist mit den sozialen Medien, revolutionieren diese die Möglichkeiten der Kommunikation?

Auch da sollte man genauer hinschauen. Etwas Analoges zu Twitter etwa gab es im Grunde schon im Mittelalter: Ein Bote mit Glocke lief durchs Dorf und verkündete in wenigen Sätzen Bekanntmachungen. Oder fragen Sie nach dem Unterschied zwischen einem Blog und Speakers’ Corner. Es lassen sich viele funktionale Entsprechungen finden, nur sind sie heute in den digitalen Medien auf einer Plattform vereint. Die Frage etwa, ob ein Unternehmen Twitter oder Facebook ‚braucht‘, ist im Grunde falsch gestellt. Zu fragen ist nach den Kommunikationsleistungen, welche Twitter & Co. erbringen, den Chancen und Risiken, die sich für Unternehmen damit verbinden und wie PR-Arbeit damit umgehen muss. Das Internet als Plattform ist Chance und Risiko zugleich. Vor allem aber hat es uns eine neue Unübersichtlichkeit beschert: Wir haben es zu tun mit vielfältigen Informationsangeboten unterschiedlichster Qualität und Glaubwürdigkeit, der Thematisierung kleinerer oder manchmal größerer Konflikte und einem großen Grundrauschen von Themen und Geschichten. Issues Management muss hier filtern und prüfen, was ein Unternehmen betrifft, betreffen könnte oder was nicht. In der neuen Unübersichtlichkeit muss viel mehr beobachtet, kontrolliert und aussortiert werden, aber auch hier sind die Mechanismen die gleichen geblieben.

Und ist der Shitstorm Ihrer Meinung nach tatsächlich der viel diskutierte „Zugewinn für die Demokratie“?

Nein, warum? Wir erleben seit den 1990er Jahren eine Fragmentierung und Parzellierung von Gesellschaft, weil die Menschen sich um eine Vielzahl von Medien gruppieren. Es schauen nicht mehr alle dasselbe Fernsehprogramm, über das sie sich dann unterhalten und gemeinsam Meinung bilden könnten. Im Internet gibt es unzählige Plattformen, um sich zu speziellen Themen auszutauschen, Kommunikationsinseln sozusagen mit viel Empörungskommunikation. Das wenigste davon wird als so genannter „Shitstorm“ Thema in einer breiteren Netzöffentlichkeit. Und nur ein Bruchteil wird dann tatsächlich auch von journalistischen Medien aufgegriffen und im Nachrichtenjournalismus weiterverbreitet.

Würden Sie sagen, der Beruf des Kommunikators ist heute ein anderer als noch vor 20 Jahren?

Ich will ehrlich sein: Ich habe den Namen„Bundesverband deutscher Pressesprecher“ schon vor zwölf Jahren bei der Gründung des Verbands als einen Anachronismus empfunden, denn er reduziert das Berufsverständnis auf die Rolle des Verlautbarers, eine Teilfunktion, von deren Alleinstellung wir uns eigentlich längst verabschiedet haben sollten. Viele Kolleginnen und Kollegen in der Praxis verstehen sich heute nicht nur als CCO, sie haben auch Aufgaben, die weit über die Sprecherrolle hinausgehen. Modernes Kommunikationsmanagement ist kommunikatives Risiko-Management. So wie Finanzleute im Unternehmen das ökonomische Risiko austarieren, sind CCOs dafür zuständig, Akzeptanzrisiken ihres Unternehmens zu ermitteln und abzuwägen und die Bedingungen des Wirtschaftens des Unternehmens zu überwachen. Kommunikation bewirtschaftet Beziehungen. Es geht darum, Stakeholderbeziehungen zu pflegen, zu beeinflussen und Sinn-Geschichten, aus denen Sinnbilder zur Persönlichkeit eines Unternehmens, seiner Interessen, Haltungen, Entscheidungen und so weiter entstehen können, über die Kanäle der alten und neuen Medienwelt zu verbreiten.

In der digitalen Welt wird diese Aufgabe immer komplexer.

Ja, aber ich bin sicher, dass wir längst im postdigitalen Zeitalter angekommen sind, weil sich die digitale Medienwelt mit ihren eigenen Mitteln nicht beherrschen lässt. Wir brauchen klassische analoge Mechanismen, um mit der digitalen Medienwelt umgehen zu können. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass Twitter & Co. Kommunikationsgefäße sind, die als Geschäftsmodelle und nicht um ihrer Kommunikationsleistungen willen zum Laufen gebracht wurden. Die Entwicklung erinnert an die Eisenbahnen-Barone Ende des 19. Jahrhunderts: Es geht um viel Geld, das in unserem Fall heute mittels Versprechen von Kommunikationsleistungen verdient werden soll. Uns aber müssen die Leistungen interessieren. Als Wissenschaftler beobachte ich die Entwicklungen interessiert, aber auch entspannt. Vieles hat sich ja schon ‚ausgemendelt‘, die Halbwertzeit von Twitter und Facebook etwa scheint schon heute endlich. Unternehmen rate ich zu mehr Gelassenheit. Sie sollten immer die Frage stellen, was neu propagierte Kommunikationsgefäße mehr, besser oder anders können als die bekannten, denn am Ende geht es gar nicht um diese Gefäße, sondern um Inhalte, deren Verbreitung und Ausbreitung.

Wie kann die Hochschule Studenten auf den Beruf vorbereiten? Und: Wollen die Studienanfänger überhaupt noch „Pressesprecher“ werden?

Die Funktion des Pressesprechers, der Instanz, die autorisierte Informationen eines Unternehmens verbreitet, wird auch weiterhin gebraucht. Nach meinem Verständnis ist allerdings das Verbreiten oder Verlautbaren von Mitteilungen nur eine Funktion und nur ein Teil von moderner PR-Arbeit. Wenn ein Studium alleine hierauf vorbereiten würde, würden wir den Studierenden einen ‚Bärendienst‘ erweisen. Was die Vorbereitung anbelangt: Im Bachelor versuchen wir zunächst, die Breite des Berufsfelds vorzustellen, die Gebiete und Aufgaben, die Absolventen in der Praxis erwarten, und hierzu das nötige Rüstzeug zu vermitteln. Im Master wird dann das berufliche Reflexionsvermögen geschult. Hier versuchen wir im Hannoveraner Modell, Grundbegriffe und Phänomene rund um Öffentlichkeit und kommunikative Interessenvertretung kritisch zu bearbeiten, aktuelle Entwicklungen zu analysieren, Wahrscheinlichkeiten und vor allem Unwahrscheinlichkeiten zu bewerten und ähnliches. Dabei zeigt sich immer wieder, wie viel Altes im vermeintlich Neuen steckt. Am Ende sollten die Absolventen über eine Beurteilungskompetenz verfügen, um verantwortungsethisch handeln zu können.

 

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